Fluglärm

Fluchhafen Luxemburg

d'Lëtzebuerger Land vom 11.01.2007

Xavier Bettel, der liberale Zentrums-Abgeordnete, hat schon immer versucht, der Politik einen hohen Unterhaltungswert abzugewinnen, und stichelt gern. Wie zuletzt am Donnerstag vergangener Woche, als er sich in einer parlamentarischen Anfrage bei Premier Jean-Claude Juncker erkundigte, ob der Umweltminister nicht sofort die Bauarbeiten am neuen Flughafengebäude stoppen müsse. So fragt der Spaßguerillero, der sich vorstellt, wie LSAP-Umweltminister Lucien Lux mit Transportminister Lucien Lux in Konflikt geraten könnte. Der damalige DP-Transportminister Henri Grethen sah immerhin den Kriegszustand mit dem Mouvement écologique erreicht, als die Umweltorganisation und mehrere Anti-Fluglärm-Initiativen nahe stehende Bürger im März 2001 vor dem Verwaltungsgericht einen Baustopp erwirkten.

Doch Bettels Vorstoß hat ein wenig spaßiges Problem zum Hintegrund: Für den Flughafen in seiner Gesamtheit gibt es bis heute keine Betriebsgenehmigung, jedenfalls keine endgültige. Dabei hatte bereits am 13. Juni 1996 die  Abgeordnetenkammer die damalige CSV-LSAP-Regierung aufgefordert, „à soumettre à court terme toutes les installations de l’aéroport à une procédure commodo-incommodo“. Das war, als ein erstes Gesetz zum Umbau der Aérogare und zum Neubau zweier Terminals verabschiedet wurde.

Ein Kommodo-Verfahren aber folgte erst Anfang 2002 – und zwar nachdem das Verwaltungsgericht es auf die Klage von Mouvement écologique und Bürgern hin ein Jahr zuvor vorgeschrieben und den zeitweiligen Baustopp verhängt hatte. Anschließend aber wurden zwei Anträge auf Betriebsgenehmigung gestellt: einer für den Flughafen insgesamt, einer für die Aérogare. Letztere genehmigte der damalige DP-Umweltstaatssekretär Eugène Berger Anfang Oktober 2002. Den Flughafen genehmigte er ebenfalls, aber nur provisorisch. Endgültig werden sollte die Genehmigung nach Abgleich mit einem Flächennutzungsplan zum Flughafen und seiner Umgebung, den zu erstellen das Landesplanungsministerium inzwischen begonnen hatte. Berger genehmigte für den Flughafen vorübergehend 63 000 Flugbewegungen jährlich. Transportminister Grethen hatte 76 000 beantragt, mit Zeithorizont 2012. Mouvement écologique und verschiedene Bürger klagten erneut, um zu erreichen, dass Flughafen und Aérogare nicht getrennt voneinander betrachtet und genehmigt würden. Das Verwaltungsgericht hielt dieses Anliegen für berechtigt und änderte am 19. Mai 2004 den Maximalwert der jährlichen Flugbewegungen ab: Nicht 63 000, sondern so viele wie zwischen Juli 2003 und Juli 2004 gezählt, seien das vorläufige Limit, bis die endgültige Betriebsgenehmigung für den gesamten Flughafenvorliege. Dieses Limit wurde zwischen Juli 2005 und Juli 2006 um etwas mehr als 3 000 überschritten.

Lucien Lux verspricht Abhilfe. Etwa Anfang nächsten Monats werde die endgültige Genehmigung für den gesamten Flughafen vorliegen – weil dann grünes Licht für bis zu 76 000 Flüge jährlich gegeben wird, sei die Überschreitung vom letzten Jahr kein Problem mehr. Damit befindet der Umweltminister sich auch im Einklang mit dem Kommodo-Gesetz: Sein Ermessensspielraum gegenüber Betrieben, die ihre Grenzwerte nicht einhalten, ist recht groß und reicht von einer Entscheidung über sofortige Schließung bis hin zur Gewährung einer maximal zwei Jahre langen Gnadenfrist.

Ende gut, alles gut ab Anfang Februar also? – Alles andere als das. Denn Mouvement écologique und Staat stritten vor dem Verwaltungericht weniger um abstrakte Prozedurfragen als um sehr konkrete Emissionen. Vor allem um Fluglärm, und insbesondere um die Art und Weise, wie dieser hierzulande ermittelt wird und zu welchen Vorschriften das führen sollte.

In dieser Hinsicht gibt es zwei Nachrichten zu vermelden, eine gute und eine schlechte. Die gute ist die, dass Mitte Juli letzten Jahres die EU-Umgebungslärmdirektive in nationales Recht umgesetzt wurde. Das dauerte zwar länger als eigentlich zulässig und bedurfte einer Klage der EU-Kommission gegen Luxemburg vor dem EU-Gerichtshof, doch: Auch hierzulande muss bis zum 30. Juni dieses Jahres eine „Lärm-Kartografie“ erstellt werden – über Autobahnen und Eisenbahnlinien, über die Agglomeration um die Hauptstadt, weil sie mehr als 100 000 Einwohner zählt, und über den Flughafen, weil er mehr als 50 000 Flugbewegungen jährlich verzeichnet. Danach sind bis Mitte 2008 Lärmschutz- Aktionspläne aufzustellen und an die EU-Kommission zu melden. Vorgeschrieben ist eine Bürgerbeteiligung.

