Wieso um die Wasserpreise so viel Chaos herrscht

Eine kleine Wassermusik

d'Lëtzebuerger Land du 17.02.2011

Schöner Einstand für François Koepp: Nur zehn Tage, nachdem der neue Generalsekretär des Gastronomen- und Hotelierverbands Horesca in der Presse die „ernsthafte Bedrohung“ ausgemalt hatte, die der Branche aus den neuen Wasserpreisen erwüchse, trat Innenminister Jean-Marie Halsdorf (CSV) letzte Woche im Fernsehen auf und kündigte an, im März zwei neue Preismodelle vorzulegen. Der Nachfolger von „Monsieur Horesca“ Jean Schintgen hätte sich politisch kaum besser empfehlen können.

Dabei hat Halsdorfs Ankündigung nicht hauptsächlich zu tun mit den Befürchtungen der Betreiber von Restaurants, Hotels und Campinganlagen. Wie berechtigt deren Sorgen sind, ist nicht sicher: Koepp sprach von Mehrkosten zum Teil in fünfstelliger Höhe in jeweils „einem“ Hotelbetrieb in ausgewählten Gemeinden des Landes. Wie stark die Kosten im Vergleich zum Umsatz ins Gewicht fielen, wurde dagegen nicht gesagt, und im dem Innenminister unterstehenden Wasserwirtschaftsamt geht man davon aus, dass das Kalkül auf einer veralteten Preisbasis angestellt wurde. Aufgrund der aktuellen Kriterien kontern die Beamten mit einer Rechnung für ein Wellness-Hotel im Norden des Landes: Mit den vor Ort geltenden Tarifen würden sich die Wasserkosten mit gerade mal anderthalb Euro im Preis für eine Übernachtung bemerkbar machen.

Was nicht heißt, dass es kein Problem gibt. Im Gegenteil: Es ist facettenreich, und gestiegen sind die Preise ja. Dass so manche Gemeindepolitiker die Reaktionen der Bürger auf die neuen Preise mit Bangigkeit verfolgen, liegt nicht allein an den bevorstehenden Wahlen: In Esch/Alzette lehnen zahlreiche Einwohner die Bezahlung ihrer Wasserrechnung ab, dabei sind die Tarife dort im Landesvergleich gar nicht so hoch. Im Zusammenhang mit anderen gestiegenen Preisen, Steuern oder den erhöhten Eigenbeteiligun-gen an Gesundheitsleistungen jedoch werden solche Reaktionen verständlicher. Neben Bürgern, Gastronomen und Campingplatzbesitzern klagen auch Bauern weiterhin über die neuen Wasserpreise.

Doch ein Politiker wie Camille Gira, der grüne député-maire aus Beckerich, der im parlamentarischen Innenausschuss das 2008 verabschiedete neue Wassergesetz mitvorbereitete, hat Recht, wenn er sagt, um das Gesetz und seine Ausführung gebe es ein Vermittlungsproblem, und es werde vergessen, dass die neuen Preise auch ökologisch motiviert sind: Die EU-Wasserrahmenrichtlinie, die umzusetzen Luxemburg acht Jahre brauchte, ist kein Brüsseler Willkür-akt, der das Kostendeckungsprinzip für die Wasserpreise auch hierher brachte. Sondern sie will in erster Linie mindestens den „guten Zustand“ der Gewässer erreichen. Hierzulande sind zurzeit genau null Prozent der Gewässer „sehr gut“ und lediglich sieben Prozent „gut“, der Rest mittelmäßig bis schlecht. Wie dem abzuhelfen sei, darüber gibt es seit Ende 2009 einen Maßnahmeplan. Er ist eine Grundlage der neuen Preise, vor allem im Abwasserbereich.

