Leihgaben des Grafen von Ansemburg

Yolanda konnte nicht kommen

d'Lëtzebuerger Land vom 12.05.2005

Sie waren alle voll des Lobs am Mittwochabend. Kulturminister François Biltgen bedauerte, dass viele Luxemburger sich gar nicht bewusst seien, welche Kunstschätze hierzulande gehortet würden. Die Direktorin der Nationalbibliothek, Monique Kieffer, strafte Voltaire Lügen, der im Zeitalter der Aufklärung nur eine kulturelle Wüste in den spanischen Niederlanden entdeckt hatte. Deshalb bedankte sie sich um so artiger bei dem Grafen von Ansemburg für die tatsächlich kostenlose Leihgabe verschiedener seiner Bücher, die das Gegenteil beweisen sollen. Und der Historiker Marc Schoellen, der seit 1988 über die Eisenhütte, die Gärten und ehemaligen Sammlungen von Ansemburg forscht, sang gleich das Lob des ganzen adligen Stammbaums. Der Graf lächelte zufrieden und beschränkte sich darauf, eine Anekdote zu erzählen... Unter dem vielversprechenden Namen Les trésors cachés du Luxembourg. Les archives et la bibliothèque des comtes d'Ansembourg weihten Staatsarchiv und Nationalbibliothek gemeinsam eine Ausstellung ein, so als sei ein einzelnes Haus gar nicht groß genug, um all diese versteckten Schätze aufzubewahren. Das Staatsarchiv zeigt ohne größeren historischen Zusammenhang eine lange Folge von blendend erhaltenen Pergamenten und Papieren aus dem 13. bis 18. Jahrhundert, von kurzen Schriften aus der Zeit Gräfin Ermesindes über Stammbäume, Heiratsurkunden und Verkaufsakten des Grafengeschlechts von Ansemburg bis hin zu Geschäftsunterlagen der ehemaligen Eisenhütte, die Brennholz kaufte und der Festung Kanonenkugeln lieferte. Allerdings sind all diese Schätze nur mäßig versteckt, da sie seit einem Jahrhundert von Nicolas Van Werveke katalogisiert sind und seit über 40 Jahre im Staatsarchiv lagern, wie Direktorin Josée Kirps stolz betonen konnte. Anders verhält es sich mit der Bibliothek, die im 18. Jahrhundert mit schätzungsweise 10.000 Handschriften und Drucken eine der reichsten Privatbibliotheken der Provinz war. Sie wurde von dem geadelten Schmelzherrn Lambert-Joseph de Marchant et d’Ansembourg (1706-1768) zusammengetragen, der von enzyklopädischer Sammelwut besessen war. Aber die Freude währte nicht lange: Seine Hütte ging in Konkurs, die schöne Bibliothek kam am 4. Juni 1763 unter den Hammer und wurde in alle Winde verstreut. Was der Minister am Mittwoch als bedeutendes nationales Kulturgut lobte, ist in Wirklichkeit der klägliche, unkatalogisierte und ziemlich lieblos aufbewahrte Rest einer großen Privatbibliothek. Und so sieht auch aus, was die Nationalbibliothek in dem halben Dutzend Vitrinen einer ihrer traurigen Treppenhausausstellungen zeigt: ein Graduale, einige nicht gerade seltene Drucke des 18. Jahrhunderts... Von historischer Bedeutung sind lediglich die zwei Notar Jean-François Pierret zugeschriebenen Manuskripte zur Landesgeschichte und ihren Urkunden, aus denen sich Jean Bertholet für seine Histoire ecclésiastique et civile du duché de Luxembourg et comté de Chiny bediente. Um so auffälliger ist zur Freude der Versicherung das Fehlen des Glanzstücks der Restbibliothek, des bis 1999 verlegten Codex mariendalensis mit dem mittelalterlichen Yolanda-Epos in der Sprache der Moselgegend. Dennoch steht es im Mittelpunkt der Ausstellung. Denn als die 700 Jahre alte Handschrift 1999 wiedergefunden worden war, war nicht nur die wissenschaftliche Edition innerhalb von zwei Jahren angekündigt worden, sondern auch eine Einigung zwischen dem Staat und dem Eigentümer über die Zukunft der als  vaterländisches Sprachdenkmal gefeierten Schrift. Aber sechs Jahre später ist weder das eine, noch das andere geschehen. Weil sich die Kulturminister Hennicot-Schoepges und Biltgen ihrer Pflicht entzogen, die Yolanda-Handschrift als nationales Kulturgut zu klassieren und sie so vor demselben Schicksal wie die restlichen Bücher 250 Jahre zuvor zu schützen, nutzt der Graf die Gelegenheit, um vom Staat den Bau eine Bibliothek in Ansemburg rund um seinen Codex zu verlangen. Aber davor schreckt die Regierung zurück, weil sie sich nicht den leichtfertigen Umgang mit Steuergeldern für Privatinteressen vorwerfen lassen will. Außerdem verdächtigt sie den Grafen, nicht nur 1987 sein neues Schloss der japanischen Sukyo-Mahikari-Sekte verkauft zu haben, sondern selbst Sektenoberhaupt für Europa und Afrika zu sein. Als die Europäische Gemeinschaft aber 1993 die Herrichtung der Ansemburger Gartenanlagen mit 2,4 Millionen Franken subventioniert hatte, war gleich eine Ermittlung angelaufen, ob europäische Gelder an eine Sekte geflossen seien. Ähnliche Vorwürfe wollte zumindest Ministerin Erna Hennicot-Schoepges sich ersparen. Da sich der Graf aber im Laufe der zähflüssigen Gespräche unterschiedlich kooperativ zeigte und die wissenschaftliche Auswertung des Codex wiederholt in Frage gestellt schien, sieht es fast so aus, als ob die kleine Ausstellung im Treppenhaus der Nationalbibliothek weniger die Besucher als den Leihgeber bei Laune halten soll.

Die Ausstellung ist bis zum 18. Juni im Staatsarchiv von montags bis freitags von 9 bis 11.45 Uhr und von 13 bis 17.45 Uhr geöffnet, samstags von 9 bis 11.45 Uhr; in der  Nationalbibliothek von dienstags bis freitags von 10.30 bis 18.30 Uhr, samstags von 9 bis 12 Uhr. Kein Katalog.

 

Romain Hilgert
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