Die „Gëlle Frau“ fährt nach Shanghai

Wer kein Eisen mehr hat, schickt Gold

d'Lëtzebuerger Land du 04.03.2010

Vermutlich werden wir zwei Probleme bekommen. Erstens wird in der internationalen Presse zu lesen sein: „Luxemburg schickt Kriegerdenkmal zur Weltausstellung“, zweitens wird die goldene Nacktheit bei den Gastgebern und vielen Gästen aus dem asiatischen und arabischen Raum mit herrschen­den Tabus kollidieren. Wir riskieren also unter Umständen unseren nächsten Zensur-Skandal...

Die Ankündigung, die „Gëlle Fra“ von ihrem hohen Sockel zu holen und sie zur Expo nach Shanghai zu schicken, führte verbreitet auch bei ernsten Zeitgenossen zum Reflex, den Kalender zu checken und die verbleibenden Wochen bis zum 1. April zu zählen. Der polemische Beschuss, um hier mal ein kriegerisches Wort zu benutzen, findet seit Tagen auf offenem Feld und frei von politischen Gräben statt und bedient sich eher der Waffen des Humors als der Empörung. Die Verkündigung als Überraschungsangriff ist somit als nicht gelungen anzusehen. Die heftigen Reaktionen wurden auch dadurch hervorgerufen, dass sich die Öffentlichkeit vor vollendeten Tatsachen gestellt sah und öffentliches Eigentum in grotesker Weise als verfügbares Inventar für Interessengemeinschaften behandelt wurde. Die Vertretung Luxemburgs bei der Expo in China steht für Interessen der Wirtschaft, die natürlich auch staatliche, aber nicht grundsätzlich nationale sind. Die Frage steht im Raum, warum nicht einer der vielen Beteiligten dem absurden Plan beizeiten einen Riegel vorgeschoben hat, zumal man in den vergangenen Tagen feststellen konnte, dass alle politische Lager die Aktion mittlerweile mit schmunzeln begleiten. Als Beispiele seien hier der chinesen-witzelnde Paul Helminger, beziehungsweise Michel Wolter, der – noch ein Aprilscherz – die „Gëlle Fra“ gerne auf Zwischenstation bei sich in Bascharage haben möchte, genannt.

Der Idee zur Translozierung der „Gëlle Fra“ wurde angeregt durch die dänische Überlegung, die Kopenhagener Meerjungfrau nach Shanghai zu schicken um den nationalen Pavillon mit einem Wahrzeichen zu schmücken. Die Dänen konnten sich zu dieser Tat nur mühsam durchringen, letztlich zählte dann das Argument, dass das Original schon eine Replik sei und man weitere Repliken auf Lager hätte. Es folgten unter anderem Frank­reich mit einer Auswahl an Impressionisten und Italien mit antiken Skulpturen. Robert Goebbels rechtfertigte, verweisend auf diese Beispiele, seine Wahl, ein „nationales Kunstwerk“ zu entsenden. Genau an diesem Punkt hat er sich, vielleicht ohne es zu ahnen, auf Glatteis begeben. Die „Gëlle Fra“ ist zunächst und per definitionem ein von einem Künstler gefertigtes Denkmal. Ein Kunstwerk ist es im nachrangigen Sinne. Die Meerjungfrau, als Gegenbeispiel, ist die verbildlichte Darstellung einer literarischen Figur und somit eher als autonomes Kunstwerk zu sehen.

Kunstgeschichtlich ist die „Gëlle Fra“ also als zweckgebundenes Denkmal einzuordnen, wobei die goldene Statue nur ein Teil des künstlerischen Gesamtkonzeptes ist, das durch die Bezüge der Einzelteile, des Sockels, des Obelisken und besonders der drei Figuren zusammengehalten wird. Haltung und Lorbeerkranz beziehen sich gestisch und sachlich auf den toten und auf den trauernden Soldaten. Die Durchsichtigkeit ihres Gewandes steht für Wahrheit und Unschuld, schließt den sinnlichen Effekt aber deutlich mit ein.

Claus Cito hat als erfahrener Künstler die Frauengestalt auf Fern- und Untersicht aus 20 Meter Distanz angelegt und damit auch ihren leichten, schwebenden Charakter geschaffen, der zur Schwere des Sockels und seiner Figuren im Kontrast steht. Auf einen nur drei Meter hohen Sockel in Shanghai positioniert, wird die „Gëlle Fra“ optisch verzerrt diese Leichtigkeit und das Entrückte verlieren. Sie wird breiter und insgesamt überdimensioniert, mit ihrer eigenen ­Größe von über drei Metern fast monströs wirken, und zusätzlich wird ihre leichte Bekleidung offensiver erscheinen.