Der Zusammenhang mit Ökologie und Gewässerschutz wird allerdings auch vom Minister überaus selten öffentlich hergestellt. Was vielleicht daran liegt, Jean-Marie Halsdorf zwar fürs Wasser, aber nicht für das Umweltressort zuständig ist. Vielleicht daran, dass zu erklären wäre, weshalb man sich in Luxemburg jahrzehntelang in die Tasche log und den Quellenschutz ebenso vernachlässigte wie die Infrastruktur: Je nach Gemeinde sind bis zu 50 Prozent der Kanalisation akut sanierungsbedürftig, und bis 2005 war ein Gesamt-Investitionsbedarf in neue Kläranlagen von 900 Millionen Euro aufgelaufen. Heute neu eröffnete Kläranlagen erweisen sich wegen des anhaltenden Wachstums von Wirtschaft und Bevölkerung mitunter schon bei ihrer Inbetriebnahme als zu klein; etwa in Petingen, einem der zuletzt aufwändigsten Projekte.

Gleichfalls erklärt werden müsste, dass die Wasserpreisunterschiede zwischen Stadt- und Landgemeinden unter anderem auch ökologisch bedingt sind: Zwar leuchtet ein, dass einer ausgesprochenen Flächen-Landgemeinde wie Wincrange mit ihren 27 Ortschaften ihre 40 Meter Wasser- und Abwassernetz pro Einwohner teurer zu stehen kommen als etwa Esch/Alzette seine fünf Netz-Meter pro Einwohner. Dass es im Ösling kaum Grundwasser gibt, Trinkwasser folglich von weiter her herangeschafft werden muss und dafür extra Leitungen und Wassertürme nötig sind, treibt die Kosten zusätzlich hoch. Dass dies „geografische Gegebenheiten“ sind, für die es einen öffentlichen Kostenausgleich geben darf, ist unumstritten.

Doch: Wer Einwohner einer Landgemeinde wurde, indem er dort sein Einfamilienhaus bauen ließ, weil die Baulandpreise dort besonders niedrig waren und sogar den Erwerb von ein paar Ar Grünfläche erlaubten, muss wissen, dass er damit erstens zur Zersiedelung der Landschaft beitrug, zweitens das Wassernetz zu verteuern half – die ökologischen Folgekosten tauchen im Wasserpreis auf. Und verdichteter bauen zu lassen, ist politisch erst neuerdings mehr en vogue.

Ein Vermittlungsproblem gibt es aber offenbar auch innerhalb vieler Gemeinden. Lokalpolitiker sorgen sich, wie etwa in Kopstal, darum, dass der Bürger eine Wasserpreiserhöhung „ohne sichtbare zusätzliche Vorteile“ erleide (d’Land, 24.12.2010). Das ist nicht nur falsch angesichts des Riesenbergs an Aufgaben zum Wasserschutz, vor denen Luxemburg steht. Wasserversorgung und Abwasserbehandlung wurden überdies durch Wasserrahmenrichtlinie und Wassergesetz um keinen Cent teurer – nur die Subventionierung des Preises aus dem Gemeindehaushalt ist nicht mehr erlaubt. Damit aber setzt die Kostendeckung durch die Verbraucher in den Gemeinden Mittel frei, die nun im Allgemeininteresse anders verwendet werden können. Selbst in kleinen Gemeinden können das sechsstellige Summen sein.

Hinzu kommt, dass es Wasserpreisunterschiede von Gemeinde zu Gemeinde schon immer gab. 1994 machten sie pro Kubikmeter Trink- und Abwasser zwischen 22 Franken in Esch/Sauer und 65 Franken in der Hauptstadt aus – ein Unterschied von 194 Prozent. Die seit Anfang dieses Jahres geltenden neuen Kubikmeterpreise differieren für Haushalte um 105 Prozent; sie betragen 3,19 Euro in Fels und in Wiltz 6,54 Euro. Eine Jahresfestgebühr kostet zwischen zehn Euro in Niederanven und 199 Euro in Wiltz.

