Die Hamletmaschine

Ich war Hamlet

d'Lëtzebuerger Land vom 24.02.2011

Es war einmal Heiner Müller, vorübergehend einer der weltweit meistinszenierten Theaterautoren. Er starb 1995, nur wenige Jahre nach seinem Lieblingsthema, dem bisher gewaltigsten Versuch eines politischen und gesellschaftlichen Gegenentwurfs zu den herrschenden Verhältnissen. Zusammen mit seinem Lieblingsthema gerät er nun langsam in Vergessenheit.

In seinem vielleicht bekanntesten Werk, in der auch hierzulande im Laufe der Jahre wiederholt aufgeführten Die Hamletmaschine, nahm Müller bereits 1977 das Ende des historischen Gegen­entwurfs und die darauf folgende Epoche, in der wir nun leben, vorweg. Der als Beiprodukt einer Shakespeare-Übersetzung entstandene Hamlet-Kommentar konzentriert sich auf den dänischen Prinzen, einen in Wittenberg geschulten „Universitaire“, wie das bei Hofe heißt, einen Intellektuellen, der „im Rücken die Ruinen von Europa“ spürt, angetrieben vom Geist seines ermordeten Vaters oder sonst einem Gespenst der Geschichte. Bekanntlich kann er sich nicht entscheiden, bis er „keine Rolle mehr“ spielt und das Theater zu Ende ist. Und auf Ophelia, die bei Müller immer wiederkehrende Frau und Kolonie, die auch dann nicht aufgeben kann, wenn in Shakespeares Original die Tragödie in einem lächerlichen, allgemeinen Blutbad endet.

Nach Germania. Stücke und Müllers Übersetzung der nächste Woche ebenfalls gastierenden Die Perser hat der aus Bulgarien stammende Dimiter Gotscheff, ein alter Bekannter Müllers aus DDR-Zeiten, Die Hamletmaschine neu inszeniert und, zusammen mit Valerie Tscheplanowa und Alexander Khuon, in einem stilisierten Gräberfeld als lärmender Laiendarsteller mit schwerem bulgarischem Akzent gespielt. Einen besseren Prolog, um eine perspektivische Verlängerung bis in die Gegenwart herzustellen, als einen Auszug aus Müllers grandiosem Abschiedsgedicht Mommsens Block hätte Gotscheff nicht finden können.

Die Hamletmaschine ist zu einem Mythos unter Exegeten geworden, weil der in der Rotbuch-Ausgabe gerade neun Seiten lange Text ohne genaue Rollenaufteilung und Regieanweisungen als dunkel und schwer verständlich gilt. „Fremdartig und rätselhaft“, wie das Theaterprogramm warnt, ist er allerdings nur für Zuschauer, die sich weigern, sich auf Müllers zu DDR-Zeiten als „geschichtspessimistisch“ kritisierten Blick auf das blutige 20. Jahrhundert einzulassen. Jede neue Aufführung ist deshalb auch eine willkommene Gelegenheit, zu überprüfen, wie fremd und verstaubt Die Hamletmaschine und Müllers grotesker Katastrophenpathos inzwischen geworden sind.

Nach der Premiere 2007 am Deutschen Theater in Berlin gingen die Meinungen weit auseinander, ob Gotscheff Müllers ekstatischen Zitatensteinbruch verständlicher machte oder bloß verkitschte. Doch vier Jahre später dürfte den Zuschauern in Luxemburg der Zugang zu dem Stück wieder viel leichter fallen. Denn wenn Le Monde am Sonntag in Erinnerung an 1848 schon nach einem neuen „Völkerfrühling“ südlich des Mittelmeers fragte, dürfte selbst dem zufriedenen Luxair-Tours-Kunden dämmern, dass Ophelia gerade den Mohamed Bouazizi spielt und zwischen Tunesien und Bahrain die Geschichte wieder für einen Augenblick offen ist.

Romain Hilgert
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