Museen im Film

Von Motten und Managern

d'Lëtzebuerger Land vom 15.05.2015

Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit: Aufhängen, abhängen, umhängen, entstauben, vermarkten... In den Hallen eines großen Museums treffen sich Vergangenheit und Zukunft, goldgerahmte Götter und Putzfrauen, heiligste Nationalsymbole und nasebohrende Touristen. Erstaunlich, dass dieses Biotop noch nicht mehr Filmemacher angezogen hat. Seit vergangenem Herbst sind jetzt aber gleich drei Horte der Hochkultur in neuen Dokumentarfilmen zu bestaunen: die National Gallery in London, das Rijksmuseum in Amsterdam und das Kunsthistorische Museum in Wien. Drei Kulturtempel aus dem 19. Jahrhundert, jeweils mit Sammlungen von Millionen Objekten, kämpfen gegen Schadinsekten, Budgetkürzungen und andere Zumutungen der heutigen Welt.

Ausgerechnet Frederick Wiseman, Mitbegründer des Direct Cinema und gerade in Venedig mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk ausgezeichnet, gelingt es dabei am wenigsten, hinter die Kulissen zu schauen. Der amerikanische Regisseur hat seit 1967 fast jedes Jahr einen Dokumentarfilm gedreht und jedes Mal eine andere Institution porträtiert, etwa eine Irrenanstalt, ein Gefängnis, einen Zoo oder auch das Pariser Kabarett Crazy Horse. Vor drei Jahren hat Wiseman zwölf Wochen in der National Gallery verbracht, begleitet nur von seinem Kameramann John Davey. Montiert hat Wiseman dann selbst, ein Jahr lang, und 170 Stunden Rohmaterial zu drei Stunden Film verdichtet.

Im Mittelpunkt von National Gallery stehen Werke berühmter Künstler. Genauer: welche Geschichten Museumsführer, Kuratoren und Restauratoren zu Tizian, Turner und Co. zu erzählen haben – die Bilder selbst werden meist bloß kurz gezeigt. Da der Film nur O-Töne bringt, kein roter Faden verfolgt wird und Wiseman als stiller Beobachter keine Kommentare abgibt, wird nicht recht klar, was der Sinn des ganzen Geschwafels sein könnte. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung vermutete, die Experten-Ausführungen vor „majestätisch schweigenden Gemälden“ sollten zeigen, „wie Kunst durch Sprache in Erzählung verwandelt wird“. Weniger angetan von der permanenten Belehrung war zum Beispiel der Kunstkritiker Jonathan Jones im Guardian: Der „oberflächliche“ und „elitäre Streifen aus der Management-Perspektive“ vermittle „keine echte Einsicht“. Die „erdrückend öde Dokumentation“ habe keinen Blick für Kunst: „Gott, ist das langweilig!“ Da hilft auch der Frauenakt auf dem Filmplakat nicht.

War Wiseman von so viel europäischer Kultur überwältigt? Vielleicht hatte er einfach Pech, weil in der National Gallery während seiner Drehzeit nicht viel passierte, abgesehen von Ausstellungen zu Rembrandt und Leonardo da Vinci und Protesten von Umweltschützern gegen einen Sponsor. Immerhin ist am Rande zu erfahren, dass der Großteil der Sammlung einst mit Gewinnen aus dem Sklavenhandel gekauft wurde. Mehr als sechs Millionen Besucher pro Jahr machen heute das Haus am Trafalgar Square zum viert-meistfrequentierten Kunstmuseum der Welt. Von noch mehr Popularität hält Wiseman wohl nichts. Der – mittlerweile zurückgetretene – Museumsdirektor Nicholas Penny auch nicht: Das Ansinnen, die Fassade einen Abend lang als Werbefläche für die Wohltätigkeitsaktion „Sport Relief“ zu nutzen, lehnt er angewidert ab. „Wir sind auch eine Touristenattraktion“, rümpft in dem Film eine Museumsführerin die Nase: „Ein grässliches Wort.“

Spektakulärere Bilder kann die holländische Regisseurin Oeke Hoogendijk bieten: Große Bagger rasseln durch das entkernte Rijksmuseum. Fünf Jahre hätte die Renovierung des Amsterdamer Prestigebaus dauern sollen; es brauchte dann ein ganzes Jahrzehnt. Hoogendijk war mit einer kleinen Crew die ganze Zeit dabei und filmte bis zur Eröffnungsfeier mit Feuerwerk und Königin ganze 400 Stunden. Nach einer Weile gehörte die Filmemacherin wohl zum Museumsinventar. Jedenfalls durfte sie auch bei unangenehmen Sitzungen dabei sein und konnte ehrliche Momente einfangen: Radfahrer beharren stur auf freier Fahrt durch die Museums-passage, Stadtplaner fühlen sich übergangen, ein Designer schläft bei einem Meeting ein, die Star-Architekten Antonio Cruz und Antonio Ortiz, denen vor allem ein eindrucksvoller Eingang vorschwebte, sind zunehmend demoralisiert. Die Pläne zum Aufbau einer großen Sammlung moderner Kunst scheitern. Der langjährige Generaldirektor Ronald de Leeuw tritt im Jahr 2008 entnervt zurück.

