Martine Feipel

Raus aus der Wohlfühlecke

d'Lëtzebuerger Land vom 06.08.2009

„Nur zu malen, würde ich als unnötige Beschränkung empfinden“ – sagt Martine Feipel und verwendet deshalb lieber einen raffinierten Materialmix, um das Abgründige und Skurrile vorgefundener Räume sichtbar zu machen. Ab 2000 entwickelte sie mit Hilfe von kleinen Klebestreifen und japanischem Papier, das wie Schiefer glänzte, temporäre Wandarbeiten, die riesigen Kartografien ähnelten. Der Betrachter wusste nicht, ob sich dort Insektenstaaten neu formierten oder vermeintlich abblätternde Farbe vergangene Zeitschichten freilegte.Martine Feipel, die 1975 in Luxembourg geboren wurde, erforscht seit ihrer Studienzeit Widersprüche von Orten und sondiert Echos vergange­ner Raumnutzungen. In Straßburg absolvierte sie zunächst einen eher verschulten Kunstausbildungsparcours, der dann durch zwei äußerst inspirierende Aufbaustudien in Berlin und London ergänzt wurde. In Berlin war sie an der Hochschule der Bildenden Künste in der Klasse von Christiane Möbius. Diese Professorin beeindruckte sie am nachhaltigsten. Möbius beteiligte die Studierenden umfassend an dem, was ein Künstlerleben ausmacht. Hier gab es auch die erste Möglichkeit zur Beteiligung an einer internationalen Gruppenausstellung. Die Klasse organisierte 2001 eine Ausstellung in der Kunstgalerie der Osloer Akademie. Von Christiane Möbius lernte Martine Feipel, dass Gegenstände, nicht nur Rohmaterialen, sondern auch Seelenverwandte sein können.Einen ganz anderen Seelenverwand­ten traf Martine Feipel im letzten Jahr eher zufällig: den Franzosen Jean Bechameil (*1964). Der in Kopenhagen lebende Künstler machte damals in Luxemburg Station, um bei der Requisitenproduktion für einen französischen Film mitzuhelfen. Bechameil überzeugte Feipel, sich bei der Fertigung eines außergewöhnlichen Filmutensils für Lars von Tier zu beteiligen. In der Nähe von Köln (Eitorf) arbeiten beide an dem Eyecatcher für dessen neusten Film. So entstand ihr erstes gemeinsames „Werk“: eine gigantische Baumwurzel, die man in diesen Tagen auf allen Kinoplakaten des gerade angelaufenen Films Antichrist bewundern kann. Auf der unheimlichen Riesenwurzel liegen Charlotte Gainsbourg und Willem Dafoe ineinander verschlungen, während apokalyptische Hände durch das Wurzelwerk nach ihnen greifen.Auch wenn Requisiten und Filmkulissen nicht zum eigentlichen künstlerischen Werk von Feipel [&] Bechameil gehören, sind sie doch Teil ihres momentanen Alltags. Zur Zeit befinden sich die beiden in Reykjavik, um dort für den isländischen Regisseur Baltasar Kormákur einen künstlichen Riesenberg zu erstellen. Für Baltasar, der mit einem Hollywoodbudget von 50 bis 70 Millionen Dollar den Wikinger-Historienfilm Viking abdreht, werden Feipel [&] Bechameil im kommenden Jahr vermutlich weitere verzwickte Raumlösungen zu bewältigen haben. Die Beschäftigung mit Spezialeffekten und Kulissen deckt sich bei beiden Künstlern mit ihrer Vorliebe für das ausgefallene Objekt und der Lust an räumlicher Skurrilität, die auch durchaus bei alltäglichen Gegenständen und Orten unter der Oberfläche lauert.Eines ist klar: Martine Feipels Arbeiten sind niemals Wohlfühl-Kuschel­ecken. Der Betrachter wird immer mit einer unheimlichen oder ver­störenden, wenngleich unspektakulä­ren Inszenierung konfrontiert. Zum Beispiel die Raumfolge im Musée d’his­toire de la ville de Luxembourg 2007 (in Kooperation mit Celina Gonzalez Sueyro). Hier arbeitete sie mit komplett übertünchten, dunkel farbverklecksten Räumen und, wie sooft, mit Textfragmenten. Feipel möch­te durch dieses Panoptikum, verschiedene Türen zu ein und derselben psychischen Grundstimmung öffnen. Der Betrachter fühlt sich dadurch oft mit seinen eigenen Ängsten konfrontiert.Für ihre Installationen benötigt Martine Feipel viel Raum, zumindest aber einen aussagekräftigen Ort, auf den sie tiefschürfend reagieren kann. Dieser Anspruch wurde ihr in London, als sie 2002 am St. Martin’s College studierte, eher zur Last; denn in London ist der Raum knapp und teuer. In Berlin hatte sie es – in dieser Hinsicht – viel leichter, denn dort ist es möglich, den vorhandenen Leerstand mit und durch Kunst zu nutzen. Auch bei einer Residenz im spanischen Huesca 2006 hatte sie Glück: Denn dort handelte es sich um ein umgenutztes Kloster mit vielen Bedeutungsschichten zum Stöbern. 2007 nahm sie an der Ausstellung zum Robert-Schuman-Preis im Trierer Simeonsstift teil. 2008 konnte man ihre Arbeiten bei den Gruppenausstellungen Sentiers rouges, im Konschthaus beim Engel, der Galerie Nosbaum [&] Reding und im Musée de la Cour d‘or in Metz sehen.Aktuell trifft der kritische Blick der beiden Kulissenspezialisten Feipel [&] Bechameil die glattpolierten residential areas Flanderns. Die flämischen Einfamilienhäuser der Wohlhabends­ten sind dort so perfekt getrimmt, dass sie potemkinschen Dörfern gleichen. Das Duo nahm diese Beobachtung zum Anlass, eines dieser Do­mizile originalgetreu und leicht ver­klei­nert nachzubauen. Anlässlich der kommen­den Freiluftausstellung Kunst [&] Zwalm, die ab dem 29. August im dortigen sieben Hektar großen Naturpark zu besuchen ist, wird dieses Haus zur Hälfte in einem See versenkt sein.Denn eines steht für beide fest: Dem allzu Perfekten sollte man grundsätzlich misstrauen, da auf die künstlich hergestellte Ordnung der Menschen immer die Rache der Natur kommt. Perfektion ist immer nur etwas Oberflächliches, was im nächsten Moment durch eine Katastrophe auch wieder zerstört werden kann.Freuen können wir uns auch schon auf die nächste Gemeinschaftsarbeit der beiden, die 2010 in der Galerie Nei Liicht in Düdelingen geplant ist: Ein Innenraum, inklusive der Fensterflächen, wird mit einer Spezialfarbe übermalt, die dann wieder fleckchenweise abgezogen wird. Der makellose Zustand verwandelt sich im Zeitraffer zu einer schäbigen, gealter­ten Hülle. Bei der verwendeten Farbe handelt es sich um ein Produkt, das für die Luftfahrt entwickelt wurde, um Flugzeuge reversibel zu bemalen. Die Farbe kann von der Außenhaut einfach wieder abgezogen werden, ohne dass der Untergrund verletzt wird. Diese Installation, die bereits 2008 unter dem Titel Sous la peau in einem Privathaus in Kopenhagen erprobt wurde, fühlt sich an wie eine Zeitreise. Der Verfall, den wir beobachten, erinnert uns an unsere eigene Vergänglichkeit.

 

Sabine Dorscheid
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