Flughafen und Fluglärm

Viel Lärm am Findel

d'Lëtzebuerger Land du 23.10.2003

Anfang der Woche schlugen die Gewerkschaften Alarm. Der LCGB initiierte eine Kampagne „Für den Erhalt unseres Findel“. OGB-L-Präsident John Castegnaro verlangte, über den Flughafenausbau solle Mitte November die Tripartite diskutieren, Premier Juncker stimmte am Mittwoch zu. Das OGB-L-Transportsyndikat Acal lud am gleichen Tag ihre Luxair- und Cargolux-Mitglieder zu einer Informationsversammlung. „Wir fürchten, dass Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen“, sagt Acal-Sekretär Hubert Hollerich. Rund 4 000 sind es allein auf dem Flughafen, bei Luxair und Cargolux. Weitere 2 000 hängen vom Betrieb auf dem Flughafen unmittelbar ab.
Angeheizt hat die Debatte das vom hauptstädtischen Gemeinderat am vergangenen Dienstag ergangene Nein zu dem vom Innenministerium Ende Juli allen Findel-Anrainergemeinden zugestellten Entwurf für einen Flächennutzungsplan Aéroport et environs. Hauptstadtbürgermeister Paul Helminger bestand erneut auf seiner Idee von einem „City Airport“, der hauptsächlich dem Personentransport dienen und auf dem der Frachtumschlag „gedeckelt“ werden soll – nicht zuletzt in Abhängigkeit von der Lärmbelastung. Zwei Tage später sorgte Cargolux-Generaldirektor Ulrich Ogiermann für Aufregung, als er in einem Interview mit der Saarbrücker Zeitung erklärte, das Bekenntnis von Luxemburg-Stadt zum City Airport werfe die Frage auf: „Will man uns langfristig noch hier haben?“ Zwar sollte man, sagt Cargolux-Pressesprecher Marc Schonckert, Ogiermann nicht so verstehen, dass Cargolux an einen Weggang denke. Immerhin ist eine Deckelung des Frachtumschlags, die sich aus der Kapazität des Cargo-Centers ergibt, schon lange auch das Credo von Wirtschafts- und Transportminister Henri Grethen. Cargolux sei, sagt Schonckert, „zufrieden“ mit den Möglichkeiten, die das Cargo-Center derzeit bietet. „Doch wenn es eines Tages heißen sollte: Es muss Fracht weg, wäre es legitim, die Frage nach dem Verbleib zu stellen.“
Ökonomisch ist das Frachtgeschäft von kapitaler Bedeutung für den gesamten Flughafenstandort. Nur 60 Prozent entfällt im Umschlag auf Cargolux – immerhin jedoch Europas größte Nur-Fracht-Airline. Von den knapp 84 000 Flugbewegungen im Jahr 2002 war nur rund jeder zehnte Anflug nach oder Abflug von Findel ein Frachtflug, rund jeder zwanzigste ein Cargolux-Flug. Das Gros steuert der Passagierverkehr bei. Verminderter Frachtumschlag im Cargo-Center allerdings würde zuallererst die Luxair in Bedrängnis bringen, die das Center betreibt. Zwar flog sie 2002 nach langen Jahren auch im Passagierbereich erstmals wieder in die Gewinnzone. Doch es ist noch immer das Handling von Luftfracht, das ihre Bilanz stabilisiert. Und wenn sie demnächst planmäßig das Handling der Passagiere an die neugegründete LuxAirport abgeben wird, mit der sie anteilsmäßig nicht verbunden ist, erhöht sich die Bedeutung der Fracht für die Luxair noch. Das ist es, was den Gewerkschaften zu denken gibt: „Der Passagierverkehr steckt weltweit in der Krise“, sagt Hubert Hollerich vom OGB-L, „froh kann jede Airline sein, die auch mit Frachtverkehr etwas zu tun hat.“
