Neuer Direktor in Schrassig

Der Seiteneinsteiger

d'Lëtzebuerger Land vom 12.11.1998

Schuld sind amerikanische Filme. "Der Gefängnisalltag ist anders und der Wärter kaum mit der Rolle vergleichbar, der ihm in den US-Produktionen zufällt". betonte Georges Rousseau der neue Direktor der Schrassiger Haftanstalt. Und weil die Öffentlichkeit so wenig über die "gesellschaftlich wertvolle Arbeit" der Justizvollzugsbeamten weiß und sie all zu oft als reine "Schlüsselumdreher" abstempele, hat Rousseau ein erstes Arbeitsfeld rasch gefunden. Das beschädigte Image des Wachpersonals muß aufpoliert, ihre vielschichtige Arbeit besser nach außen dargestellt werden. Eine der ersten Amtshandlungen des jungen Gefängnisdirektors bestand somit darin, mit Hilfe des Service Information et Presse einen Dokumentarfilm über den Alltag eines Luxemburger Gefängniswärters drehen zu lassen. Rousseau möchte diesen Film in einer ersten Phase im militärischen Ausbildungszentrum auf Härebierg zeigen lassen, anschließend soll er auch Schulen angeboten werden. Mit der Imageaufbesserung verbindet der Direktor Hoffnungen auf eine Steigerung der Nachfrage nach Wärterstellen. Es ist allgemein bekannt, daß trotz der guten Bezahlung diese Laufbahn und der minimalen Zugangsvoraussetzungen - die Karriere des Wächters setzt ähnlich der des Briefträgers keine schulische Vorbildung voraus und baut auf einer dreijährigen Grundausbildung auf Härebierg auf - die Neueinstellungen derzeit nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken.

 

Auf Distanz zu den Skandalen von früher

 

Rousseau, der von zwei beigeordneten Direktoren, einer Psychologin und einem langjährigen Mitarbeiter der Gefängnisverwaltung, assistiert wird, setzt bei dem Glied in der Gefängnisverwaltung an, das sich zu wenig in die Reformversuche der letzten Jahre eingebunden sieht. Dem allerdings eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zukommt. Auf die Jahresversammlung der Association du personnel de garde des établissements pénitentiaires du Grand-Duché de Luxembourg (APG), die im Februar dieses Jahres stattfand, hatten die Wächter erstmals die Presse eingeladen, um ihren Unmut öffentlich auszudrücken: Der damaligen Direktion wurde vorgeworfen, einseitig die Interessen der Gefängnisinsassen zu verteidigen, der Ex-Justizminister stand in der Kritik, auf offizielle Schreiben der APG nicht zu antworten.

Erst unter dem Führungswechsel in den verschiedenen Ämtern des Strafvollzugs scheint sich das Klima wieder gebessert zu haben: Aus dem Justizministerium wird signalisiert, einer Grundforderung des Wachpersonals werde in Kürze entsprochen. Die Ausbildung der Wächter, die bisher im Rahmen eines einjährigen Praktikums in der Haftanstalt stattfand und deren Qualität weitgehend vom Wohlwollen und vom Einsatz von älteren Wächtern abhing, soll strukturiert und inhaltlich definiert werden. Während ihres Praktikums werde den Anwärtern künftig auf der rheinland-pfälzischen Justizvollzugsschule das nötige technische Fachwissen vermittelt, in Luxemburg soll u.a. ein Einführungskurs in das Strafrecht absolviert werden. Das Entgegenkommen des Ressortministers Luc Frieden wird von der APG begrüßt, ebenso wie die Entscheidung des neuen Delegierten der Staatsanwaltschaft Claude Nicolay, eine Vertretung des Personals bei Entscheidungen im Bereich der Gefängnisverwaltung hinzuziehen.

