Transportflugzeug und Viertelkriegsschiff

In der Luft und zur See

d'Lëtzebuerger Land vom 07.06.2001

"Und Flugzeuge müssen her / Und Kriegsschiffe über das Meer / Um dir, Bruder, einen Teller Suppe zu erobern." (Bertolt Brecht: Die heilige Johanna der Schlachthöfe)

 

Verschiedene LSAP-Politiker drückten in den letzten Wochen ihre Enttäuschung darüber aus, dass die CSV/DP-Koalition zwei Jahre Amtszeit verstreichen gelassen habe, ohne markante Neuerungen durchgesetzt zu haben. Aber das ist sicher ungerecht.

Denn wenn ihm am Ende der Legislaturperiode auch sonst keine Reform gelungen sein mag, dann geht das Juncker/Polfer-Kabinett ein Viertel Jahrhundert nach Abschaffung der Wehrpflicht vielleicht einmal als die Regierung der resoluten Remilitarisierung in die Geschichte ein. Und nur im historischen Vergleich lässt sich das Ausmaß dieser Politik angemessen bewerten. Denn wäre es bis vor kurzem überhaupt vorstellbar gewesen, dass die Armee wieder Werbeveranstaltungen in den Schulen organisiert, um Soldaten zu rekrutieren? Auch wenn das angekündigte "humanitäre Korps" wohl schon nicht mehr so geschaffen wird, wie es noch vor zwei Jahren groß angekündigt worden war. War beim Fall der Berliner Mauer vor einem Dutzend Jahren eine "Friedensdividende" versprochen worden, so kündigte die Regierung nun an, im Laufe der Legislaturperiode die Militärausgaben auf mehr als ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Und wäre nicht vor zwei oder drei Jahren noch jeder in schallendes Gelächter ausgebrochen bei der Vorstellungen, dass der Zwergstaat den Gegenwert von zwei bis drei Pei-Museen ausgibt, um sich ein Viertel Militärschiff und ein ganzes Militärflugzeug zu kaufen, wie am letzten Freitag von der Regierung beschlossen? Die unglücklicherweise am 1. April 1957 gegründete Section d'aviation légère der großherzoglichen Armee wurde jedenfalls nur zehn Jahre alt, dann war ein Piper abgestürzt, die beiden anderen wurden an Hobby-Flieger verkauft.

Die Voraussetzungen schuf die Koalition bereits bei der Regierungsbildung, als sie die Ressorts Armee, Entwicklungs- und Katastrophenhilfe in die Hand eines einzigen Ministers legte. So sollte unter dem Vorwand "humanitärer Aufträge" der Armee die Steigerung der Militärausgaben politisch durchgesetzt werden. Auch wenn mit dieser bedenklichen Vermischung eine Trennung wieder aufgehoben wurde, für die vor über einem Jahrhundert das Rote Kreuz gegründet worden war: dass Soldaten und Sanitäter nicht dasselbe sind und nur erstere unter Beschuss genommen werden sollen. Und welcher Krieg der letzten 1 000 Jahre wurde nicht unter dem Vorwand geführt, Menschlichkeit und Zivilisation Vorschub zu leisten?

Wie der Zufall so will, möchte Belgien seine Hercules-Transporter aus den Fünfzigerjahren ersetzen und seiner Marine erstmals wieder ein größeres Transportschiff anschaffen. Wobei die Nato ihre Mitgliedstaaten dazu drängt, zusätzliche Transportkapazitäten zu schaffen, seit sie nach dem Ende des kalten Kriegs offensive Einsätze "out of area", außerhalb des nordatlantischen Vertragsbereichs begonnen hat. Und die Luxemburger Regierung beschloss nun, Belgien Bares zuzuschießen, um innerhalb der Nato ihr Soll zu erfüllen und nicht als kleiner, reicher Schmarotzer dazustehen.

