Die Bauschuttkrise wird zur Bewährungsprobe für die Grünen im Nachhaltigkeitsministerium. Die Umweltministerin will „anders“ bauen lassen. Einfach wird das nicht

„Unser guter Boden“

d'Lëtzebuerger Land vom 18.04.2014

Es ist zwölf Jahre her, dass Jean-Claude Juncker es am 19. April 2002 „krachen“ hörte. Luxemburg sei in eine „Bauschuttmauer“ gerannt, meinte der damalige CSV-Premier; davor zu warnen wie vor der Kollision mit der „Rentenmauer“ habe gar keinen Zweck mehr.

Es war die Zeit, als Gemeinden vor dem Verwaltungsgericht gegen Bauschuttdeponien auf ihrem Territorium klagten, als der Handwerkerverband warnte, gebe es nicht bald neue Deponien, müsse in der Baubranche Kurzarbeit beantragt werden, als die Gewerkschaften OGBL und LCGB unbürokratische Lösungen verlangten. Begonnen hatte der große Bauschuttkonflikt schon im Jahr 2000, als der ziemlich fassungslose DP-Umweltminister Charles Goerens erleben musste, dass in der Gemeinde Ermsdorf „seine“ Nordwähler eine Bürgerinitiative gründeten und gegen eine Deponie aufbegehrten, die er in einer Grünzone in Folkendingen genehmigt hatte. Goerens nahm die Angelegenheit sehr persönlich und half mit, das Klischee vom Nimby zu prägen und gegen einen Bauschuttplatz opponierenden Bürgern anzuhängen.

Verglichen damit, geht die derzeitige Diskussion um einen Bauschuttnotstand nach dem Erdrutsch auf der Deponie Monnerich und deren Schließung im März bemerkenswert emotionslos über die Bühne. Auch wenn der Handwerkerverband erneut gewarnt hat, ohne Ersatz für Monnerich müssten „verschiedene“ Betriebe ihre Arbeit ruhen lassen und kämen kaum umhin, Kurzarbeit anzufragen. Aber dass Alternativen zur Monnericher Deponie eingerichtet werden, steht nicht nur schon fest. Es geht auch schnell und ganz ohne Bürgerprotest. Die Deponie Gadderscheier in Sassenheim soll Ende Mai eröffnet werden, die An den Dielen in Strassen voraussichtlich im Herbst. Die Bauunternehmer loben die Reaktivität der Politik – die des Sassenheimer Schöffenrats und die von Umweltministerin Carole Dieschbourg (Grüne), die einverstanden sind, Gadderscheier zu öffnen, noch ehe die Betriebsgenehmigung vorliegt. Die soll nach sechs Monaten „Testlauf“ nachgeholt werden. „Ganz okay“ findet das Roland Kuhn, CEO der Kuhn S.A., eines der größten Luxemburger Baubetriebe, und Präsident des Verbands der Bau- und Tiefbauunternehmen. Seine Firma, berichtet Kuhn, lasse auf einer Baustelle in Zolwer den Schutt jeden Tag neu auf einen Haufen karren, in Erwartung der Deponie in Sassenheim. Aber das sei ja zum Glück bald nicht mehr nötig.

Sassenheim und Strassen werden allerdings die Bauschuttdiskussion nicht beenden. In den letzten Jahren seien die Deponieplanungen „stets am Limit“ erfolgt; das müsse aufhören, versprach Premier Xavier Bettel (DP) in seiner Erklärung zur Lage der Nation am 2. April. Und kündigte an, insgesamt vier neue Deponien „im Zentrum und im Süden“ würden bis zum Ende der Legislaturperiode bereitgestellt. Die Bauunternehmer wiederum hatten ganz unabhängig von dem Zwischenfall in Monnerich der neuen Regierung ihre Forderungen präsentiert: „Eine Woche vor dem Erdrutsch trafen wir die Spitze des Nachhaltigkeitsministeriums und legten eine zehn Jahre alte Studie vor, nach der man 15 Deponien im Lande braucht“, sagt Pol Faber, Generalsekretär des Groupement des entrepreneurs. „Derzeit“, rechnet er vor, „funktionieren nur fünf richtig.“ Und nicht neun bis zehn, wie es dem Plan sectoriel décharges pour déchets inertes zu entnehmen ist, der eigentlich seit 2006 für ein Netz aus neun regionalen Deponien sorgen soll. Eine große Bauschuttdebatte, so könnte man folgern, steht womöglich erst noch bevor.

