Die Nische für Nur-Frachtgesellschaften werde kleiner, sagt Cargolux-CEO Dirk Reich im Land-Interview. Dennoch sie sei groß genug, um Cargolux in der aktuellen Größe zu unterstützen

Effizienz und Konzentration

d'Lëtzebuerger Land vom 25.04.2014

D’Lëtzebuerger Land: Herr Reich, das Luftfrachtgeschäft galt bisher immer als Frühindikator für konjunkturelle Veränderungen. Nun stabilisiert sich die Weltkonjunktur. Macht sich das bei Cargolux bemerkbar?

Dirk Reich: Die Luftfracht ist auch heute noch ein Frühindikator für die wirtschaftliche Entwicklung, und wir sehen jetzt im ersten Quartal deutliche Mengenzuwächse im Vergleich zum letzten Jahr. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass wir unser Angebot ausgeweitet haben, so dass wir auf der anderen Seite zurückgehende Erträge sehen. Es ist mir heute noch nicht möglich zu sagen, welcher Anteil davon hausgemacht ist, und welcher marktgemacht ist. Aber generell haben die Gespräche in den letzten drei Wochen mir gezeigt, dass der Markt und die Weltwirtschaft nach wie vor in einem sehr stabilen Zustand sind und im Augenblick keinerlei Anzeichen für eine zurückgehende Konjunktur erkennbar sind. Wir hatten im März eine Rekordauslastung, sowohl im Vergleich zur ganzen Historie als auch im Vergleich zu den Vormonaten, und wir gehen davon aus, dass wir auch den April positiv abschließen werden. Für die ruhigeren Monate Mai und Juni haben wir C-checks eingeplant und erhalten Mitte Juli ein neues Flugzeug. Wir gehen im Moment also davon aus, dass wir dieses Jahr weiter wachsen werden.

Dennoch gibt es Zweifel daran, beispielsweise innerhalb der IATA, dass sich die Handelszahlen auf die Luftfracht übertragen. Unter anderem weil wieder mehr Fracht auf See transportiert wird. Sie kommen aus dem Forwarder-Geschäft, haben also Erfahrungswerte. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Das muss ich leider bestätigen. Während die Wachstumsraten in der Luftfracht früher denen des Handelsvolumens plus zwei Prozent entsprachen, wächst sie heute eigentlich mit einer Rate, die dem Bip plus zwei Prozent entspricht. Das liegt am Kostendruck, aber auch daran, dass die Luftfrachtmengen aufgrund der Rückverlagerung der Produktion von Fernost nach Osteuropa nicht mehr so stark wachsen. Es wird nicht mehr nur alles in Fernost hergestellt, die Produktion ist näher an den Verbrauchermärkten. Das alles führt dazu, dass, wenn möglich, auf Seefracht zurückgegriffen wird. Auch Pharmaunternehmen haben ihre ersten Testsendungen auf Seefracht gemacht und Hightech-Unternehmen versuchen ebenfalls, auf Seeverbindungen zu setzen, um Kosten zu sparen. Das macht sich natürlich bemerkbar. Außerdem arbeitet man schon seit vielen Jahren an der Bahnverbindung aus Asien. Jetzt gibt es die Landbrücke mit der Bahn. (unter anderem von Zhengzhou nach Hamburg, Anmerkung der Redaktion). Noch sind das einzelne Züge, aber inzwischen sind es regelmäßige einzelne Züge, die von China nach Deutschland und in die Niederlande fahren. Das sind Volumen, die irgendwo zwischen Luft- und Seefracht zu situieren sind – sowohl preislich wie auch, was die Transportgeschwindigkeit betrifft. Auch das wird langfristig dazu beitragen, dass der Anteil der Luftfracht zurückgeht.

Ihr Segment wird also kleiner. Welche Verschiebungen gibt es innerhalb der Nische?

Das Angebot der Express-Anbieter wie Fedex, UPS und DHL wird immer größer – ich schätze die UPS-Flotte umfasst derzeit 600 Flugzeuge – und entsprechend steigt das Volumen, das sie transportieren.

Worauf ist der Boom der Express-Anbieter zurückzuführen?

Durch den elektronischen Handel steigt die Nachfrage nach und damit der Anteil von kleinen Sendungen. Heute können Sie Produkte im Internet bestellen, wie Sie das vor 20 Jahren noch nicht konnten. Das führt zu einer Vielzahl von kleinen nationalen und internationalen Sendungen, so dass die Nachfrage nach Express-Sendungen viel schneller steigt als die Nachfrage nach großen Lieferungen, die wir haben...

...die zunehmend auch im Frachtraum großer Passagierflugzeuge untergebracht werden können.