Das seit längerem vorbereitete Geschäft war während des Besuchs von Premier Jean-Claude Juncker am 15. und 16. Mai in Belgien abgemacht worden, und die belgische und die luxemburgische Regierung verabschiedeten im Bemühen um ein starkes diplomatisches Symbol die bi- und multilateralen Abkommen über den Rüstungskauf am Freitag zeitgleich in Brüssel und Luxemburg und teilten ihn in zwei parallelen Pressekommuniqués mit. Juncker gab sogar zu verstehen, dass damit nach dem vom Euro eingeläuteten Ende des monetären Teils der belgisch-luxemburgischen Wirtschafts- und Währungsunion die UEBL nun verstärkt auf militärischem Gebiet eine neue Daseinsberechtigung erhalte. Wenn die Luxemburger Armee demnächst wieder irgendwo zwischen dem Golf und dem Balkan mit Hand anlegen will, um den vollwertigen Bündnisstaat zu markieren, ist sie auf belgische Logistik angewiesen. Und die Zusammenarbeit wird immer enger, seit sogar das nationale Munitionslager von Waldhof nach Belgien verlegt wurde, damit nicht der erstbeste Bombenleger das Arsenal stiehlt.

Mit dem geplanten Navire de transport belgo-luxembourgeois (NTBL) soll die belgische Marine erstmals wieder in größerem Umfang Truppen und Material transportieren und eine Kommandoplattform zur Unterstützung von Marineeinsätzen liefern. Entsprechend den Bedürfnisse der belgischen Marine und der entsprechenden Nato-Programme soll ein Lastenheft für eine Ausschreibung erstellt werden, um das geeignete Schiff zu kaufen. 

Die vom belgischen Verteidigungsministerium vorbereitete Ausschreibung wünscht ein Schiff, das ein Militärfahrzeug-Konvoi von 1 700 Meter Länge, fünf Helikopter oder 650 Soldaten aufnehmen kann. Es soll mit Maschinengewehren, Kanonen, Sonargerät und Torpedo-Abwehr ausgerüstet sein. Um den Auftrag dürften sich unter anderem Werften in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland bewerben.

Nach Angaben von Staatsminister Jean-Claude Juncker soll Luxemburg 1,75 Milliarden beitragen. Die belgische Regierung veranschlagt den Preis der Erwerbung derzeit auf 7 650 Millionen Franken, wovon Luxemburg 25 Prozent übernehmen soll, was 1 912,5 Millionen ausmacht. Trotz des Zuschusses bleibt das belgisch-luxemburgisch beflaggte Schiff in belgischer Hand. Die Luxemburger Armee hat ohnehin nicht einmal Personal, um auch nur einen Teil der 200 Mann und Frau starken Besatzung zu stellen.

Gleichzeitig beschloss die belgische Regierung, sieben Airbus A400M zu kaufen und einen für das Konto Luxemburgs zu bestellen. Der 42 Meter lange und 42 Meter breite taktische Militärtransporter mit großer Reichweite soll unter anderem ein Roland Boden-Luft-Raketensystem, zwei Angriffshelikopter oder 120 Fallschirmspringer transportieren - wenn er denn einmal gebaut ist. Denn augenblicklich existiert er nur als Computer-Animation. Mit einer Nutzlast von 30 Tonnen soll seine Reichweite bei 4 540 Kilometer, mit 20 Tonnen bei 6 574 Kilometer liegen, er soll aber in der Luft betankt werden können. Entsprechend dem gemeinsamen europäischen Future Large Aircraft-Programm muss diese Maschine sowohl taktisch auf dem Gefechtsfeld einsetzbar sein, als auch logistisch Nachschub liefern können.

Die frühestens 2013 gelieferte, mit dem roten Löwen beflaggte Maschine soll zusammen mit den sieben belgischen bei dem 15e Wing de transport der belgischen Luftwaffe stationiert werden. Weil Luxemburg weder eine Besatzung dafür hat, noch sich die Wartung einer einzigen Maschine lohnt, noch eigentlich eine Verwendung dafür hat. Kompliziert ist laut Juncker noch die Regelung der Verantwortung bei Unfällen.

Der Preis eines Transporters wird derzeit von Airbus auf 85 Millionen Euro oder 3 429 Millionen Franken geschätzt. 1999 war das Gesamtprogramm aber bereits auf 150 Milliarden französische Francs beziffert worden, was einem Stückpreis von 4 230 Millionen entspräche. Juncker meinte letzte Woche, die Anschaffung dürfte zwischen 4,8 und sechs Milliarden Franken zu stehen kommen. Doch weil die Maschine erst in der Entwicklung ist, lehrt die Erfahrung solcher Rüstungsprojekte, dass der Preis am Ende weit höher ausfallen dürfte. Der deutsche Bundesrechnungshof schätzte bereits die Gesamtkosten für Beschaffung und Betrieb einer Maschine auf umgerechnet 11,3 Milliarden Franken. Doch von den Folgekosten ging in Luxemburg bisher offiziell noch keine Rede.

