HNA aus China wollte in die Top-Ten der Weltkonzerne aufsteigen. Droht jetzt eine Bruchlandung?

Nashorn in Turbulenzen

d'Lëtzebuerger Land vom 25.05.2018

Die UBS-Filiale in Hongkong erregte unlängst Aufsehen mit der Studie Was, wenn die HNA-Gruppe der schwarze Schwan für die Aktien- und Anleihemärkte 2018 wird?. Geringes Eigenkapital, unüberschaubare Darlehen zwischen Tochterfirmen und wachsende Risiko-Aufschläge für Anleihen: HNA könne eine Finanzkrise auslösen. Dass die UBS so schwarz malt, ist delikat: Die Schweizer Bank hat mit Milliarden-Krediten und komplexen Collar-Derivaten den HNA-Einstieg bei der Deutschen Bank finanziert. Während GoldmanSachs, Citigroup und andere Großbanken bereits auf Abstand zu dem chinesischen Konzern gingen. Ende 2017 wurden die Schulden von HNA auf 94 Mil­liarden US-Dollar beziffert; keine andere Firma in Asien muss mehr Zinsen zahlen.

Zuletzt häuften sich Berichte über offene Kerosin-Rechnungen, verspätete Leasing-Raten, gesperrte Konten, Verhandlungen mit Gläubigern. Seit Januar sind sieben HNA-Töchter wegen „Restrukturierung“ vom Börsenhandel suspendiert, darunter Hainan Airlines, Tianjin Tianhai Investment und Bohai Capital. Noch beunruhigender: Die sonst verschwiegene HNA-Führung sucht das Gespräch mit Bloomberg, Reuters & Co., um zu versichern, der Geschäftsbetrieb sei „weiterhin stabil“, die Finanzlage „sehr gesund“.

Über HNA werden zwei Geschichten erzählt. Die schöne geht so: Chen Feng, Sohn eines Funktionärs in Peking, bekam 1982 ein Stipendium für eine Ausbildung bei der Lufthansa. Anno 1993 gründete er Hainan Airlines im Auftrag der Provinzregierung von Hainan, die ihre Insel zu Chinas Hawaii machen wollte. Die Firma geriet bald ins Trudeln. Chen konnte aber den Investor George Soros dazu bewegen, 25 Millionen Dollar für die Rettung zu geben.

Aus Chinas größter privater Fluglinie wurde HNA, ein Konzern, der in halsbrecherischem Tempo in Luftfahrt, Logistik, Tourismus und Finanz-Sektor expandierte. Die HNA-Zentrale in Haikou, der Hauptstadt von Hainan, ist ein Wolkenkratzer, dessen Form einen sitzenden Buddha darstellen soll. Nach eigenen Angaben hat HNA heute ein Vermögen von 145 Milliarden US-Dollar, einen Jahresumsatz von mehr als 90 Milliarden, weltweit 410 000 Mitarbeiter.

Rund 50 Milliarden US-Dollar, meist Kredite von chinesischen Staatsbanken, gab HNA ab 2015 für Übernahmen im Ausland aus: Beteiligungen an Fluglinien, etwa Azul, Aigle Azur und Virgin Australia – auch an der Cargolux bekundete HNA Interesse als Qatar Airways ausstieg. Dazu Flughäfen, zum Beispiel Rio de Janeiro, aber auch Hahn im Hunsrück. Ein Viertel der Hotelkette Hilton. Golfplätze in den USA. Für 2,2 Milliarden den Wolkenkratzer 245 Park Avenue in New York. Für sechs Milliarden den IT-Großhändler Ingram Micro. In der Schweiz die Swissair-Relikte Swissport, Gategroup und SR Technics, aber auch 20 Prozent der Duty-Free-Kette Dufry. Und vieles mehr. Zeitweise liebäugelte HNA auch mit einer Übernahme der Allianz. Wie auf dem Wochenmarkt, erläuterte Chen: „Du siehst so viel frisches Gemüse, du probierst und kaufst dieses und jenes.“

Im Mai 2017 überholte HNA das Emirat Katar und BlackRock als größter Anteilseigner der Deutschen Bank: 9,92 Prozent der Stimmrechte für rund drei Milliarden Dollar. In den Pflichtmitteilungen findet sich die Beteiligung unter „C-Quadrat Special Situations Dedicated Fund, Cayman Islands“. Alexander Schütz, Vorstand der Wiener Vermögensverwaltung C-Quadrat, ist seither der HNA-Vertreter im Aufsichtsrat der Deutschen Bank. C-Quadrat selbst wurde von HNA übernommen und geht gerade in der Londoner Cubic Limited auf.

