Tripartite

Neue Bescheidenheit

d'Lëtzebuerger Land vom 25.02.2010

„Es ist im Augenblick nichts auf dem Tisch, aber es ist auch nichts vom Tisch.“ So fasste CSV-Fraktionssprecher Jean-Louis Schiltz die Vorbereitungen der Tripartite-Verhandlungen zusammen, als er am Dienstag den Versammlungsraum des Staatsministeriums verließ. Sollte das eine unbedarft daherkommende, beißende Kritik gewesen sein, zeigte sich bereits, welchen Gewinn es bedeutete, Parlamentarier an der Tripartite zu beteiligen.

Denn die Regierung scheint noch immer wie die Katze um den heißen Brei zu schleichen. Nach den klassenkämpferischen Tönen von Unterneh­merverbänden und Gewerkschaf-ten Ende letzten Jahres sucht sie in formellen und informellen Vorgesprächen, die Sozialpartner zu beruhigen, den Verhandlungsspielraum auszuloten und so den eigentlichen Debatten die Spitze zu brechen. Während einer weiteren Klausur im militärisch abgeschirmten Schloss Senningen will sie eine Zwischenbilanz ziehen und entscheiden, ob eine weitere Runde Einzelgespräche nötig ist. Dann könn­te die anfangs für Januar, dann für Februar angekündigte Tripartite erst Mitte oder Ende März beginnen.

Doch auch nach den ersten Einzelgesprächen vor einem Monat rätseln verschiedene Sozalpartner noch immer darüber, worüber überhaupt diskutiert werden soll. Die Sanierung der Staatsfinanzen, die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit des Produktionsstandorts und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit seien die großen Themen, versprach ihnen der Premier.

Doch manche schätzen, dass es am Ende gehen wird wie 2006, als die Tripartite bloß eine Senkung der Staatsausgaben absegnen sollte. Die entsprechende Senkung als Ausstieg aus der antizyklischen Defizitpolitik hat die Regierung bereits in Form des Stabilitätsprogramms vorgegeben, die Tripartite braucht nur zu unterschreiben. LSAP-Fraktionssprecher Lucien Lux nannte das am Dienstag „Fragen einer neuen Bescheidenheit in einer Reihe von Fragen“.

Das Einverständnis der Gewerkschaf­ten zu Kürzungen der Sozialtransfers soll dann vielleicht mit der als Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ausgegebenen Erhöhung der Solidaritätssteuer und einer versprochenen Reform des Mitbestimmungsgesetzes erkauft werden. Die Unternehmer wünschen sich vor allem eine Erhöhung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit durch die Lockerung der Vorschriften und Prozeduren. Sie fürchten deshalb, dass sie nun noch einmal die Versprechen der vorherigen Tripartite und des Konjunkturpakets vom letzten Jahr aufgewärmt bekommen.

Premier Jean-Claude Juncker hatte zusammen mit Finanzminister Luc Frieden am Dienstag die Fraktionssprecher von CSV, LSAP, DP und Grünen, Jean-Louis Schiltz, Lucien Lux, Xavier Bettel und François Bausch, sowie die Parteivorsitzenden Michel Wolter (CSV), Alex Bodry (LSAP), Claude Meisch (DP) und für die Grünen Felix Braz eingeladen, um über die Einbindung der Abgeordnetenkammer in die Tripartite-Verhandlungen zu diskutieren. Auffallend war nicht nur, dass ADR und déi Lénk, deren Abgeordneten keine Fraktion bilden, bei dem Gespräch fehlten, sondern vor allem, dass der Premier vergessen hatte, den Präsidenten der Abgeordnetenkammer, seinen Parteikollegen Laurent Mosar, einzuladen.

Dabei hatte sich der die Öffentlichkeit keineswegs scheuende Mosar wie kein anderer dafür eingesetzt, dass das Parlament nicht nur die Entscheidungen der Tripartite aufzutischen habe, sondern sie auch mit kochen dürfe, wie er sich während des Neujahrsempfangs der Kammer vor seinen verdutzten Kollegen blumig ausgedrückt hatte. DP-Fraktionssprecher Xavier Bettel hatte sich in einem offenen Brief von dieser Forderung distanziert, die nicht mit dem Kammerbüro oder der Präsidentenkonferenz abgesprochenen worden sei.