Auch der Imagekur des neuen Gefängnisdirektors steht das Wachpersonal aufgeschlossen gegenüber: Der Umgang mit dem neuen Gefängnisdirektor sei gut, äußern einzelne Wärter: das Personal sei vor allem deswegen weitgehend neutral gegenüber Rousseau eingestellt, da er nicht in Verbindung gebracht werden kann mit früheren Amtsinhabern von denen einer durch dauernde Abwesenheit auffiel und ein weiterer des Machtmißbrauchs bezichtigt wurde. Rousseau ist bisher gefängnisintern ein ungeschriebenes Blatt: Der Seiteneinsteiger, der nach einem Wirtschaftsstudium im Notariatswesen arbeitete und anschließend nach einem kurzen Praktikum an die Spitze der Schrassiger Haftanstalt katapultiert wurde, hält dieses Profil für vorteilhaft: "Ich werde nicht in Verbindung mit der Geschichte des Gefängnisses gebracht und muß mich auch nicht damit identifizieren."

 

"keine Experimente"

 

Als sein wichtigstes Kapital, nennt er seine berufliche Ausbildung: Rousseau hat sich im Bereich Unternehmensverwaltung spezialisiert, Effizienz und Rentabilität, so erfährt man in persönlichen Gesprächen, sind für ihn wichtige Kategorien. Trotz seiner mangelnden Erfahrungen mit dem Gefängnisalltag gehe er dennoch nicht unvorbereitet ans Werk: Bei den mehrwöchigen Praktika in ausländischen Gefängnissen, die er zusammen mit der beigeordneten Direktorin der Schrassiger Haftanstalt, und dem stellvertretenden Direktor von Givenich, einem Diplom-Ingenieur, absolviert hat, habe er wertvolle Erkenntnisse gewonnen. In den Niederlanden sei er in eine avantgardistische Form des Strafvollzugs eingeführt worden, in Frankreich mit den Problemen von überfüllten Haftanstalten konfrontiert und schließlich in der Schweiz mit einem, dem Luxemburger Typus des Strafvollzugs ähnelnden System vertraut worden.

Welche Elemente dieser Systeme er möglicherweise in die Luxemburger Anstalt übernehmen könnte, möchte Rousseau nicht sagen, deutet allerdings an, daß er "Experimenten" keineswegs offen gegenüber steht. Der neue Gefängnisdirektor gibt sich bei weitem zugeknöpfter, als seine Vorgänger. Seine erst vor knapp einem Monat erfolgte Ernennung zum Direktor (provisorisch, da noch ein diesbezügliches großherzogliches Reglement vom Staatsrat begutachtet werden muß) mag ein Grund für die große Zurückhaltung des neuen Amtsinhabers sein.

 

Verwaltung von Mängeln

 

Rousseau wird sein berufliches Können vor allem bei der Verwaltung von Mängeln unter Beweis stellen können: Das Problem des Personalmangels der Schrassiger Haftanstalt nimmt dabei immer gravierende Züge an. Das Haus ist durch einen hohen Krankenstand belastet, zuzüglich sind 32 dem Gefängnis legal zustehende Stellen mangels Nachfrage überhaupt nicht besetzt worden. Auch die Rekrutierung aus dem Zivilbereich, die laut dem Gesetz über die Organisation des Strafvollzugs von 1997 in Ausnahmefällen erlaubt ist, erbrachte nicht den erhofften Erfolg: Rund 90 Kandidaten hatten sich gemeldet, nur acht, darunter zwei Frauen, haben schließlich die Aufnahmeprüfung bestanden und traten am vergangenen Montag ihren Dienst an.

