Cargolux

Bewölkter Himmel

d'Lëtzebuerger Land du 03.04.2008

„Wir haben uns nichts vorzuwerfen“, hatte Ulrich Ogiermann, CEO der Cargolux im Februar 2006 gesagt. Am Valentinstag hatte das Luftfrachtunternehmen überraschenden Besuch von den Beamten der EU-Wettbewerbsbehörden erhalten. Die waren gekommen, um wegen mutmaßlicher Preisabsprachen auf den Treibstoff- und Sicherheitszuschlägen zu ermitteln. Spektakulär war die Aktion der Beamten immerhin, denn ihre amerikanischen Kollegen führten gleichzeitig Hausbesuche in den USA durch. Insgesamt gerieten über 20 Airlines ins Visier – unter anderem auch Lufthansa, Air France-KLM, British Airway, Qantas –, alle wurden verdächtigt, das Niveau der Zuschläge miteinander abgestimmt zu haben. 

Zwei Jahre später, im Februar 2008, deutete die Cargolux erstmals öffentlich an, es könne doch ein Problem geben. Ein gutes Geschäftsergebnis für das vergangene Jahr kündigte die Gesellschaft an. Dennoch drohe ein negatives Resultat wegen der Rückstellungen in Höhe von 155 Millionen, die angesichts der möglichen Strafzahlungen gemacht werden müssten. Im Dezember 2007 hatte die EU-Kommission mitgeteilt, man habe einigen Gesellschaften ein so genanntes statement of objections zukommen lassen. Darin informiert die Kommission die Firmen über die Vorwürfe, worauf diese dann reagieren können. Ein solcher Brief ist der erste formale Schritt in Richtung Strafe. Die Cargolux bestätigte, sie gehörte zu den angeschriebenen Airlines. Sie hat auf das Schreiben der Kommission auch geantwortet. Was, will man bei der Cargolux derzeit nicht sagen, auch nichts dazu, was die Kommission der Gesellschaft konkret vorwirft. 

Grob zusammengefasst lautet der Vorwurf der Wettbewerbshüter and die Frachtflugbranche: Die Treibstoffzuschläge wurden koordiniert, das heißt gleich viel erhöht oder gesenkt, im gleichen Zeitraum, ohne Rücksicht auf die verschiedenartigen Kostenstrukturen der Airlines. Auch der Sicherheitszuschlag, den die Frachtgesellschaften nach dem 11. September 2001 und die Kriegsrisikozulage, die sie wegen des Golfkrieges einführten, war den Behörden verdächtig, weil sie sich auffällig ähnelten. 

Dabei verwundert es nicht unbedingt, dass die Cargolux sich 2006 noch so gelassen gab. Nach dem Motto: Viel Lärm um Nichts, hieß es bald vielerorts, im Zentrum der Angelegenheit stünde der Lufthansa Fuel Price Index (FPI). Von dem behauptete die Lufthansa noch im Mai 2006, dass er „aufgrund seiner Methodik und Transparenz zu einem wichtigen Indikator in der Luftfrachtbranche und im Markt geworden“ sei. Das war nicht übertrieben. Die Informationen über das Berechnungsverfahren, also die Gewichtung der Treibstoffpreise an den verschiedenen Spot-Märkten, der Bezugswert, ab dem die Lufthansa ihren Zuschlag erhöhte; sowie der jeweilige Stand des Index’ waren für jedermann frei zugänglich auf der Lufthansa-Webseite abrufbar. So wussten nicht nur die Kunden woran sie waren, auch die Konkurrenten schauten gerne vorbei. Was kann schon falsch daran sein, wenn alle darauf gucken, dachten sich wohl die Manager.Sollten die Airlines demnach für ein Übermaß an Transparenz bestraft werden, während man anderen Wirtschaftszweigen ihre Undurchsichtigkeit vorwirft? 