Und sie könnte für das seit dem Regierungswechsel von grünen Politikern geführte Nachhaltigkeits- und Infrastrukturministerium zur Herausforderung werden. „Wir haben eine Reihe Deponien, aber leider Probleme mit der Tageskapazität“, räumt Robert Schmit, der Direktor der Umweltverwaltung, ein. Dass in allen neun Regionen gleichzeitig genügend Kapazitäten zur Verfügung stehen, sei „selten“. Vor allem in ehemaligen Steinbrüchen, die jetzt als Bauschuttdeponie dienen, könne es kurzfristige Engpässe geben. Die Schotterwerke in Moersdorf im Osten des Landes hätten sogar für ein ganzes Jahr pausieren und hergerichtet werden müssen.

Pol Faber vom Groupement des entrepreneurs sieht die Lage noch kritischer: „In den Steinbrüchen in Bridel, Remerschen, Altwies und Brouch darf man eine LKW-Ladung Bauschutt nur abladen, wenn man eine Ladung Steine oder Sand mitnimmt.“ Die Deponie Folkendingen – die 2002 schließlich doch genehmigt wurde – sei „klein“. Die in Rosswinkel bei Echternach auch. „Bleiben Hosingen, Nothum und Colmar-Berg.“ Letztere, die laut Plan sectoriel eigentlich nur für die Bauschutt-Region „Zentrum“ gedacht ist, die von Ettelbrück bis Walferdingen reicht, wird derzeit aber von 800 LKW am Tag angefahren. Die kommen sowohl aus dem Hauptstadtumland wie aus dem Minettebecken. So viel eigentlich ungebetene Kundschaft senkt natürlich die Lebensdauer einer Deponie. In einem technischen Bericht, der 2003 in Vorbereitung des Plan sectoriel entstand, wurde geschätzt, dass die in Colmar-Berg im Jahre 2013 gefüllt sein werde. Vor zwei Jahren wurde eine Erweiterung genehmigt. Wie vorher schon für die Deponien in Nothum und Hosingen. Das ist es, was der Premier mit „am Limit geplant“ meinte: Von dem, was 2006 in den neun Deponieregionen in Betrieb war oder kurz vor der Eröffnung stand, hätte nur zwischen Altwies und Remerschen sowie im Westen bei Bettborn auch über das Jahr 2014 hinaus noch Kapazität bestanden. So dass ein latenter Bauschuttnotstand tatsächlich programmiert ist. Eine Kommission aus Vertretern der Regierung und der Baubranche sucht, so sieht der Plan sectoriel es vor, permanent nach Ersatz für Deponien, die überzulaufen drohen.

Braucht Luxemburg also nicht nur immer neue, sondern auch mehr Bauschuttdeponien? Die Umweltministerin antwortet darauf mit Ja. „Es muss mehr kleinere, regional verteilte Deponien geben.“ So blieben auch die Anfahrtswege kurz. Ähnlich hatten Anfang März auch die Bauunternehmer argumentiert: Müssten die LKW für den Transport von drei Millionen Tonnen Bauschutt – ungefähr die Hälfte der jährlich hierzulande deponierten Menge – 30 statt 80 Kilometer Hin- und Rückfahrt absolvieren, ließe sich ein Dieselvolumen einsparen, das dem Jahres-Wärmebedarf von knapp 1 200 Einfamilienhäusern entspricht.

Aber Carole Dieschbourg schiebt gleich nach: „Wir müssen anders bauen. Darauf bestehe ich.“ Dass pro Tag bis zu 20 000 Tonnen Bauschutt produziert würden, gebe „zu denken“. Gesagt hat sie das schon im März im Parlament. Premier Bettel war im État de la nation ebenfalls der Meinung, abgesehen von der Lösung des akuten Deponienotstands müsse ein „anderes Bauen“ her.