„À endiguer l’activité des avions gros porteurs engagés essentiellement dans le transport fret“, forderte die Chamber die Regierung am 10. Juli 2002 in einer Motion auf. Das Fluglärmproblem schien damit beim Frachtbetrieb ausgemacht. Das ist womöglich ökologisch falsch, wenn die Zahl der Frachtflüge relativ gering ist, die Frachtmaschinen in der Regel groß, damit aerodynamisch günstiger und somit leiser sind, und wenn darüberhinaus Cargolux eine Boeing 747-Flotte betreibt, die bereits heute Lärmschutzforderungen gerecht wird, die EU-weit erst 2006 in Kraft treten werden. Doch ob die These stimmt oder nicht, ist ein Geheimnis des Transportministeriums. Anfang 1999 wurde noch von dem damals LSAP-geführten Ministerium eine mit Milionenaufwand errichtete Anlage zum „noise monitoring“ am und um den Flughafen in Betrieb genommen. Dass daraus bis heute keine Daten öffentlich gemacht wurden, beklagt nicht nur Blanche Weber, Generalsekretärin des Mouvement écologique. Auch Paul Helminger erklärte am Mittwoch in einem Revue-Interview: „Unsere Fragen zu den Lärmmessungen blieben bis heute ohne Antwort.“
Und leider geben diese Antwort auch die von der Regierung zuletzt auf den Instanzenweg gebrachten planerischen und Genehmigungsprozeduren entweder nicht im ausreichenden Maße, oder sie widersprechen einander. So soll der Flächennutzungsplan zu Flughafen und Umgebung als sozusagen stärkste Waffe der Landesplanung, die Gesetzeskraft erlangt und jeden kommunalen Bebauungsplan dominiert, die Raumentwicklung für den Flughafenbetrieb festlegen. Ein Problem dabei: Nur informellen und nicht verbindlichen Charakter trägt die dem Entwurf zum Flächennutzungsplan beigelegte Karte, die ein Fluglärm-Zoning im Umkreis des Flughafens beschreibt. Demnach hätten beispielsweise auf dem Gebiet der Gemeinde Sandweiler auf Höhe des Friedhofs Wohnende noch eine Tagesmittelbelastung zwischen 62 und 67 Dezibel zu ertragen. Was laut dem geltenden Lärmschutzgesetz von 1976 immerhin den maximal zulässigen Lärmpegel in einem „centre ville“ tagsüber (65 Dezibel) überschreiten kann. Doch diese Berechnungen basieren auf dem deutschen Fluglärmgesetz von 1971. Seit 1997 sind dort neue Kriterien in Kraft. Nach diesen wurde offenbar auch in Luxemburg schon einmal gemessen: Zurzeit anhängig ist das Kommodo-Genehmigungsverfahren für den Flughafen, das Mouvement écologique und kommunale Interessenvereine vor dem Verwaltungsgericht erstritten. Denn noch immer gehört der Flughafen zu den wenigen Betrieben im Lande, die über keine Betriebsgenehmigung nach Umwelt- und Arbeitsschutz verfügen. Eine im Frühjahr für das Kommodo-Verfahren erarbeitete Studie wurde zum Teil nach den neuen Lärmkriterien erstellt – und kam zu dem Schluss, dass etwa in Sandweiler nicht nur ein paar Häuser in Friedhofsnähe ständig jenem Lärm ausgesetzt sind, der in einem Stadtzentrum nur tagsüber herrschen darf, sondern so gut wie die gesamte Gemeinde. Dem Mouvement écologique ist darüberhinaus aufgefallen, dass in einem Mitte 2000 den Gemeinden zugestellten Vorentwurf zum Flächennutzungsplan noch eine Zone mit höherer Lärmbelastung (67 bis 75 Dezibel) verzeichnet war, innerhalb der in Wohnhäusern ein „critère d’isolation adéquat“ zu gelten hatte. Verständlich, denn laut Lärmschutzgesetz sind in Industriezonen tagsüber 70 Dezibel erlaubt und 60 Dezibel nachts. Im Abschlussdokument ist von einer Schallisolation, die eventuell öffentlich subventioniert werden müsste, weil ein Flächennutzungsplan stets im „intérêt général“ erstellt wird, nun keine Rede mehr.