Im August 2006 wurde der FPI zum letzten Mal auf der Webseite aktualisiert. Die Lufthansa hat, wie auch die australische Qantas bei den amerikanischen Behörden gestanden. Die Sache geht doch ein wenig über kundenfreundliche Transparenz hinaus. Innerhalb der International Air Transport Association (IATA) gibt es verschiedene Gremien, die sich mit den Preisen im Fracht-, und Passagiergeschäft, auch mit eventuellen Zuschlägen beschäftigen. Im Jahr 2000 einigten sich die Mitglieder der IATA darauf, dass die Vereinigung einen harmonisierten Mechanismus für die Berechnung der Treibstoffzuschläge erstellen würde. Die würden immer dann fällig, wenn die Kerosinkosten den Durchschnittspreis von Juni 1996 für mindestens zwei Wochen überschreiten. Wenn der Preis wieder zwei Wochen auf ein Niveau von nur zehn Prozent mehr als im Juni 1996 zurückfiele, würde der Zuschlag wieder ausgesetzt.

Im März 2000 stellte die IATA beim amerikanischen Transportministerium einen Antrag, der darauf abzielte, diese Übereinkunft absegnen und ihr wettbewerbsrechtliche Immunität geben zu lassen. Klingt das auch ein wenig wunderlich, so ist an diesem Vorgehen nichts Außergewöhnliches. Die IATA trifft ständig Abkommen und legt sie dem Ministerium zur Einwilligung vor. In den meisten Fällen werden sie auch abgesegnet. In diesem Fall allerdings verweigerte das Department of Transportation die Zustimmung. „The uniform, industry-wide index mechanism proposed here appears fundamentally flawed and unfair to shippers and other users of cargo air transportation,“ heißt es in der Begründung. Zudem strich das Ministerium hervor, der Index reflektiere wohl die Volatilität der Spot-Märkte, an denen Kerosin gehandelt wird. Er sei aber kein gutes Messinstrument für die realen Spritkosten der Fluglinien, von denen manche bis zu 80 Prozent ihres Kerosinverbrauches hedgen, also durch langfristige Liefervereinbarungen gegen Schwankun­gen absichern würden.Dass ein durch und durch transparenter, für alle einsehbarer und Index also wettbewerbsrechtlich bedenklich sei, hätte den IATA Mitgliedern – darunter die Cargolux – damals schon dämmern müssen.

Dazu kommt, dass wie die Nachrichtenagentur Bloomberg im Oktober 2006 meldete, Lufthansa, Air France-KLM und Co. um die 70 Prozent ihres Kerosinbedarfs abgesichert hätten. Und die Cargolux? Auch sie hat einen Index und versucht zumindest teilweise ihren Bedarf zu hedgen. Zu welchem Prozentsatz lässt sich aus dem letzen Jahresbericht nicht genau herauslesen. Nur, dass sich die Bemühungen in den vergangenen Jahren manchmal positiv und manchmal negativ auswirkten. Und dass trotz der dadurch erzielten Ersparnisse die Treibstoffausgaben 2006 um rund 20 Prozent stiegen. Die 581,5 Millionen Dollar machten 40 Prozent der Gesamtkosten aus und die Zuschläge reichten nicht, um den Anstieg der Kerosinpreise auszubalancieren, hieß es im Jahresbericht.

Dort hatte man auch vorsichtshalber schon mal 20 Millionen Dollar zurückgestellt, um die Anwaltskosten im Rahmen der Kartellvorwürfe zu decken und die Reserven auf das legale Maximum hochgeschraubt; sprich 36 Millionen Dollar. Denn nicht nur in der EU und den USA wird gegen die Cargolux ermittelt, auch in Kanada, Australien, Neuseeland und der Schweiz. War die Aktion im Februar auch abgesprochen, die Behörden ermitteln unabhängig voneinander und je nach Ermittlungsergebnissen drohen in jedem Hoheitsgebiet Strafen. Das macht überdies die ganze Sache für Wettbewerbsanwälte sehr interessant. Wer­den die Behörden in einheitlicher Manier auf dieses mutmaßliche globale Kartell reagieren?

Die 155 Millionen Euro Rückstellungen der Cargolux, die vergangenen Februar angekündigt wurden, würden höchstens die maximale Strafe in der EU abdecken: zehn Prozent des Jahresumsatzes. Die Cargolux hat immer betont, dass man mit den Wettbewerbsbehörden zusammenarbeite. Ob sie allerdings schnell genug reagiert und gepetzt hat, um später Anspruch auf die Nachsichtigkeitsregeln der Kommission erheben zu können, will die Gesellschaft nicht sagen. 

