Ein Bundestagswahlkampf, der keiner ist

Ausgewählt

d'Lëtzebuerger Land vom 18.08.2017

Am letzten Sonntag im September sind Bundestagswahlen. Das mag so recht noch niemand glauben. Zwar hängen seit vergangenem Wochenende die Konterfeis der jeweiligen Kandidaten an Straßenlaternen, doch so richtig im Wahlkampf angekommen sind Politik und Menschen noch nicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel machte demonstrativ in Sommerurlaub, ihr Herausforderer Martin Schulz von der SPD müht sich redlich, doch mag – trotz aller Vorschusslorbeeren – nicht so richtig zünden, selbst die Alternative für Deutschland (AfD) kann dem Land kein skandalträchtiges Stöckchen mehr hinhalten, über das Medienvertreter, Bürger und Politiker der etablierten Parteien springen sollen.

Es ist ein asymmetrischer Wahlkampf, in dem die Christdemokraten bewusst sedieren und die Sozialdemokraten keinen richtigen Angriff fahren. Man kann auch sagen, es herrscht gähnende Langeweile. Diese Unaufgeregtheit wird oft und gerne Angela Merkel in die Schuhe geschoben. Schließlich entschärfte sie alle zwischen der CDU und SPD umstrittenen Themen durch Vereinnahmung der gegnerischen Positionen. Zuletzt beim Thema „Ehe für alle“. Denn egal, wie die Wahl am 24. September ausgehen wird, und selbst wenn es dann nicht zu einer Neuauflage der Großen Koalition kommt, steht heute schon fest, dass eine der beiden heutigen Regierungsparteien wiederum an der Spitze der kommenden Bundesregierung stehen wird – ob nun als schwarz-gelbes, schwarz-grünes, rot-rot-grünes, oder nur rot-grünes, vielleicht auch schwarz-gelb-grünen Farbspiel.

Schon alleine dieser Fakt führt zu wahlkämpfender Langeweile. Denn so erklärt sich, warum sich Angela Merkel und Martin Schulz die Themen nicht verbal um die Ohren schlagen. Wie sollten sie auch dem Wähler erklären, dass CDU, CSU und SPD vier lange Jahre die Republik einfach nur verwaltet haben, um sich dann vier Wochen lang zu fetzen und sich gegenseitig falsche Politik vorzuwerfen an der schließlich beide beteiligt waren? Nur einmal kam es in der Geschichte Deutschlands zu einem kompletten Austausch der regierenden Parteien – und das war 1998 als Gerhard Schröders Rot-grün das Schwarz-gelb von Helmut Kohl ablöste, was schließlich zu einem wirklichen Politikwechsel führte. Es scheint, als fürchte niemand den Wechsel mehr als der deutsche Wähler.

Warum auch? Denn es geht ihm doch gut. Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosigkeit sinkt, man gibt den Ton an in Europa und hat Freunde all überall, außer in Washington. Also: alles prima! Vordergründig. Doch es gibt einen Investitionsstau im Land, nicht weil die Gelder fehlen, sondern es an dem Personal mangelt, das die Gelder ausgeben könnte. Die Schere zwischen Arm und Reich, zwischen Gebildet und Ungebildet, zwischen Stadt und Land, zwischen Alt und Jung wird immer größer. Deutschland lebt von der Substanz und von dem Fakt, dass die Zinsen weltweit niedrig sind, so dass andere Länder und Staaten kräftig investieren, wo von vor allem auch die deutsche Wirtschaft mit prall gefüllten Auftragsbüchern profitiert und einen Exportrekord nach dem nächsten einfährt. Der Wähler hat es sich kommod gemacht in seiner Komfortzone und hofft inständig, dass ihm diese auch nach der Wahl im September erhalten bleibt.

Doch da sieht die Weltpolitik vor. Baustellen hält diese für die neue Bundesregierung genügend vor. Da ist zum einen Europa und wie die Europäische Union nach dem Brexit aussehen soll. Da ist der Konflikt zwischen den USA und Nordkorea und wie sich Deutschland einbringen kann, da es eines der wenigen Länder ist, das noch diplomatischen Kontakt zu Pjöngjang unterhält. Da sind die gesellschaftlichen und ökonomischen Themen wie demografischer Wandel, Bewältigung der Flüchtlingskrise, innere Sicherheit oder der Mangel an gut ausgebildeten Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt sowie überhaupt die Zukunft der Arbeit. Dann noch der Dieselskandal, Kartellvorwürfe und der Klimawandel.

Schulz mag Merkel bei diesen Themen nicht angreifen. Das resultiert einerseits daraus, dass er es gar nicht kann. Denn Schulz und Merkel sind sich viel zu ähnlich. Beinahe gleich alt, gleich emotionslos. Die Plakate altbacken. Die Parolen abgegriffen. Die SPD setzt auf den abstrakten Begriff „Gerechtigkeit“, die CDU auf den Slogan „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ – was auf Twitter nach dem Willen von CDU-Generalsekretär zum Hashtag „fedidwgugl“ werden sollte. Die Freien Demokraten präsentieren sich als neoliberale Partei ohne jedwede Biografie und politische Botschaft, die einfach auf Hochglanz und Glitter setzt. Die Grünen bleiben bei ihrer Farbe. Die AfD bei markigen, alternativen Fakten.

Keine der Parteien setzt auf eine Vision oder einen Plan, wie es etwa mit Europa und der europäischen Integration weitergehen soll, kann oder wird. Dabei überrascht es sehr, dass vor allem Martin Schulz sich hier in Schweigen hüllt, wo doch gerade Europa eigentlich sein Kernthema, seine Kompetenz sein sollten, gerade aufgrund seines politischen Werdegangs. Er weicht wie alle anderen Spitzenkandidaten den Themen aus, etwa was Deutschland von Europa und was die EU von Deutschland zu erwarten hat. Ob nach dem Austritt Londons eine dominante Rolle in Brüssel einnehmen wird oder wieder stärker auf die Zusammenarbeit mit Paris setzen wird? Dabei muss es allen politischen Protagonisten klar sein, dass Deutschland und Europa nicht länger nur verwaltet werden dürfen, sondern gestaltet werden müssen, um die Folgen der Globalisierung und der globalen Krisen für die Bürgerinnen und Bürger bewältigen zu können.

Andererseits treffen Politikerinnen und Politiker auf Wähler, die sich kaum noch an der politischen oder gesellschaftlichen Diskussion beteiligen möchten – oder in der Debatte auf radikale, wenn nicht gar extremistische Positionen setzen, um endlich Gehör und Aufmerksamkeit für die eigenen Bedürfnisse zu finden. Wahlen, wie die anstehende Bundestagswahl, zeigen den Schwachpunkt von Demokratien auf, wenn diese zu Parteiendemokratien westlicher Prägung werden. Wenn – wie im Beispiel Niedersachsen – eine Mandatsträgerin aus persönlicher Eitelkeit das Lager wechselt und eine Regierung stürzt. Dann zeigt sich, dass sehr oft in der Parteiendemokratie das persönliche Wohl über das sogenannte politische oder Allgemeinwohl gestellt wird, dass Demokratie zum egoistischen Machterhalt missbraucht wird. Dazu braucht es am Ende überhaupt keinen Wahlkampf mehr.

Martin Theobald
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