Das hängt vom Flugzeug ab. Eine voll mit Passagieren besetzte A380 hat kaum noch Platz für Fracht. Bei der Boeing 777 ist das anders, die kann auch, wenn sie voll besetzt ist, noch viel Fracht aufnehmen. Die Gesellschaften aus dem Mittleren Osten, also Emirates und Qatar Airways, bauen ihre Flotten aus, und mit jedem neuen Passagierflugzeug kommt praktisch ein Gratis-Angebot an Frachtkapazität auf den Markt, was zum Preisverfall führt. Das heißt: Die hochwertigen kleinen Sendungen gehen an die Express-Anbieter, danach stauben die sogenannten Belly-Carrier ihren Anteil ab. Für die Nur-Fracht-Gesellschaften – auch die der Passage-Airlines – bleiben die Restmengen: Gefahrengüter oder große Frachtstücke. Da gibt es ein Marktsegment, das wird nie in den Frachtraum von Passagier- oder die Express-Flugzeuge gehen, aber das ist relativ klein.

Eben. Angesichts der Entwicklung, die Sie selbst gerade beschrieben haben, drängt sich die Frage auf, worauf das Geschäftsmodell einer Nur-Frachtgesellschaft wie der Cargolux noch aufbaut und ob es noch Bestand hat. Eine Nur-Frachtgesellschaft, die darüber hinaus keiner Passagier-Airline angeschlossen ist und ihre eigenen Kapazitäten weiter ausbaut.

Das Marktumfeld ist schwierig, und der Ertrag wird langfristig auch nicht steigen. Das heißt, zum einen müssen wir weiter die Effi­zienz steigern und die Kosten senken, damit wir gleichzeitig zum Wachstum Kostensenkungen haben, die den Ertragsverfall kompensieren. Es gibt bestimmte Güterarten, die kann man nur mit 747-F mit der Klappnase transportieren. Da ist Cargolux ideal positioniert, weil andere Gesellschaften das einfach nicht können. Dieses Marktsegment, und ich behaupte dieses Segment ist groß genug, um die Cargolux in ihrer aktuellen Größe zu unterstützen, ist gegeben. Das heißt, um unsere aktuelle Größe zu halten, müssen wir effizienter produzieren und uns auf dieses Segment konzentrieren. Dazu gehören auch Pharmaprodukte, denn Cargolux ist derzeit die einzige Frachtgesellschaft, die pharma-zertifiziert ist.

Ihr Businessplan sieht aber nicht nur den Erhalt des Status Quo, sondern Wachstum vor.

Das ist unser Ziel – das ist mit allen Aktionären abgesprochen. Die Frage ist, was man danach macht, um weiter wachsen zu können. Wie stark und auf welche Art, mit welcher Flotte werden wir wachsen? Für die Beantwortung dieser Fragen brauche ich allerdings noch drei bis vier Monate. Aber genau diese Antworten suchen wir, denn nur durch weiteres Wachstum können wir den nachhaltigen Fortbestand der Cargolux absichern. Ich vermute, dass dieses Wachstum nicht nur im reinen Flugbetrieb liegen wird, sondern dass wir nach zusätzlichen Aktivitäten suchen werden, die zum Flugbetrieb passen und das Geschäftsmodell zukünftig auch ergänzen werden.

Diese Woche fand neben dem Abschluss des HNCA-Deals und dem Verkauf der Luxair-Anteile an den Staat auch die Kapitalerhöhung statt, die mit 175 Millionen Dollar am oberen Ende der veranschlagten Skala liegt. Wie dringend brauchen Sie das Geld?

Das hängt davon ab, wie Sie „dringend“ definieren. Wir hatten uns zum Ziel gesetzt, jederzeit über mindestens 100 Millionen Dollar Bargeld zu verfügen und das ist eigentlich noch zu wenig. Nicht für das laufende Geschäft – aber in den vergangenen zehn Jahren gab es alle zwei bis drei Jahre eine Krise: Sei es ein Vulkanausbruch, eine Finanzkrise oder eine andere Krise – dafür braucht eine Fluggesellschaft heute eigentlich 20 Prozent ihres Umsatzes (der Umsatz betrug 2012 1,7 Milliarden Dollar, Anmerkung der Redaktion) als Polster, es sei denn, sie hat keine Kostenbelastung. Um ganz ruhig schlafen zu können, bräuchten wir eigentlich 400 Millionen Dollar, dann könnten wir solche Krisen ohne Probleme überstehen. Es geht also nicht darum, dass wir heute nicht fliegen könnten oder akut von einem Grounding bedroht wären. Überhaupt nicht. Wir haben einen positiven Cash-Flow, unser Bargeldbestand vor der Kapitalerhöhung lag je nach Tag um die 100 Millionen Dollar, und wir haben noch Kapazitäten. Aber wir hatten nicht mehr ausreichend Mittel, um einerseits für künftige Krisen gewappnet zu sein und andererseits die neuen Flugzeuge zu finanzieren. Wir sprechen da über fünf 747-8, die binnen zwei Jahren geliefert werden. Und ohne ein gewisses Maß an Eigenkapital würden trotz Flugzeug-spezifischer Finanzierungen die Zinskosten zu hoch. Es gibt also zwei Elemente, die bei der Höhe der Kapitalerhöhung eine Rolle gespielt haben: Wir müssen uns für Krisenzeiten wappnen und das geplante Wachstum muss finanziert werden.