Dafür kündigte Juncker an, dass Luxemburg über wirtschaftliche Kompensierungen verhandeln werde. Denn Teil der Airbus-Deals ist es, dass jedes Land proportional zur Zahl der von ihm gekauften Bestellungen Aufträge für seine heimische Industrie bekommen soll. Gemessen an den derzeitigen Absichtserklärungen steht Luxemburg ein 223-stel des gesamten Deals zu.

Die Entscheidung der belgischen und luxemburgischen Regierung vom Freitag drängte. Denn in 14 Tagen will Airbus bei der Pariser Rüstungsmesse von Le Bourget endlich ein Auftragsheft für sein großes Militärprojekt vorlegen können, um am 21. Juni um 14.00 Uhr alle Zweifel darüber zu zerstreuen, dass der Transporter überhaupt jemals gebaut wird. Und mit dem A400M will die europäische Airbus sich endgültig auch im Rüstungsgeschäft gegen die US-Konkurrenz von Boeing und Lockheed Martin behaupten.

In europäischen Militärkreisen wird zwar seit 15 Jahren über den Bau eines eigenen Transportflugzeugs debattiert, weil ein Großteil der über 400 Maschinen starken Transall- und Hercules-Flotte 25 Jahre alt ist, das Material für den Hightech-Krieg immer sperriger wird und die Nato-Staaten in immer entlegeneren Gebieten intervenieren. Weil es aber billigere Angebote der US-amerikanischen und russischen Konkurrenz gibt, werden immer wieder Zweifel laut, ob es überhaupt genügend Nachfrage gibt, um einen eigenen europäischen Transporter zu entwickeln. Doch auf diesem Gebiet sind marktwirtschaftliche Überlegungen zweitrangig.

Um die hohen Entwicklungskosten zu bezahlen, müssen mindestens 180 Maschinen bestellt werden; Airbus rechnet mit dem Absatz von 225 Maschinen zu einem Gesamtpreis von 20 Milliarden Euro. Insbesondere der größte Käufer, Deutschland, ließ sich aber sehr lange drängen, um sein Interesse an 75 Maschinen anzumelden. Die Finanzkrise in der Türkei in diesem Frühjahr führte dazu, dass die türkischen Nato-Partner ihr ursprüngliches Versprechen, 26 Transporter zu kaufen, auf einstweilen 20 kürzen mussten. Und selbst Belgien, das ursprünglich zwölf Flugzeuge bestellen wollte, will nur noch sieben kaufen. Da ist es zumindest ein kleiner Trost, wenn Luxemburg mit der Finanzierung eines achten einspringt. 

Premier Juncker versuchte, die Finanzierung eines Viertel Schiffes und eines ganzen Flugzeugs damit zu rechtfertigen, dass Luxemburg so Transportkapazitäten erhalte, um humanitäre Hilfe im Katastrophenfall zu leisten. Tatsächlich ist es in der Vergangenheit schon vorgekommen, dass die Cargolux nicht sofort eine Maschine bereit stellen konnte, um luxemburgische Decken und Zelte in ein Erdbebengebiet zu fliegen. Aber ob zwei solcher Einsätze pro Jahr den Erwerb eines Flugzeugs rechnen, dürfte bezweifelt werden. Um so mehr als die Regierung in einem Fall, wenn es um Leben und Tod geht, sogar eine Cargolux-Maschine requirieren könnte.

Jean-Claude Juncker äußerte sich am Freitag jedenfalls nur sehr gereizt zum Thema. Denn er scheint sich sehr unwohl in der Rolle des abgeblichen Militaristen zu fühlen. So verwies er gleich polemisch darauf, dass unter einer Regierung mit LSAP-Beteiligung der Entschluss gefasst worden sei, Awacs-Radarflugzeuge der US-Armee in Luxemburg zu immatrikulieren und die WSA-Militärlager anzusiedeln.

Wenn die belgische Luftwaffe ihre Transporter geliefert bekommt, will sie um 2015 auch ihre F-16 Kampfbomber ersetzen. Ob Luxemburg im Jahr der angedrohten Rentenmauer auch einen neuen belgischen Kampfbomber bezahlen wird, ist noch nicht entschieden. Die humanitäre Rechtfertigung dürfte dann jedenfalls schwieriger werden.

 

Romain Hilgert
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