Referendum über die EU-Verfassung

Nein gilt nicht als Antwort

d'Lëtzebuerger Land du 04.11.2004

Anfang Juli nächsten Jahres könnte der Europäischen Verfassung beschieden werden, was in zwei Jahrhunderten noch keine Luxemburger Verfassung erfuhr: eine demokratische Legitimierung durch eine Volksbefragung. Das Koalitionsabkommen von 1999 hatte zwar ein Referendum über die in den letzten Jahren erfolgten zahlreichen Änderungen der Luxemburger Verfassung versprochen, doch CSV und DP hatten es sich dann schnell anders überlegt. Neben den erst seit 1988 möglichen kommunalen Referenden sind nationale Referenden nämlich sehr selten in der Luxemburger Geschichte. Denn sie gingen meist anders aus, als geplant. Das Referendum vom 28. September 1919 über die Beibehaltung der Monarchie verlief zwar für letztere glimpflich - die Republik wollten nur 20 Prozent. Doch im gleichzeitig durchgeführten Referendum über eine neue Wirtschaftsunion entschieden sich 73 Prozent der Luxemburger für Frankreich, ge-schlossen wurde stattdessen ein Bund mit Belgien. Und im Referendum vom 6. Juni 1937 lehnten die Wähler mit einer hauchdünnen Mehrheit von 50,67 Prozent das Maulkorbgesetz zum Verbot der Kommunistischen Partei ab. Dabei blieb es dann. Um dem ADR den Wind aus den Segeln zu nehmen, hatte Premier Jean-Claude Juncker bei der Regierungsumbildung 1995 ein Referendum über die Änderung der europäischen Verträge in Aussicht gestellt, aber es blieb dann bei der Ratifizierung durch das Parlament. Plötzlich ist nicht einmal mehr sicher, wie das geplante Referendum über die Europäische Verfassung ausgehen wird. Denn laut einer zwischen Ende Juni und Anfang Juli von der ILReS in Luxemburg durchgeführten Umfrage bei 1000 Personen für das Eurobarometer der Europäischen Kommission waren zwar 88 Prozent der Meinung, dass die Union eine Verfassung annehmen müsse, acht Prozent waren dagegen und vier Prozent unentschieden. Doch eine letzte Woche von RTL veröffentliche Um-frage derselben ILReS bei 500 Personen ergab, dass nur 59 Prozent für den Text stimmen würden, 17 Prozent dagegen und 24 Prozent keine Meinung haben. Zudem waren bloß die Hälfte der Befragten ihrer Sache sicher. Vorausgesetzt, die von ILReS Angerufenen waren sich des Unterschieds in der Fragestellung zwischen einer und dieser Verfassung bewusst, dann bedeuteten die sehr verschiedenen Zahlen, dass viele eine Verfassung wollten, aber nicht diese. Doch da stellt sich rasch die etwas unangenehme Frage, wie viele der dem Wahlzwang Unterliegenden am Tag des Referendums den rund 265 Seiten langen Vertragstext über die Verfassung gelesen haben und über die nötigen politischen und rechtlichen Vorkenntnisse verfügen, um sich ein angemessenes Urteil darüber zu bilden. Aber die wenigsten von ihnen dürften auch die weit kürzere luxemburgische  Verfassung gelesen haben. Anders sieht es zumindest bei den drei traditionellen Regierungsparteien aus. Bei ihnen herrscht die Überzeugung vor, dass sie es sich gar nicht erlauben können, in der Europapolitik gegen den Strom zu schwimmen. Die oppositionelle DP hatte kurze Zeit bei der Gutheißung des Maastrichter Vertrags gezögert, aber außer interne Spannungen und den Vorwurf, auf Stimmen von rassistischen Gegnern des kommunalen Ausländerwahlrechts aus zu sein, hatte ihr dies nichts eingebracht. Solche Schwierigkeiten haben nun die kleineren Parteien. Die Grünen sahen ihre