Dass die Cargolux ungeschoren davonkommt, ist mittlerweile sehr unwahrscheinlich geworden. Eben weil die Kollegen von der Lufthansa und Qantas gestanden und gepetzt haben. Dafür kennt die Qantas seit November die Höhe ihrer Strafe in den USA: 61 Millionen Dollar. Der British Airways wurden bereits 200 Millionen Dollar Strafe aufgebrummt, der Kore­an Air 100 Millionen. Die Lufthansa hat sich schon letztes Jahr mit einem Teil der Zivilkläger auf Schadenersatzzahlungen von 85 Millionen Dollar geeinigt. Von ihnen geht zusätzliche Gefahr aus. Von über 20 Sammelklagen in den USA berichteten verschiedene Medien. Mittlerweile sind sie zu einer einzigen zusammengefasst, vor einem New Yorker Gericht, die Kläger haben Geschworene gefor­dert. Wie viele Kläger es gibt, vermoch­te auch das Gericht nicht zu sagen, als die Fälle zusammengelegt wurden. Bis zum dreifachen Betrag des eigent­lich verursachten Schadens müssen in Amerika im schlimmsten Fall gezahlt werden. Im Juli 2007 beantragten die beklagten Frachtfluggesellschaften eine Abweisung der Klage, seither haben Lovell Stewart and Halebian, eine der Kanzleien, welche die Klägerparteien anführen, keine Neuigkeiten mehr vermeldet.

Dabei hängt die Höhe der Strafzahlungen und der Schadenersatzforderungen natürlich auch davon ab, wie viel Tonnen die jeweiligen Gesellschaften überhaupt in den jeweiligen Rechtsgebieten bewegt haben. Für die Cargolux waren das 2006 in Nordamerika 93 876 Tonnen, Los Angeles und Houston generierten dabei die höchsten Umsätze. Allerdings wird über einen Zeitraum von rund fünf Jahren ermittelt. Und die surcharge wird in Eurocent pro Kilo, nicht pro Tonne gerechnet. Aktuell berechnet die Cargolux beispielsweise 90 Eurocent pro Kilogramm Fracht.

Auch in Kanada wird Cargolux in einer Sammelklage mitbeklagt, in Australien scheint ihr das bisher erspart geblieben zu sein. Das liegt aber wahrscheinlich daran, dass die Gesellschaft dort so wenig Fracht bewegt, dass sich dies für etwaige Kläger nicht lohnt. Neben dem finanziellen Risiko droht den Firmen in den USA ein weiteres Unheil: nämlich die strafrechtliche Verfolgung der jeweiligen Firmenleitung. Diese Aussicht dürfte den Mitgliedern der Führungsriegen ebenso die Schweißperlen auf die Stirn treiben, wie die Aussicht auf Millionenstrafen für die Unternehmen. Im Abkommen, das die Qantas im Rahmen ihres Geständnisses abschloss, wird die strafrechtliche Verfolgung der Mitarbeiter explizit ausgeschlossen – außer die der absoluten Topmanager, die genau so explizit von dieser Regelung ausgenommen werden. Mit ihnen wollen sich andere Managerkollegen wohl nicht mehr so gerne sehen lassen. In den USA haben sie sich sicherlich, aus Angst vor Verhaftung, kaum blicken lassen. Auch die der Cargolux nicht, obwohl dort ihre Flugzeuge gebaut werden.

Noch diesen Monat soll der Jahresbericht 2007 der Luxemburger Frachtgesellschaft vorgestellt werden. Vielleicht wird es dann konkretere Angaben zu den Risiken und Absicherungen geben. Zum Beispiel, ob die noch relativ neue Praxis der Cargolux ihre Flugzeuge an eine externe Firma zu verkaufen und zurückzuleasen, dazu dienen kann, diese vor eventuellen Gläubigern zu schützen?

 

Michèle Sinner
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