Ein Schönheitsfehler dieser Erfolgsstory: Sie erklärt nicht, woher das Geld für die Shoppingtour kommt. Auch nicht, wer das HNA-Imperium regiert. Lange wurde ein ominöser Guan Jun als Hauptaktionär genannt. Wer seine angebliche Adresse suchte, landete in staubigen Hinterhöfen in Peking. Die Schweizer Übernahmekommission verhängte 2017 wegen „zum Teil falscher Angaben“ eine Gebühr von 50 000 Franken. In Neuseeland verhinderten die Behörden die Übernahme der ANZ-Tochter UDC Finance, weil HNA zu intransparent sei. Aus dem gleichen Grund blockierten US-Aufseher die Übernahme des Hedgefonds SkyBridge Capital, dito einen Einstieg beim Rohstoffhändler Glencore. Die EZB soll gar nicht so froh sein, dass überhaupt jemand Deutsche-Bank-Aktien kaufte, sondern zur HNA-Beteiligung ein Inhaberkontrollverfahren erwägen.

Offiziell gehören nun Chen Feng und anderen Spitzenmanagern 47,5 Prozent der HNA-Aktien. Haupteigentümer sind die Hainan Province Cihang Foundation in China (22,75 Prozent) und die Hainan Cihang Charity Foundation in New York (29,5 Prozent), die sich im vergangenen Jahr als Leiter und Aushängeschild den ehemaligen deutschen Wirtschaftsminister und FDP-Chef Philipp Rösler zulegte. Wer hinter den Stiftungen steht, ist unbekannt.

Eine andere Geschichte erzählt der in China wegen Korruption angeklagte, in die USA geflüchtete Tycoon Guo Wengui. Er behauptet, HNA sei ein Geldwäsche-Vehikel für KP-Bosse: in Wirklichkeit ein Familienunternehmen von Wang Qishan, geleitet von unehelichen Kindern. Wang gilt als rechte Hand des höchsten Führers Xi Jinping; er ist Vizepräsident und war bis vor kurzem als Sekretär der KP-Disziplinarkommission auch Chinas oberster Korruptions-Bekämpfer. Diese bislang unbewiesene Version wird heftigst dementiert. HNA hat gegen den im New Yorker Exil lebenden Milliardär Verleumdungsklage erhoben. Unbestritten ist, dass Wang Qishan enge Kontakte zu den HNA-Gründern hatte, als er noch KP-Chef von Hainan war.

Der bisherige Höhepunkt des Ruhms für HNA währte nur wenige Wochen. Im Juni 2017 beging Chen Feng seinen 64. Geburtstag im Petit Palais in Paris. Als HNA den 170. Platz in der Forbes-Liste der größten Konzerne erreichte, kamen im Juli zur Feier in London auch David Cameron und Nicolas Sarkozy. Im gleichen Sommer fingen die Probleme an: Chinas Regierung kritisierte „irrationale“ Auslandskäufe privater Konzerne, etwa Fußballclubs. Die Bankenaufsicht solle Kredite genauer prüfen. Die Versicherungsaufsicht untersagte der Bohai Life Insurance für sechs Monate alle Finanzhilfen an den HNA-Mutterkonzern. Das KP-Blatt People‘s Daily warnte vor „grauen Nashörnern“, die man so lange übersehe, bis sie einen aufspießen. Namentlich angeprangert: HNA.

HNA informierte im Januar 2018 Gläubiger über einen möglichen Zahlungsengpass von 2,4 Milliarden US-Dollar. Im ersten Halbjahr müsse man 16 Milliarden Dollar auftreiben. Bis Mai brachten Asset-Verkäufe nun 13 Milliarden ein, vor allem Hilton-Aktien und Grundstücke in Hongkong. Die Verringerung des Deutsche-Bank-Anteils auf 7,96 Prozent brachte 690 Millionen Dollar. Geplante Börsengänge von  und Swissport scheiterten dagegen. Weitere Notverkäufe sind angekündigt; 100 000 Mitarbeiter sollen entlassen werden. Ob das reicht, ist ungewiss: Im zweiten Halbjahr sollen weitere Anleihen fällig werden.