Der Festpreisanteil ist eine gesonderte Betrachtung wert. Wasserversorgung und Abwasserbehandlung sind ausschließlich Sache von Gemeinden und Gemeindesyndikaten. Die Kosten dafür sind aber zu an die 80 Prozent fest; darunter fallen Unterhalt der Infrastruktur und Abschreibungen für Neuinvestitionen, aber ebenso Kosten für Personal, das nun mal dem öffentlichen Dienst angehört. Die hohen Fixkosten auf die Verbraucher umzulegen, wäre nicht zuletzt ökologisch fragwürdig: der Anreiz zum Wassersparen wäre klein. Andererseits wäre ein hoher Fest-Anteil zum Beispiel für kinderreiche Familien günstig – für die Witwe mit der Mindestrente dagegen schlimm.

Wie mit den fixen und den variablen Kosten – dem eigentlichen „Wasserpreis“ – umzugehen wäre, war die wahrscheinlich wichtigste Rechen­übung im Wasserwirtschaftsamt der letzten drei Jahre, gerade auch, weil seit Anfang dieses Jahres endgültig zwischen Haushalts-, Industrie- und agrarischen Wasserverbrauchern unterschieden werden muss.

Empfohlen wird vom Wasserwirtschaftsamt, an die Industrie-Großverbraucher den vollen Fixanteil weiter­zureichen, an Haushaltskunden dagegen 70 bis 80 Prozent variablen Anteil. Bauernbetriebe sollten dazwischen liegen, aber auf der Abwasserseite begünstigt werden: Ein Betrieb mit Viehhaltung, wie sie in der Luxemburger Landwirtschaft das Gros darstellen, gibt nur ein Prozent des verbrauchten Trinkwassers als Abwasser zurück; den Rest saufen die Tiere. Durch kleine Abwassergebühren, so das Kalkül des Wasserwirtschaftsamts, wäre ein Bauernbetrieb insgesamt besser gestellt als vor Verabschiedung des Wassergesetzes, . Auch, um in Kapazitäten zur Lagerung von Gülle investieren zu können, die seit Anfang des Jahres nur noch zu bestimmten Zeiten ausgebracht werden darf, damit die vielerorts viel zu hohe Nitratbelastung des Grundwassers sinken kann. Die EU-Nitratrichtlinie zum Thema setzte Luxemburg am vergangenen 30. Dezember um – mit einer Verzögerung von 19 Jahren.

Nicht nur Klagen von Bauern, auch solchen von Campingplatzbetreibern sollte vorgebaut werden. Prinzipiell sind sie „Haushaltsverbraucher“. Dass jeder Camping-Stellplatz als ein Haushalt zählt, führt aber zu hohen festen Abwasserkosten; einem Campingbetrieb, der nur drei Monate im Jahr geöffnet hat, könnten 20 000 Euro Jahresfestkosten für anteilige Kläranlagenkapazität entstehen. Die Lösung aus dem Wasserwirtschaftsamt lautete, diese Kosten nur zu einem Viertel anzusetzen; die übrigen Abwasserkunden der Gemeinde hätten den Campingbetrieb querfinanziert.

Offenbar aber folgen nicht alle Gemeinden den guten Berechnungs-Ratschlägen aus dem Innenministe-rium. Solange Wasser und Abwasser lokal insgesamt kostendeckend sind, müssen sie das auch nicht; dafür steht die Gemeindeautonomie. Strittig zwischen Ministerium und Gemeinden ist, ob Ersteres nicht schnell und gut genug über die Berechnungen informierte, oder viele Gemeinden davon einfach nichts wissen wollen. Der Lokalpolitik ausgesetzt aber ist, zumal im Wahljahr, das Wasserpreiskalkül auf jeden Fall. Festzustellen, ob jemand, der sich durch die neuen Preise benachteiligt fühlt, es nicht durch politische Entscheidungen vor Ort wurde, ist nicht so einfach.