Zunächst hatte Hoogendijk ihr Material zu der mehrteiligen TV-Serie Het Nieuwe Rijksmuseum verarbeitet. Diese soziologische Studie, vier Stunden lang, war stellenweise etwas zäh, obwohl man nicht jeden Tag Bauarbeiterhelme vor Rembrandts Nachtwache sieht. Stress und Frustration, endlose Debatten und immer wieder neue Tests zur Farbe der Innenräume: ganz so viel will man vom Innenleben der holländischen Kunstbürokratie vielleicht gar nicht wissen, auch nicht von den Leiden eines großen Bauprojekts. Im vergangenen Jahr hat die Regisseurin dann „nicht nur ein paar Lieblinge geopfert, sondern Szenen in Massen geschlachtet“ und einen nur noch halb so langen Spielfilm daraus gekürzt. Die meisten Zuschauer werden für die Straffung dankbar sein.

Während Hoogendijks Aufnahmen durch Musik untermalt werden, hielt sich Johannes Holzhausen im Kunsthistorischen Museum Wien puristisch an die Wiseman-Methode: kein Off-Kommentar, keine Interviews, als Begleitung nur Staubsauger und andere Originalgeräusche. Eine der stärksten Szenen seines Films ist allerdings inszeniert: Ein Arbeiter stiefelt mit Hammer und Spitzhacke mitten in einen Prunksaal und schlägt ein Loch in das glänzende Parkett. Fast drei Jahre lang beobachtete der österreichische Regisseur das Treiben in dem Palast an der Wiener Ringstraße.

Wie in La Ville Louvre, mit dem Nicolas Philibert im Jahr 1990 das Genre des Museumsdokumentarfilms begründete, liegt im Großen Museum der Fokus auf den vielen fleißigen Händen rund um die Kunstwerke. Holzhausen will seinen Film als Metapher für die ganze Nation verstanden haben: „Österreich ist auf weiten Strecken auch ein Museum.“ Den Angestellten, der von seinem Computer aufsteht, mit einem Tretroller durch eine schier endlose Flucht von hohen Büroräumen und Bibliotheken saust, um schließlich ein Druckgerät zu erreichen, wird man jedenfalls nicht so leicht wieder vergessen. Wohl auch nicht den Leiter der Hofjagdkammer kurz vor seiner Pensionierung, der das neue Unternehmensleitbild des Museums freundlich-hinterhältig mit Zahnpasta-Werbung vergleicht. Danach füttert er auf seinem Fenstersims Tauben.

Holzhausen hatte selbst in Wien Kunstgeschichte studiert und damals das Kunsthistorische Museum als „ermüdend“ und „erdrückend“ wahrgenommen. Jetzt fand er meist leicht Zugang zu seinen ehemaligen Mitstudenten, die mittlerweile das größte Museum der ehemaligen Donaumonarchie am Laufen halten. Gezielt und humorvoll konterkariert der Filmemacher den imperialen Bombast: Die goldene Saliera wird mit ausgestopften Fröschen kombiniert; in den hehren Hallen werden Motten gejagt; ein fluchender Restaurator verzweifelt an einem Modellschiff.

Der Rahmen für dieses Mosaik kurzweiliger Szenen ist der Abriss und Neuaufbau der Kunstkammer. Ein weiteres Grundthema ist der Umgang mit dem habsburgischen Erbe: Gern protzt die Republik mit altem Glanz. Als der österreichische Bundespräsident sich im April 2013 die k.u.k. Kleinodien vorführen lässt, hat er Großherzog Henri von Luxemburg im Schlepptau. Auf Anraten von Marktforschern werden die Schatzkammer und die Wagenburg „kaiserlich“ genannt – das zieht bei Touristen. Nützt aber wahrscheinlich alles nichts, denn alles menschliche Streben ist vergeblich und vergänglich: Am Ende wird in dem großen Museum Pieter Bruegels Turmbau zu Babel aufgehängt.

Alle drei Filme sind mittlerweile auf DVD zu haben, wenn man sprachlich flexibel ist. Liebhaber alter Kunst freuen sich auch zum Beispiel über die italienische Version:
Martin Ebner
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