Das besondere Novum besteht darin, dass die Lärm-Direktive eine EU-weit einheitliche Methodologie zur Lärmmessung vorschreibt. Und es wird künftig unterschieden zwischen Tageslärm, Abendlärm und Nachtlärm. Nur die Maximalwerte, die muss jeder Mitgliedstaat für sich festlegen. Damit komme Luxemburg zum ersten Mal in die Situation, Lärmpolitik zu machen, meint der Umweltminister. Auch für den Flughafen.

Die schlechte Nachricht ist allerdings die, dass es keinen unmittelbaren Zusammenhang gibt zwischen der Aufstellung von Lärmschutz-Aktionsplänen und dem Verfahren zur Erteilung der definitiven Betriebsgenehmigung für den Flughafen unter besonderer Berücksichtigung des Fluglärmproblems. Eher im Gegenteil: Das Kommodo-Verfahren, das Anfang Februar seinen Abschluss finden soll, ist kaum mehr als die formale Beendigung des schon von Eugène Berger im Oktober 2002 provisorisch bearbeiteten. Nur kleine Änderungen gibt es: Die neue Anlage der Cargolux für den Probelauf der Flugzeugmotoren musste auf ihren Einflusss auf das Lärmaufkommen analysiert werden. Der deutsche TÜV führte dazu am Dienstag Messungen durch. Außerdem wurde das Kommodo-Dokument dem Flächennutzungsplan angepasst, den das Landesplanungsministerium erstellt hatte, und der im Mai 2006 endgültig rechtskräftig wurde: Nun haben Flächennutzungsplan und Kommodo-Dossier für den Flughafen eine einheitliche „Lärmzonen-Kontur“.

Daraus folgt allerdings, dass in beiden Verfahren die Methodologie zur Lärmmessung aus dem deutschen Fluglärmgesetz von 1971 angewandt wurde. Es diente schon 1986 zur Aufstellung des ersten Teilbebauungsplans für den Flughafen und der Ausweisung von Lärmzonen. In den letzten Jahren aber war die Anwendung dieser Methodologie immer mehr in die Kritik geraten und der eigentliche Klagegrund für den Mouvement écologique gegen die diversen Flughafendossiers gewesen. 

Aus der gleichen Ursache lehnten 2002 alle Anrainergemeinden des Flughafens die provisorische Kommodo-Genehmigung ab, und weil die Methodologie auch bei der Aufstellung des Flächennutzungsplans angewandt wurde, stieß dieser Planentwurf ebenfalls auf kommunale Ablehnung. Die vehementeste Kritik kam vom Schöffenrat der Hauptstadt. Er rechnete vor, dass die geltende Methodologie dazu führe, dass 25 000 Einwohner von Luxemburg-Stadt in der Einflugschneise einem 24-Stunden-Mittelwert von 62 Dezibel ausgesetzt sind, während etwa in den Niederlanden die Planungen zur Weiterentwicklung des Airports Amsterdam-Schiphol von 53 Dezibel im 24-Stunden-Schnitt ausgehen und in der Schweiz 55 Dezibel im Tagesmittel und 45 Dezibel nachts angestrebt werden. Wobei eine Differenz von zehn Dezibel in dieser logarithmischen Skala einem um den Faktor Zwei veränderten Lärmempfinden entspricht. Wende man dagegen das Berechnungsverfahren an, das neuerdings sogar in Deutschland in verschiedenen Bundesländern immer häufiger benutzt wird, dann ende die lärmrelevante Einflugschneise in der Hautstadt nicht mehr in Bonneweg-Nord, sondern reiche bis nach Cessingen.

Mittlerweile ist in Deutschland eine Reform des Fluglärmgesetzes unterwegs. Die Grenzwerte sollen um zehn bis 15 Dezibel fallen, die Berechnungsverfahren geändert werden. Die bestehende Regelung, heißt es in einem Hintergrundpapier des Bundesumweltministeriums, „ist heute nach übereinstimmender Einschätzung aller beteiligten Experten klar veraltet. Das Gesetz entspricht nicht mehr den aktuellen Erkenntnissen der Lärmwirkungsforschung“.

Möglicherweise könnte Luxemburg auch die neue deutsche Regelung, wenn sie denn in Kraft tritt, berücksichtigen – in den Lärmschutz-Aktionsplänen, die im nächsten Jahr erstellt werden sollen. Dann könnte vielleicht auch für von Fluglärm besonders Betroffene ein Anspruch auf Schallschutzmaßnahmen in der Wohnung eingeführt werden. In der Zwischenzeit aber gibt es kaum mehr Fluglärmschutzpolitik als früher: Zwar sollen mit dem demnächst zu verabschiedenden Gesetz über die Flugnavigation die Flughafentaxen reformiert, die Taxe für nicht genehmigte Nachtflüge mindestens verdreifacht und eine Strafabgabe für das Nichteinhalten der vorgeschriebenen Trajektorie beim Landeanflug eingeführt werden. Doch solange die Neuerungen auf alten Methoden zur Lärmermittlung basieren, wirken sie womöglich nicht richtig. „Kommodo nach alten Kriterien“ enthielte nicht nur Weichenstellungen, ehe „die Lärmschutzpolitik“ beginnt. Es brächte Flughafen-Anrainergemeinden und Mouvement écologique die Klagegründe von einst zurück. Der Streitwert ist erheblich: Bei den Verhandlungen 2001 und 2004 hatte die reelle Möglichkeit bestanden, dass das Verwaltungsgericht die Schließung des Flughafens hätte verfügen können. Deshalb war Henri Grethen so sauer gewesen. Die Flugbewegungen zu begrenzen, war der Deal gewesen. Aber das zeigt, wie groß das Fluglärmproblem damals war und heute noch ist.

 

Peter Feist
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