Für den Innenminister stellen sich ein paar Probleme. Möglicherweise könnte er durch eine Gesetzesänderung nach vielen Debatten die administrative Hoheit über das Preiskalkül erlangen. Doch es ist nicht gesagt, dass er das anstrebt, wenn er demnächst je ein Modell für einen „Einheitspreis“ und einen „harmonisierten Preis“ vorstellen will.

Denn ein Einheitspreis wäre, wollte man nicht den Gemeinden die Zuständigkeit für Wasser und Abwasser entziehen, nur durch ein interkommunales Einheits-Wassersyndikat zu haben. Das ist auch deshalb utopisch, weil der Einheitspreis sich an Gemeinden mit hohem Investitionsbedarf orientieren und recht hoch ausfallen müsste. Wer entschiede dann, wie die Gewinne einzusetzen wären, die Gemeinden mit gepflegter Infrastruktur zwangsläufig hätten? Ein Einheitssyndikat könnte überdies ein Schritt zur Privatisierung der Wasserversorgung sein: Würde, falls ein externer Versorger ein interessantes Angebot macht, die Antwort tatsächlich allgemein Nein lauten? Einzelnen Gemeinden liegen schon Angebote aus dem Ausland vor.

Doch weil nicht nur der Nordabgeordnete Ali Kaes seit der Debatte um das Wassergesetz für den Einheitspreis eintritt, ohne genau zu sagen, wie er dort hin kommen will, sondern Premier Jean-Claude Juncker im Herbst den Landwirten landesweit „einen Euro“ versprach, kommt bei so viel nicht nur CSV-, sondern sogar kabinettsinternem Populismus der Innenminister vielleicht schwer daran vorbei, sich dem Szenario zuzuwenden. Und sei es, um es ad absurdum zu führen.

Den „harmonisierten Preis“ dagegen nahm er selber gegen Ende letzten Jahres vorweg, als er den Gemeinden riet, den Kubikmeterpreis Wasser plus Abwasser für Haushaltskunden bei „sechs bis sieben Euro“ zu deckeln. Das entsprach Simulationen, die Monate zuvor angestellt worden waren: Ein harmonisierter Preis von an die 6,50 Euro entstünde, falls die Gemeinden außerhalb des Landesnordens zu Ausgleichszahlungen an die Nordgemeinden von insgesamt an die 25 Millionen Euro jährlich bereit wären. Da vor allem die beiden größten Städte dagegen sind – auch, weil damit jene Gemeinden bestraft würden, die ihre Infrastruktur in Schuss hielten –, stellt sich die Frage: Woher nehmen, wenn nicht aus dem Staatshaushalt?

Gut möglich, dass Halsdorf einen Vorschlag in diese Richtung macht. Dennoch könnte der Wasserpreis im Laufe des Jahres als soziale Frage auf den Tisch kommen. Im Unterschied zur EU-Richtlinie lässt das Wassergesetz sozial gestaffelte Wasserpreise nicht zu. Stattdessen wird Sozialhilfeempfängern im Sozialhilfegesetz eine Gratismenge Wasser zuerkannt, und im Wasserwirtschaftsamt meinte man, die niedrige Fixkostenbelastung der Haushalte gleiche ebenfalls aus.

Doch längst nicht alle Gemeinden trennen feste und variable Kosten so. Da die Kostenformel kinderreiche Familien be­nach­teiligt, müsste zumindest in allen Gemeinden sozial schlechter Gestellten ein Ausgleich gezahlt werden – etwa von dem Geld aus den weggefallenen Wassersubventionen. Lo­ka­le Teuerungszulagen als Ergänzung zu der vom Staat aber gibt es nur in 59 der 116 Gemeinden. Vielleicht, weil niemand die Gemeindeoberen auf die Idee brachte. Auch das Innenministerium nicht, wo man nicht auf Anhieb sagen kann, wie viele Gemeinden ihren Bürgern derart unter die Arme greifen.

Peter Feist
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