Regierungsbeteiligung am 13. Juni in Reichweite, und sie wissen, dass sie dazu ein unmissverständliches Bekenntnis zur Europäischen Union ablegen müssen. Gleichzeitig gibt es aber auch einen harten Kern, der die liberale Ausrichtung des Verfassungsentwurfs für antiökologisch und antisozial hält. Bekanntester Vertreter dieser Kritiker ist der langjährige Abgeordnete Jean Huss, der europapolitischer Sprecher der Partei war, bis sie einen eigenen Europaabgeordneten erhielt. Es heißt also, bis zu einem Parteitag am 30. Januar eine Formel zu finden, die alle zufrieden stellt und sich nicht zuletzt in eine gemeinsame Haltung aller Grünen im Europaparlament einreiht. In einem ähnlichen Dilemma -steckt das ADR, das sich bisher nicht auf eine Haltung zum Verfassungsentwurf einigen konnte. Denn einerseits fürchtet die um Respektabilität bemühte Partei, mit einer Ablehnung des Entwurfs wieder politisch ausgegrenzt zu werden, und Premier Jean-Claude Juncker hatte schlau Fraktionspräsident Gast Gibéryen in die Luxemburger Delegation aufgenommen, die im Konvent an der Ausarbeitung des Entwurfs beteiligt war. Andererseits ist das ADR aber auch versucht, Stimmen bei Wählerschichten zu sammeln, welche die europäische Integration als Bedrohung für ihren Arbeitsplatz oder ihr mittelständisches Unternehmen empfinden und einen sozialen Abstieg befürchten. Die Diskussionen in der Führungsspitze der Rentenpartei gehen weiter. Sollte das ADR nicht zur Ablehnung der Verfassung aufrufen, würde das nicht zuletzt die außerparlamentarische Linke freuen. Denn dann könnte sie die Verfassung, wie geplant, ablehnen, ohne in einen Topf mit der nationalistischen Rechten geworfen zu werden. Die Linke und KPL könnten die einzigen Parteien sein, die gegen die Ratifizierung des Verfassungsentwurfs mobilisieren, wenn auch größtenteils mit der publikumswirksameren Rhetorik der Globalisierungsgegner. Auf Betreiben von Attac, Liberté de conscience und Friddensinitiativ wurde am 30. Juni im Bonneweger Eisenbahnerkasino ein Initiativkomitee für das Nein zum Entwurf der europäischen Verfassung gegründet, das in den letzten Wochen an die Öffentlichkeit getreten ist. Sicherheitshalber hat die Regierung bereits eine Informationskampagne über den Verfassungsentwurf in Aussicht gestellt. Da nicht auszuschließen ist, dass dies in erster Linie eine Werbekampagne für die Europäische Verfassung wird, bleibt jedoch offen, wieweit es mit demokratischen Prinzipien vereinbar ist, wenn der Staat Steuermittel zur Beeinflussung des Ausgangs  eines Referendums ausgibt. Aber es ist klar, dass das Ziel des Referendums nicht ist, die Wähler um ihre Meinung zu fragen, sondern den Verfassungsentwurf demokratisch zu legitimieren. Weil Luxemburg es sicht nicht zu erlauben glauben kann, Nein als Antwort gelten zu lassen. Da sich die Parteien demnach über den nötigen Ausgang des Referendums weitgehend einig sind, diskutieren sie über das Datum. Premier Jean-Claude Juncker hatte, ohne Absprache mit dem Koalitionspartner, das zweite Halbjahr 2005 vorgeschlagen, wenn der Luxemburger Ratsvorsitz vorüber ist. Und weil ein landesweiter Wahlgang ein aufwändiges und kostspieliges Unterfangen ist, lag plötzlich der Vorschlag nahe, das Referendum zusammen mit den Gemeindewahlen am 9. Oktober 2005 zu veranstalten, was der Premier inzwischen so nie vorgeschlagen haben will. Die anderen Parteien witterten prompt den hinterhältigen