Für die Gemeinden könnten diese Unklarheiten um den Lärm weit reichende Folgen haben. Für Luxemburg-Stadt bildeten sie ein wichtiges Kriterium, um Nein zu sagen zum Flächennutzungsplan. Obwohl dieser laut Landesplanungsgesetz jeden Gemeindebebauungsplan außer Kraft setzen kann, vermied es das Innenministerium, zurzeit noch als Wohngebiet ausgewiesenes Bauland, das – informell – lärmbelastet sein könnte, umzuklassieren. Minister Michel Wolter hatte nach einer ersten heftigen Reaktion der Gemeinde Luxemburg erklärt, die Umklassierung sollten die Gemeinden selber vornehmen. Wenn allerdings die Lärm-Kriterien unklar sind, ist es für eine Gemeinde juristisch heikel, an den „acquis“ eines Grundstücksbesitzers zu rühren, da sich Schadenersatzforderungen stellen können. Dass sich seit dem 8. September ein Entwurf für die Reform des Lärmschutzgesetzes beim Parlament befindet, das wiederum neue Messkriterien und Grenzwerte einführt, könnte die Situation zu einem späteren Zeitpunkt klären helfen – nur nicht heute, da über den Flächennutzungsplan diskutiert wird. Die Einspruchsfrist für die Räte der Anrainergemeinden endet nächsten Dienstag.
Unterdessen haben mit Schüttringen und Sandweiler zwei weitere ihr Gutachten zum Flächennutzungsplan abgegeben. In Schüttringen votierte der Gemeinderat negativ; man ist nicht gegen eine Modernisierung des Flughafens, aber gegen den Ausbau der „Frachtdrehscheibe“. Sandweiler dagegen stimmte für den Entwurf.
Unter anderem wegen der erhofften höheren Gewerbesteuereinnahmen, dem wichtigen zweiten Schauplatz der Auseinandersetzungen um den Flughafen: Seit Jahren schon ist Sandweiler nicht einverstanden damit, dass rund 90 Prozent der Gewerbesteuereinnahmen aus dem Flughafenbetrieb an Niederanven fallen, weil sich dort die Firmensitze von Flughafen, Luxair und Cargolux befinden. Erst kürzlich war Sandweiler vor dem Verwaltungsgericht mit dem Versuch gescheitert, ausnahmsweise auch die Lage der Landepiste in die Berechnung für die Rückverteilung der Gewerbesteuer einzubeziehen, denn das Rollfeld liegt teils auf Sandweiler, teils auf Niederanvener Territorium. Der Flächennutzungsplan sieht vor, dass die von der Cargolux geplante, über 300 Meter lange Wartungshalle für vier Maschinen vom derzeit größten Frachtflugzeugtyp Airbus A380 in Sandweiler gebaut werden soll. Ein Neubau in Niederanven, wo sich der derzeitige Wartungshangar befindet, scheidet aus, weil die viel größere neue Halle die Radionavigation stören würde. Vor zwei Wochen war beim Sandweiler Bürgermeister ein Brief der Cargolux-Direktion eingegangen, in dem die Fracht-Airline darauf hinwies, dass der Hangar 350 Arbeitsplätze einbringe und damit vermutlich eine Million Euro Gewerbesteuer. „Mär sinn op dat Geld ugewisen“, wurde der Sandweiler Bürgermeister John Breuskin gestern im Tageblatt zitiert.
Ob der Streit ums Geld damit ein Ende hat, ist dennoch ungewiss. Schon deshalb, weil in Sandweiler eine Bankfiliale, die der gegenwärtig weitaus größte Gewerbesteuerzahler vor Ort ist, in ein paar Jahren den neu gebauten Gleisen der Bahnlinie Findel-Hauptbahnhof wird weichen müssen. Lösen, sagt der Sandweiler Schöffe Paul Ruppert, ließe sich der Gewerbesteuerstreit wohl nur, falls alle Anrainergemeinden sich einigen würden, gemeinsam eine regionale Industriezone zu bilden. In die müsse das Patchwork aus vielen kommunalen Zonen übergehen, auf denen der Airport zurzeit noch verteilt liegt. „Ein solcher Versuch dürfte zwar für viel Streit sorgen, aber die Fluglärmbelastungen ertragen schließlich auch mehrere Gemeinden.“

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