Die kleine Zeitzeugin

Werdende Großmutter

d'Lëtzebuerger Land du 18.05.2018

Was, du hast in der Schwangerschaft Kaffee getrunken? Du hast Milch getrunken, von der Kuh, frisch von der Kuh? Was, du warst eine Woche vor einer Geburt in einer Disko, du hattest keinen Still-BH und überhaupt keinen BH und nicht mal ein Stillkissen? Was, ein Kind hatte sechs Wochen nach der Geburt noch immer keinen Namen, es hieß Das Kind?!

Erschütternde Details erblicken das Licht der Welt. Die letzten Illusionen werden zerstört, von denen haben Töchter, was ihre Mütter betrifft, ohnehin nicht allzu viele, es sei denn sie hatten eine solche nicht. Werdende Großmutter in einem sieben oder acht Monate dauernden Frage-und- Antwortespiel, wie lang so eine Schwangerschaft wirklich dauert, weiß nämlich immer noch keine, trotz Guggel und Tatsachenberichten von Überlebenden, angeblich haben schon mehrere so was gehabt, so was bekommen.

Sieben oder acht Monate dauernde andauernde Schwangerschaftsberatung also. Besonders intensiv dann, wenn es Großmutterglücksverschärfung gibt, einen Baby-Boom. Wenn gleich zwei Töchter guter Hoffnung sind und es gleich zwei Baby-Premieren geben wird, wenn gleich zwei Enkelkinder im Abstand weniger Tage das Licht der Welt erblicken werden. Wer wird der oder die erste sein? Und wem wird gewordene Großmutter als erstem oder erster die Aufwartung machen? Großmütter müssen gerecht sein, sagt sich werdende Großmutter. Noch wichtiger, gütig, die allerwichtigste Eigenschaft, Großmütter müssen gütig sein.

Statt den Nahostkonflikt zu thematisieren und Weinmeditation zu praktizieren, zurück zur Weiber-Hotline. Alte Profis sind schwer gefragt. Schmeichelhaft, wie schön, endlich kann Große Mutter ihre Weiberweisheiten an die nächste Generation weiterreichen. Toll, machen wir es uns gemütlich im Frauenzimmer, mit Mutterkuchen und Muttermilch, der Muttermund spricht, Fortsetzung der Vagina-Monologe. Ah ja, das Ultraschallfotoalbum nicht vergessen.

Ist dies normal, ist jenes normal? Wie schwangerschaftsgestreift ist normal, bin ich normal, ist das Kind normal und ist diese Gesellschaft normal, die Hochschwangeren Ellbogen in den Bauch rammt, und wie normal ist dieses Gesundheitssystem, das die, die guter Hoffnung sind, unter Generalverdacht stellt, und X das Kind sowieso, das einen Zulassungstest nach dem andern bestehen soll? Und wie soll frau sich am besten vorbereiten, jetzt, mit bauchigen Frauen auf Matten stranden beim Walfischyoga oder einfach nur das tun, wozu sie Lust hat, zum Beispiel nichts? Unter Schmerzen gebären, wie es in der Bibel steht, oder soll frau sich doch lieber eine Spritze ins Mutterkreuz jagen lassen? Oder sich anmelden zum schicken Kaiserinnenschnitt?

Das Angebot für Schwangere ist gewaltig, besonders gewaltig ist aber das Angstangebot. Werdende Großmutter müsste eine kluge Moderatorin der Ängste sein, sie mit einem milden Lächeln zerstreuen. Aber Kinder! Kinderkriegen ist doch das Normalste der Welt! Aber wie normal ist diese Großmutter, die ist ja gar keine Normalitätsexpertin, ist die überhaupt eine Expertin, eine Koryphäe, oder hängt sie hoffnungslos nostalgischer Ur-Muh-tterschaft an? Goldgerahmte Erinnerungen wiederkäuend, sich selbst als heilige Schwangerschaftskuh darstellend, umgeben von glücklichen Säugetieren ... Damals, wir ernährten uns von Brennnesseln, als Muttermilch in Strömen floss, Kaffee auch.

Es geht alles sehr nah und sehr weit, manchmal zu weit, und es wird ein bisschen eng im Frauenzimmer; die Alte verspürt urplötzlich den Drang, Kasachstan zu durchwandern. Oder auf einer schwimmenden Senior_inneninsel dem Schwarzen Meer entgegenzuschaukeln, das soll sehr beschaulich sein. Und es soll auch so nette Weinwanderwege und Jakobswege geben, wie man so hört.

Das alles könne sie jetzt vergessen, meint eine Freudensgenossin. Aber was wäre die Welt, die schnöde Welt, schon gegenüber dem, was sie erwartet: Großmutter sein? Das sei etwas ganz Großartiges, das Allerbeste, das größte Geschenk, das das Leben zu vergeben habe.

Ja, sowieso, Babys freuahoj!

Nur, Lifelong-learning, Großmutter, wie geht das?

Michèle Thoma
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