Die Anbang-Versicherung, ebenfalls ein „Nashorn-Konzern“, wurde gerade unter staatliche Kontrolle gestellt, ihr Chef wegen Betrugs zu 18 Jahren Haft verurteilt. Droht dergleichen auch HNA? Die Gründer Chen Feng und Wang Jian hielten es für geboten, dem Regime öffentlich Treue zu schwören: „Unfaire Medienberichte“ über HNA seien nichts als eine „Verschwörung gegen die KP“; HNA folge „unbeirrbar der Partei“ und arbeite mit aller Kraft für die Seidenstraßen-Pläne der Führung. Immerhin gab die staatliche Citic-Bank jetzt HNA drei Milliarden Dollar neuen Kredit. Heuer noch soll ein HNA-Fonds 1,5 Milliarden Dollar für neue Zukäufe einsammeln.

Zur Zukunft werden unterschiedliche Szenarien entworfen. Ein schönes: HNA werde davon profitieren, dass Hainan bis 2020 zur Freihandelszone ausgebaut und ein großer Luftfracht-Hub wird, Visa-frei für Touristen aus 59 Ländern, vielleicht sogar mit Pferderennen und Spielcasinos. In unguteren Visionen lassen Nashörner, Bären und schwarze Schwäne allerhand Finanzblasen platzen. Chinas Medien sollen angewiesen sein, Berichte über HNA-Geldsorgen strikt zu unterlassen. Das ist bestimmt vernünftig, denn Geschichten vom Ende des chinesischen Traums will wirklich niemand hören.

Apparatschiks und Avantgarde

Wang, Zhang, Chen: was sind das für Leute, die wie aus dem Nichts auftauchen und alles aufkaufen, was ihnen vor die Nase kommt? Chinesischen Unternehmern kann man viel vorwerfen – aber bestimmt nicht, dass sie ihre Zeit mit Öffentlichkeitsarbeit vergeuden würden. Wolfgang Hirn, Reporter beim deutschen Manager Magazin, hat jetzt einmal zusammengekratzt, was sich über Chinas Wirtschaftsführer herausfinden lässt.

In einem neuen Buch stellt Hirn kurz Herkunft, Karriere und deklarierte Absichten der Gründer, beziehungsweise Chefs von 80 chinesischen Unternehmen vor. Dabei unterscheidet er Generationen mit jeweils eigener Prägung: von der alten Self-Made-Garde, die noch die Kulturrevolution überleben musste, bis zu den jungen, oft in den USA ausgebildeten Computerfreaks, die China nun zur digitalen Supermacht machen.

China vereint gleichzeitig in einem Land Sowjetkombinate und Silicon Valley: Einerseits immer riesigere, immer ineffizientere Staatsbetriebe, die ohne Rücksicht auf Verluste von Bürokraten verwaltet werden. Andererseits agile Privatkonzerne, die inzwischen das Rückgrat der chinesischen Wirtschaft sind. Und Start-Ups in Zukunftsbranchen, die vom Regime an einer sehr langen Leine gehalten werden und den Westen zunehmend das Fürchten lehren.

Besonderes Augenmerk legt Hirn auf die „Viererbande“: Die gigantischen Konglomerate Anbang, Fosun, HNA und Wanda haben in den letzten Jahren hunderte Milliarden Dollar Schulden gemacht, um in aller Welt ziemlich wahllos Unternehmen und Prestigeobjekte aufzukaufen. Von der Regierung werden sie jetzt an die Kandare genommen: Auslandsinvestitionen nur noch in zehn Schlüsselindustrien, in denen China führend werden soll.

Sich mit Namen und Umfeld der bedeutendsten chinesischen Spitzenmanager vertraut zu machen, kann nicht schaden. Egal ob Welteroberung oder Riesenpleite – von ihnen wird man voraussichtlich noch viel hören.

Quellen: Zahlen vor allem von Bloomberg und South China Morning Post

Wolfgang Hirn: Chinas Bosse. Unsere unbekannten Konkurrenten, Campus-Verlag, Frankfurt 2018,
284 Seiten

Martin Ebner
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