Festzuhalten ist also, dass die Figur der „Gëlle Fra“ für eine Distanzsicht entworfen wurde und gleichzeitig „nur“ kontextgebundenes Teil eines Denkmalkonzeptes ist. Historisch und politisch wurde das Denkmal mit einer denkbar vielseitigen Sammlung von Konnotationen angereichert. Erzählten die Kriegsdenkmäler im 19. Jahrhundert noch fast ausschließlich von Siegen und gewonnenen Schlachten (zum Beispiel die Berliner Siegessäule, ein formales Vorbild der „Gëlle Fa“), rückte nach den besonderen Schrecken des Ersten Weltkrieges auch das Thema des Trauerns in den Aussagebereich von Kriegsdenkmälern, die sich somit zu Kriegerdenkmälern wandelten. Citos Arbeit, von ihm selber „À nos Braves“ betitelt und 1923 fertig gestellt, reiht sich hier ein. Die dargestellte Heldenverehrung mit Lorbeerkranz macht es jedoch immer noch eher zum rückwärts gewandten Siegesdenkmal, denn zu einem visionären Friedensmonument. Die deutschen Besatzer, kaum in Luxemburg, machten kurzen Prozess mit dem in ihren Augen verräterischen Monument und lösten damit erstmals großen Protest bei der Bevölkerung aus.

Nach der Nazi-Schreckensherrschaft wurde 1958 das Denkmal nur mit den beiden aufgefundenen Soldaten teilrekonstruiert. Resistenzler, Zwangsrekrutierte und weitere Verbände widmeten es jetzt auch besonders den Opfern der Nazi-Zeit, erklärten es zum nationalen Monument und zu einem Ort des Gedenkens. Ab damals wurde der Aspekt der Freiheit und Unabhängigkeit betont, was seinen vorläufigen Abschluss in der Vervollständigung der Gruppe mit der „Gëlle Fra“ im Jahre 1985 fand. Zusätzlich wurden die Korea-Kämpfer, unter Übergehung der Spanien-Freiwilligen, auf einer Tafel verewigt.

Sanja Ivekovic verwies 2001 mit ihren schwangeren Replik auf die zu hinterfragende Rolle der Frau in Vergangenheit und Gegenwart, Krieg und Frieden, dazu zählen die zum Trauern Verdammte, Heldenverehrende (wie eben die „Gëlle Fra“), Mutter, Hure et cetera. Die folgende, sehr kontrovers geführte Diskussion war wichtig und begründete als Ganzes noch einmal die Vielschichtigkeit der Bedeutungen und Wertigkeiten des Denkmals: Kriegsdenkmal mit Heldenverehrung, Trauerort, Symbol für Frieden und Freiheit, und zuletzt auch historisches Dokument, das für ein problematisches Frauenbild steht.

Diese ambivalente Aufladung, die über mehr als 80 Jahre dem ursprünglich Dargestellten hinzugefügt wurde, macht heute das Denkmal aus, die Bedeutung des Standortes eingeschlossen. Die Vielfalt an Konnotationen, die es heute trägt, ist entsprungen aus subjektivem kollektivem Erleben, und diese Zusammenhänge sind nicht per Cargo transportierbar. Was also nachher in China ankommt, wird als kontextfreie vergoldete Plastik in Frauengestalt nur einen Objektcharakter ha­ben können. Wer die „Gëlle Fra“ als Nationaldenkmal beziehungsweise Teil dieses anerkennt, sollte sie im nationalen Wohnzimmer stehen lassen, auch aus Respekt vor jenen, die diesen Ort zum Gedenken gewählt haben.

Wie verlautbart wurde, wird das Bedeutungsfeld der Skulptur für die Zwecke der Expo auf ihre Funktion als „Friedenssymbol“ reduziert, die „Freiheit“ möchte man dem Regime vor Ort nicht zumuten. Außerdem soll erklärtermaßen verschwiegen werden, dass am Sockel des heimatlichen Standortes auch die Korea-Söldner geehrt werden. Da braucht man sich jetzt nur zu fragen, wie wir in unseren Demokratien umgekehrt auf eine solche Täuschung reagieren würden...

Zum Schluss ein nicht ganz unernster Vorschlag: Warum nicht den Protagonisten unseres wegkanonisierten Nationalepos, den Renert, nach China entsenden? Der Fuchs vom Knuedler würde auch in China als Symbol der List verstanden und respektiert werden. Steht er nicht auch für die seit Generationen anerkannte Bauernschläue unserer Politiker, die es immer verstanden haben, die nationa­len Interessen im Ausland geschickt zu vertreten?

Hans Fellner
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