Toller Hecht

Lehrerschrottplatz

d'Lëtzebuerger Land vom 17.02.2012

Heute loben wir einen wahrhaft tollen Hecht. Hätten Sie Lust auf ein kleines Gesellschaftsspiel? Stellen Sie sich vor, da schneit Ihnen einer ins Haus und sagt Ihnen mitten ins Gesicht: „Sie passen nicht mehr in diese Zeit.“ Wie würden Sie reagieren? Vor lauter Verunsicherung käme Ihnen vielleicht der Gedanke: Na gut, dann muss ich mich wohl endgültig verkrümeln. Dann geht es nur noch darum, wie man mich möglichst schadstoffarm entsorgen kann. Ich könnte mich ja notfalls selber um meine einwandfreie Einäscherung kümmern. Nur schnell weg hier, bevor mich „diese Zeit“ überrollt.

Vielleicht sind Sie aber auch ein frecher Zeitgenosse und fragen zurück: „Hallo, wer spricht da?“ Wer maßt sich an, mir vorzuschreiben, wie ich zu denken und zu leben habe? Wer nimmt sich heraus, Menschen einfach auszumustern und aus „dieser Zeit“ fallen zu lassen? Pardon, mit solchen Fragen haben Sie das Spiel schon verloren. So schnell kann es gehen. Denn Sie haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Der Ausmusterer ist nämlich eine multiple Kapazität, ein Genie der Weltdeutung sozusagen. In unserem Fall nennt er sich „freier Bildungsreferent“. Die Liste seiner Verdienste ist kilometerlang. Er hat vermutlich einen 200-Stunden-Tag. Da können wir alle nur diskret von der Bildfläche verschwinden. Wir stöhnen ja schon unter der Last von 40 Arbeitsstunden pro Woche.

Ein paar tausend Luxemburger Lehrer, die nicht mit der so genannten Schulreform einverstanden sind, hatten sicher nicht mit dem donnernden Auftritt des „freien Bildungsreferenten“ gerechnet. Es hat sich ja mittlerweile herumgesprochen, dass diese sonderbare Reform nichts weiter ist als der Zugriff der Wirtschaft auf das Bildungssystem. Eine feindliche Übernahme also. Oder, wie es Romain Hilgert kurz und bündig auf den Punkt bringt, „Ausbildung statt Bildung“ (d’Land, 5/2012). Der Widerstand der Praktiker, die Tag für Tag die schulischen Mühen der Ebene auf sich nehmen, ist so gewaltig, dass er einem politischen Fiasko für die Unterrichtsministerin gleichkommt. Die allerdings bescheinigt ein paar tausend Luxemburger Lehrern, sie gehörten in die Kategorie der Uneinsichtigen, die sich stets gegen „alles Neue“ stemmen. Soviel suizidäre Energie muss eine Politikerin erst mal aufbringen.

Der „freie Bildungsreferent“ sieht die Lage ganz ähnlich wie seine Ministerin. Führen wir uns mal zu Gemüt, wie er im Luxemburger Wort vom 7. Februar 2012 über die protestierenden Lehrer urteilt. Die Journalistin gibt ihm das Stichwort: „Es scheint, als ob viele Lehrer sich den Kritikern aus einem Gefühl von Verunsicherung anschließen.“ Diese schöne Steilvorlage kommentiert der „freie Bildungsreferent“ so: „Ja, und das ist tragisch, für die Lehrer selber, denn man müsste ihnen helfen. Aber sie schotten sich ab. Tragisch aber auch für die Schulen und Schüler, weil das Lehrpersonen sind, die nicht mehr in diese Zeit passen.“ Den unzufriedenen Lehrern bleibt jetzt eigentlich nur mehr die Strategie der Lemminge. Der kollektive, gezielte Sturz ins Verderben. Oder, schulreformerisch ausgedrückt: Wenn sich diese paar tausend armen Hilfsbedürftigen freiwillig verdrückt haben, dürfen die tragisch vernachlässigten Schüler endlich aufblühen.

Alle elenden Schulblockierer sollten sich merken: Wer kritisiert, braucht Hilfe. Vielleicht gibt es ja irgendwo im pädagogischen Hinterland schon ein Sanatorium, wo kritiksüchtige Lehrer kuriert werden. Und wo man ihnen beibringt, was „diese Zeit“ eigentlich bedeutet. „Diese Zeit“ ist die Zeit der „freien Bildungsreferenten“. Man könnte auch sagen: die Zeit der einfliegenden Paradiesvögel. Jener Privatunternehmer, die sich mit ein paar öligen Phrasen einbalsamieren, um ihren jeweiligen Auftraggebern reibungslos in den Allerwertesten zu gleiten. Unser „freier Bildungsreferent“ arbeitet inzwischen schon für 11 luxemburgische Bildungsanstalten. Überall leistet er Blendendes und Kolossales. Zum Beispiel: „Projekt- und Profilentwicklung, Beratung bei der Verbesserung der Struktur- und Prozessqualität zur Steuerung der Schule, Moderation Pädagogischer Tage, Entwicklung eines Schulentwicklungsleitfadens, Beratung bei Durchführung und Auswertung einer Gesamt-Ist-Analyse, Qualifizierung in Gesundheitsförderung und Projektmanagement“ (alle Selbstbeschreibungen unter www.siegfried-seeger.de).

Na gut, wir können noch verstehen, dass Lehrer bei einer derartigen Lawine sprachlicher Hohlfloskeln das schmerzhafte Gefühl haben, ihnen würde Schotter in die Augen gerieben. Sie sollten aber nicht vergessen, dass der „freie Bildungsreferent“ nicht nur in Luxemburg, sondern auch in Deutschland, Österreich, Italien, der Republik Belarus und der Schweiz Behördenbeglückung auf höchstem Niveau betreibt. Insgesamt 99 Städte zählt er auf, die jetzt wohl alle durch sein Wirken „in diese Zeit passen“.

Der Mann wiegt also spielend ein paar tausend nörgelnde Luxemburger Lehrer auf. Ihnen kann man nur zur Selbstbeseitigung raten. Der „freie Bildungsreferent“ schafft die Schule ganz allein.

Guy Rewenig
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