Gestern sollte der erste planmäßige Flug nach Zheng­zhou stattfinden. Welchen Effekt wird die Route ihrer Meinung nach auf die Ergebnisse haben?

Die Route wird auf jeden Fall einen positiven Ergebnisbeitrag leisten. Es geht nicht um Verlust oder Gewinn, sondern darum, einen kleinen, mittleren oder hohen Deckungsbeitrag zu erreichen. Wir fangen mit zwei Flügen wöchentlich an. Die ersten Flüge sind in beide Richtungen ausgebucht. Nach den jetzigen Raten-Erwartungen, gehen wir davon aus, dass die folgenden Flüge einen schönen Deckungsbeitrag bringen, wenn sie durchschnittlich ausgelastet sind. Wenn sie ganz voll sind, und die Ratenannahmen stimmen, wird es sogar ein sehr guter Deckungsbeitrag. Henan liegt ungefähr eine Flugstunde vor Shanghai und das bei vergleichbarem Ratenniveau. Auf dem Hinweg werden wir über Baku und auf dem Rückweg über Nowosibirsk fliegen und an beiden Orten relativ preisgünstig tanken. Da man kaum Umwege macht, wird diese Strecke ein relativ geradliniges Hin – voll – Zurück – voll. Im Vergleich zu langen Strecken nach dem Muster Italien, Japan, Hongkong, Baku, Italien, Luxemburg fliegt, also zu manchem kreativen Routing, das wir in der Vergangenheit hatten, ist das sinnvoll. Ich bin natürlich auch gespannt, ob die ganzen Annahmen und Versprechungen eintreten, die wir im Moment haben, sprich dass die Kunden kommen und die Raten stimmen. Am 30 April, nach der Hauptversammlung, werden wir über die Ergebnisse der ersten Füge berichten können.

Sie starten mit zwei Flügen wöchentlich.

Wir planen den dritten und vierten Flug wöchentlich mit Sicherheit ab Juli dieses Jahres und wir erwägen derzeit, ob wir sie nicht schon ab Mai oder Juni einführen, zumindest auf dem Rückweg. Der Zuspruch der Spediteure hier, aber auch in China, ist im Moment mengenmäßig besser als erwartet, preislich aber leicht unter den Erwartungen. Da müssen wir nun sehen, was die Realität bringt. Langfristig haben wir im Kooperationsabkommen eine Formel gefunden, die besagt, dass wir die Route ausbauen, wenn es wirtschaftlich ist. Wir werden nicht gezwungen, Verluste zu machen. Diese vier Flüge können wir sehr wirtschaftlich darstellen und was darüber hinausgeht, da gibt es ganz klares Einvernehmen, wird nur gemacht, wenn es sinnvoll ist. Wir denken außerdem darüber nach, neue Verkehrsrechte zu beantragen, um ab China über den Pazifik zu fliegen, von China nach Afrika für Kombinationen mit Stopps in Japan oder Südkorea und China, die wir heute noch nicht haben. Ob wir dann Routen fliegen können, auf denen es heute noch keine Wettbewerber gibt, hängt dann auch davon ab, ob die Partner in Henan ihre Versprechungen wahr machen, uns dabei zu helfen.

Für die Planung der Routings war in der Vergangenheit Robert Van de Weg zuständig, der zu Air Bridge Cargo wechselt. Wann wird er ersetzt?

Wird werden seine Position als Chief commercial officer die nächsten Monate nicht neu besetzen, Ich selbst werde das aus heutiger Sicht auf jeden Fall bis Ende des Jahres und vielleicht auch länger übernehmen. Weil ich zum einen den Verkauf neben der Sicherheit als wichtigstes Element ansehe. Ich komme aus dem Kundenbereich und habe die notwendigen Beziehungen. Außerdem möchte ich die Verkaufsorganisation stabilisieren, indem ich sie selbst führe. Es läuft also derzeit keinerlei Suche nach einem Nachfolger. Wir werden das Ende des Jahres noch einmal analysieren, vielleicht gibt es dann auch interne Kandidaten. Was ich auf jeden Fall vermeiden will, ist, dass ein Externer vorschnell den Vortritt erhält.

Michèle Sinner
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