Doch jedesmal, wenn die Tripartite in einer dramatischen Atmosphäre als schicksalhaft dargestellte Entscheidungen von nationaler Tragweite treffen soll, werden Forderungen nach einer Ausweitung des trauten Kreises von Ministern, Gewerkschaftern und Unternehmern laut. Wenn nationale Solidarität geübt werden soll, so schien die Überlegung zu gehen, sollte am besten die ganze Nation an der Tripartite teilnehmen.

Auch Umweltschutzvereine spielten bereits mit der Idee, sich im Namen der „Zivilgesellschaft“ zur Tripartite einzuladen. Doch vor allem gab es immer wieder Abgeordnete, wie der ehemalige CSV-Deputierte und LCGB-Präsident Marcel Glesener, die frustriert darüber waren, dass sie nur noch Tripartite-Abkommen zur Ratifizierung vorgelegt bekamen. Deshalb hatte Glesener schon ein Jahrzehnt vor Laurent Mosar gefordert, dass das Parlament zumindest Beobachterstatut bei den Dreierverhandlungen bekäme, ähnlich den Regierungsbeamten die sich während der Sitzungen hilfreich im Hintergrund zur Verfügung halten.

Doch bei der Gewaltentrennung im Staat schien Montesquieu die Tripartite übersehen zu haben. Deshalb lehnte bisher einer Mehrheit der Abgeordneten unter Berufung auf die Gewaltentrennung die Einbindung des Parlaments in die möglicherweise zur Exekutive gezählten Tripartite ab. Nach den Erfahrungen des Rententischs, der einzigen Tripartite, an der auch Vertreter der Kammerfrak­tionen teilnahmen und bei der die Regierung die Kontrolle verloren hatte, fürchtet die Regierung eine um Parlamentarier ergänzte Tripartite wie der Teufel das Weihwasser.

Immer wiederkehrender Einwand gegen jede Beteiligung des Parlaments ist die Warnung vor dem Ständestaat – auch wenn das Argument ab und zu die politischen Fronten wechselt. Schließlich hatte schon 1924 die einfarbig schwarze Regierung Neyens erwogen, die Berufskammer zu einem ständischen „Wirtschaftsparlament“ zu vereinen, wie es auch der geistliche Vordenker der Rechtspartei, Jean-Baptiste Esch, 1937, vorgeschlagen hatte. Andererseits hatten 1977 LSAP und DP in Artikel 21 des Tripartite-Gesetzes geschrieben, dass Krisenmaßnahmen nur auf den „avis majoritaire des membres de chacun des groupes représentant les employeurs et les syndicats les plus représentatifs sur le plan national“ ergriffen werden könnten. Nach den Wahlen von 1979 war es dann die ehemalige Rechtspartei CSV, die das sozialliberale „Vetorecht“ aus dem Gesetz strich, um die Vorrechte des Parlaments wieder herzustellen.

Dass sich am Dienstag Regierung und Fraktionen absprachen, soll nun unter­streichen, dass zwecks Gewaltentrennung weniger das Parlament als die Parteien für die Tripartite zuständig sind. Das Parlament solle an den Tripartite-Arbeiten „teilnehmen, ohne direkt dabei zu sein“, wie sich CSV-Präsident Michel Wolter ausdrückte.

Premier Jean-Claude Juncker versprach, die Fraktionsvorsitzenden regelmäßig über den Stand der Verhandlungen aufzuklären. Das heißt in der Praxis: die beiden Opposi­tionspolitiker Xavier Bettel und François Bausch, denn die Frak­tions­vorsitzenden der beiden Mehrheitsparteien arbeiten die Posi­tionen der Regierung ohnehin mit aus. Vor der erhofften Unterzeichnung des Tripartite-Abkommens will die Regierung zudem – wie bereits in der Vergangenheit ­– den Finanzausschuss des Parlaments über den Stand der Dinge informieren.

DP-Präsident Claude Meisch wünschte sich nach dem Treffen im Staatsministerium, dass die Regierung ihre Vorschläge vor Beginn der Tripartite-Verhandlungen öffentlich macht, damit auch eine „öffentliche Debatte im Land“ stattfinden könnte. Aber das würde die Gewaltentrennung wohl zusätzlich verwirren.

Romain Hilgert
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