Versuch, den „Jun-cker-Effekt" der letzten Parlamentswahlen bei den Gemeindewahlen zu wiederholen. Die DP hatte Mitte Oktober vorgeschlagen, das Referendum zwischen dem 5. und 8. Mai zu organisieren, wie es der Verfassungsausschuss des Europaparlaments europaweit vorgeschlagen hatte. Die Liberalen hatten sich aber auch schon für nächsten Monat als feierlichen Auftakt zum Ratsvorsitz stark gemacht. Um seinem CSV-Premier nicht das Monopol zu überlassen, hatte Außenminister Jean Asselborn auf dem Parteitag der LSAP am 25. Ok-tober ein Datum Anfang Juli vorgeschlagen. Und derzeit sieht es tatsächlich so aus, als ob das Referendum am 3. oder 10. Juli sein soll, also in dem schmalen Zeitfenster zwischen dem Ende des Luxemburger Ratsvorsitzes und dem Beginn des Sommerurlaubs. Doch nächsten Monat wollen die Staats- und Regierungschefs auf dem europäischen Gipfel erst einmal beraten, ob nicht alle Referenden in der EU beinahe zur selben Zeit statt-finden können, um so schier endlose Wahlkampagnen in Europa zu vermeiden. Inzwischen haben nämlich ein Dutzend Staaten eine Volksbefragung über den Verfassungsentwurf angekündigt. Doch eines der Probleme ist, dass es hierzulande noch immer keine Prozedur gibt, nach der das Referendum organisiert werden soll. Die Regierung deponierte zwar vor eineinhalb Jahren den seit 1919 versprochenen Gesetzentwurf über legislative Volksinitiativen und Referenden. Aber er wurde bis heute nicht gestimmt. Das Gutachten des Staatsrats erfolgte erst vor 14 Tagen und war zudem ziemlich vernichtend. Der Staatsrat bemängelte vor allem die als demokratisches Herzstück des Textes ausgegebene Möglichkeit der legislativen Volksinitiative. Sie verstoße nämlich sowohl gegen Artikel 51, wie auch gegen Artikel 59 der Verfassung. Laut diesen Artikeln ist es nämlich dem Gesetzgeber überlassen zu entscheiden, wann die Wähler zu einem Referendum aufgerufen werden, und ob ein zweites Votum stattfinden soll. Damit aber zumindest die Bestimmungen über Referenden möglichst schnell Gesetzeskraft erhalten und so die Volksbefragung über die Europäische Verfassung ermöglichen können, strich der Staatsrat einmal kurz 100 Artikel des Gesetzentwurfs, der statt 172 nur noch 72 Artikel enthalten soll. In weitgehender Analogie zu den Parlamentswahlen sieht der Gesetzentwurf  vor, dass für Referenden Wahlzwang sowie die Möglichkeit der Briefwahl bestehen. Er be-schränkt aber auch die Teilnahme auf die in den Wählerlisten zu den Parlamentswahlen eingetragenen Wahlberechtigten. Das heißt, dass die Luxemburger Staatsbürgerschaft Voraussetzung zur Teilnahme ist. Zwar finden die meisten Parteien nichts dabei, wenn, ähnlich wie bei den Europawahlen, zumindest auch andere EU-Bürger über den Verfassungsentwurf abstimmen dürfen. Aber es ist zweifelhaft, ob der Staatsrat dabei mitspielt. Denn die Verfassung soll zuerst vom Parlament durch ein Gesetz ratifiziert werden, das dann zum Referendum gestellt wird. Wenn Meinungsbekundungen zur Gesetzgebung aber nicht bloß eine beratende Funktion haben, wie in den Berufskammern, dann sind sie laut Verfassung den luxemburgischen Staatsangehörigen vorbehalten. Und würde der Verfassungsentwurf wider Erwarten im Referendum abgelehnt, wäre seine endgültige Ratfizierung durch das Parlament vielleicht verfassungsrechtlich, aber nicht mehr politisch möglich.

Romain Hilgert
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