Sollten die neue Musterung, die im Frühjahr auf dem Härebierg ansteht, nicht genügend Kandidaten bestehen, könnte eine Situation eintreten, die, vor dem Hintergrund der starken Überbelegung der Schrassiger Haftanstalt, nur schwer zu vermitteln wäre: Die drei neuen Pavillons, die die Aufnahmekapazität der Anstalt auf 520 Betten hochschrauben und die Doppelbelegung der Einzelzellen (rund 50 Prozent der Häftlinge sind davon betroffen) beenden würde, könnten zwar theoretisch bereits im Frühjahr bezogen werden, praktisch allerdings könnte sich der Umzug mangels verfügbarem Personal weiter verzögern. Der frühere Delegierte der Staatsanwaltschaft, Pierre Schmit, hatte in seinem letzten Jahresbericht, den er im November 1997 in diesem Amt verfaßt hatte, bereits eine solche Situation angedeutet: "Je me demande vraiment comment il sera possible et de recruter en un temps record le personnel sollicité, toutes carrières confondues, et de l'initier tant soit peu, c'est un euphémisme, aux redoutables tâches qui l'attendent."

Die Personalkapazität wird entscheidend mitbestimmen, wie die Nutzung der dann insgesamt zehn Gefängnisblöcke neu organisiert werden kann. Georges Rousseau möchte sich noch nicht festlegen: Über die neue Aufteilung werde in den kommenden Monaten in Absprache mit dem Gefängnispersonal entschieden werden. Auf jeden Fall solle der Umzug nicht überstürzt auf eine bessere Differenzierung der einzelnen Kategorien von Straftätern hingewirkt werden und garantiert sein, daß die Wegstrecken die Personal, Häftlinge und Besucher zurücklegen müssen, nicht zu weit sind (die Entfernung zwischen den beiden Extremitäten beträgt 1,3 Kilometer).

Die Erfolgsmeldung, mit der der um das öffentliche Bild der Anstalt besorgte Gefängnisdirektor an die Öffentlichkeit treten kann, betrifft das schulische Angebot der Haftanstalt: Der neue Delegierte der Staatsanwaltschaft Claude Nicolay, hatte sich bereits kurz nach seiner Amtseinführung energisch für Ausbildungsangebote in der Schrassiger Haftanstalt eingesetzt und diesen Mißstand gerade bei den minderjährigen, schulpflichtigen Kindern, die in Schrassig weggesperrt werden, angeprangert: Seit eineinhalb Monaten unterrichtet nun ein Lehrbeauftragter ganztägig die minderjährigen Insassen. Zudem wird laut Informationen des Justizministeriums ab 1. Januar 1999 der derzeitige Direktor des Schrassiger Mädchenheims hinzutreten, der sich auf die erwachsenen Häftlinge konzentrieren wird. Ein erster, sehr bescheidener Fortschritt. Die psycho-soziale Betreuung bleibt allerdings weiterhin stark defizitär: Insgesamt stehen für die rund 380 Häftlinge zwei Sportmoniteure und ein Erzieher bereit, wenn man von der punktuellen Intervention der Bewährungshelfer des Service central d'assistance sociale (Scas) absieht. Ein weiterer Erzieherposten konnte mangels Nachfrage nicht besetzt werden, ein dritter Sportmoniteur ist aufgrund eines längerfristigen Krankenurlaubs nicht verfügbar.

Nur langsam gehen die Vorarbeiten zum Bau der speziellen medizinischen Abteilung voran, die neben der neuen Direktiuonsstruktur das Herzstück des 97er Gesetzes über die Organisation des Strafvollzugs darstellt: Rousseau kann nach einer Zusammenkunft mit dem Justizminister nur erklären, daß psychische Krankheitsbilder intra muros behandelt und organische Krankheiten soweit wie möglich in geschlossenen Abteilungen regulärer Krankenhäuser kuriert werden sollen. Eine personal gut bestückte Krankenabteilung ist allerdings die erste Voraussetzung, um drogenabhängige Häftlinge, die einen wichtigen Teil der Gefängnispopulation ausmachen und sich derzeit teils innerhalb, teils außerhalb der Gefängnismauern einer Entziehungskurs unterziehen, intensiver zu betreuen.

Olaf Münichsdorfer
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