Einfach wird das nicht. Denn in Luxemburg wird nicht unbedingt falsch, aber auf jeden Fall viel gebaut. Daher kommen die 8,3 Millionen Tonnen „Erdaushub“, die im Jahr 2010 produziert wurden: 16,3 Tonnen pro Einwohner, der absolute Spitzenwert EU-weit. Das Ökoinstitut Darmstadt hatte im Jahr 2000 in einer Studie noch gemeint, die damals 12,5 Tonnen pro Einwohner seien auf Autobahnbauten und die neu errichteten Krankenhäuser auf dem Kirchberg und in Ettelbrück zurückzuführen, und das Aufkommen werde in den Jahren danach wohl sinken. Ein Irrtum, wie sich heute zeigt.

Hinzu kommt: Der Erdaushub macht bei weitem das Gros am Bauschuttaufkommen aus, und die davon zuletzt Jahr für Jahr in Deponien und Steinbrüchen untergebrachten sechs bis 6,5 Millio-nen Tonnen halten nicht nur die Bauunternehmer, sondern auch die Umweltverwaltung und die Ministerin für kaum noch zu unterbieten – jedenfalls nicht durch Wiederverwendung. „Was sich davon wiederverwenden lässt, etwa in Lärmschutzwällen, wird auch wiederverwendet. Das schreiben schon die Ausschreibungsunterlagen für die Projekte vor“, sagt Roland Kuhn. Leider aber könne man mit den überwiegend lehmhaltigen Böden „sonst nicht viel anfangen“. So sieht das auch die Ministerin: „Deshalb müssen wir an der Wurzel ansetzen“.

Doch damit sind komplexe, auch politische Fragen verbunden. Etwa, falls man dafür sorgen wollte, dass für Büro- und Verwaltungsgebäude die Zahl der Tiefgaragen-Parkplätze sinkt, damit weniger tief gegraben werden muss. In der Hauptstadt wird schon seit Jahren nur noch ein Parkplatz pro 125 Quadratmeter Bürofläche genehmigt. Umlandgemeinden geben durchaus doppelt bis drei Mal so viel, um Dienstleistungsfirmen aus Luxemburg-Stadt fort zu locken. „Und nicht weniger Gemeinden“, sagt Roland Kuhn, „erlauben in ihren kommunalen Bautenverordnungen, dass für Apartmenthäuser zwei Tiefgaragenplätze pro Wohnung geplant werden dürfen.“

„Ich löse das Problem natürlich nicht allein“, sagt Dieschbourg, „es betrifft die Gemeinden, die Landesplanung, die Politik zur Förderung des öffentlichen Transports.“ Und in den Griff bekommen lasse es sich „nur auf längere Sicht“.

In der Zwischenzeit aber wird sich die Frage stellen, wo denn im Süden des Landes, wo zuletzt zwei Drittel des Erdaushub-Aufkommens produziert wurden, neue Deponien angelegt werden sollen. Neben der in Sassenheim habe die Bauschutt-Kommission auch Standorte in Düdelingen und Leudelingen zurückbehalten, berichtet der Direktor der Umweltverwaltung. Doch dagegen hatten die Gemeinderäte dieser Kommunen 2012 aufbegehrt, darunter auch der Düdelinger Bürgermeister, Ex-Umweltminister und heutige LSAP-Kammerfrak-tionssprecher Alex Bodry persönlich. Auf die Frage, ob sie auf diese Standort-Ideen zurückkommen werde, weil der staatliche Plan sectoriel über die Bauschuttdeponien kommunale Planungen übersteigt, antwortet die Umweltministerin ausweichend, man werde „mit allen Beteiligten reden“ und „begründete Einwände natürlich berücksichtigen“. Aber sie weiß auch, dass Bauschutt bei den Leuten nach wie vor ein Image-Problem hat – auch wenn es sich bei dem Schutt vor allem „um unseren Luxemburger Boden“ handelt, wie Roland Kuhn schon beinah sentimental betont. Und vielleicht machte es sich im Juli 2002 der damalige Oppositonsabgeordnete Camille Gira doch ein bisschen leicht, als er im Namen des Gemengerotsgrupp von Déi Gréng die CSV-DP-Regierung belehrte, die Durchsetzung einer „nachhaltigen Bauschuttbewirtschaftung“ mit „möglichst hohen Vermeidungsquoten“ bedürfe es natürlich „politischen Mutes“.

Peter Feist
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