In ihrer merkwürdigen Kampagne für Rauchfreiheit blendet die CSV-Spitze völlig aus, dass sie sich am Recht des Kneipenpersonals auf Gesundheitsschutz vergreift

Raucher im CSV-Himmel

d'Lëtzebuerger Land vom 02.03.2012

„Ein Rauchverbot in den Cafés? Das wäre furchtbar für uns!“ Der Wirt im Escher Café Pitcher, ein Baseballcap über den kurzen Haaren, tunkt ein paar leergetrunkene Biergläser besonders energisch ins Spülwasser, als ließe sich so gleich mit ersäufen, was der Gesundheitsminister für eine verschärfte lutte antitabac aufzubieten plant. „Wir haben bestimmt 80 Prozent Raucher unter unseren Gästen.“ Und auch die Nichtraucher kämen hierher „wegen des Ambientes“.

Das ist kein Wunder. Hier, wo die hohen, mit dunklem Holz belegten Wände voller amerikanischer und französischer Memorabilien hängen, von Postkarten im Großformat über Reklametafeln aus Emaille bis hin zu Auto-Nummernschildern aus vieler Herren US-Bundesstaaten, und wo an diesem Mittwochmorgen aus den Lautsprechern bald ein Frank-Zappa-Stück, bald ein französischer Chanson tönt, scheint die Freiheitsverheißung irgendwo zwischen Hippietum und Pariser Mai ’68 noch virulent. „Rauchverbot“ lässt da nicht nur an Umsatzeinbruch denken, sondern an das Ende der Kneipe als Ort gesellschaftlicher Subversion. Wenngleich es vor allem Lyzeumsschüler sind, die an den Wochenenden im Pitcher das Bier in Strömen fließen lassen.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Verteidigung einer solchen Institution ausgerechnet der CSV anheimfallen könnte, von der Parteichef und Fraktionssprecher am Tag vorher in einem bis auf den letzten Platz mit Journalisten gefüllten Sitzungssaal im Generalsekretariat in der hautptstädtischen Waassergaass bekräftigt hatten: „Wir wollen kein absolutes Rauchverbot, sondern eine Cohabitation von Raucher- und Nichtraucherkneipen.“

Doch im Politik-Perimeter einer echten Volkspartei können auch die Belange einer Bar mit subversivem Charme ihren Platz finden – wäre nicht schon bei dieser eilig anberaumten Pressekonferenz der Verdacht aufgekommen, vor allem Parteichef Michel Wolter käme es gar nicht in erster Linie auf den Kampf „gegen eine Verbotsgesellschaft“, wie er es nannte, an, sondern auf eine Kraftprobe mit dem Koalitionspartner.

Denn dass er am Montag im RTL Radio für einen „libre choix“ für Kneipenkunden wie Kneipenbetreiber plädiert hatte, mochte Wolter am Dienstag nicht mehr erinnern: „Das Gefühl habe ich nicht.“ Natürlich sei auch die CSV „für eine Verschärfung“ des Antitabakgesetzes von 2006. Aber ebenfalls „gegen ein Totalverbot in Cafés“. Wo der Mittelweg liegen könnte, wollte jedoch weder Wolter noch Fraktionssprecher Marc Spautz am Dienstag diskutieren. „Um die Sache geht es hier nicht, nur um die Form“, erläuterte Wolter seinen Abenteuerkurs. Um dann zu erklären, man wolle mit dem Gesundheitsminister und der LSAP endlich zum Thema ins Gespräch kommen und „gemeinsam einen Gesetzentwurf aufstellen, in dem auch die CSV sich wiederfindet“.

Da war es heraus: Die CSV-Spitze hat richtig erkannt, dass das Votum ihres Nationalkomitees, das sich vor drei Wochen, wie bereits Ende 2009, mehrheitlich gegen das Rauchverbot in Kneipen aussprach, die Volkspartei dem Risiko aussetzt, sich lächerlich zu machen. Immerhin würden laut Umfragen über 80 Prozent der Bevölkerung ein solches Rauchverbot begrüßen. Wie 2008 nach der überraschenden Abstimmungsniederlage der CSV zum Euthanasiegesetz wird der kleinere Koalitionspartner nun bedrängt, dem größeren zu helfen, sein Gesicht zu wahren.

Was Wolter wie Spautz am Dienstag völlig ausblendeten, ist jedoch: Die Interessen von Cafébetreibern und Raucherkundschaft stehen bei der Verschärfung des Antitabakgesetzes nur indirekt zur Diskussion. Viel mehr geht es um den Gesundheitsschutz des lohnabhängig beschäftigten Kneipenpersonals. Und dazu scheinen allenfalls die Fumoirs, die der Gesundheitsminister einzuführen vorschlägt, als Raucherinsel denkbar – abgeschlossene Räume mit Ventilation, in denen nicht bedient wird.

Denn mit dem Gesetz von 2006 hielt eine Bestimmung, die es in sich hat, Einzug ins Arbeitsgesetzbuch: Jeder Arbeitgeber wird verpflichtet, „toutes les mesures“ zu ergreifen, „afin que les travailleurs soient protégés de manière efficace contre les émanations résultant de la consommation de tabac d’autrui“. Daraus folgt: Erlitte ein Kneipenmitarbeiter, der selber nicht raucht, eine Raucherkrankheit und verklagte seinen Wirt, wäre gar nicht auszuschließen, dass ein Staatsanwalt das tatsächlich aufgriffe.

Dies so zu sehen, scheint aber alles andere als selbstverständlich. Das gilt für die CSV, deren Fraktionssprecher Marc Spautz, der frühere LCGB-Generalsekretär, am Dienstag behauptete, Kneipenpersonal rauche ja „sowieso“. Das galt vor sechs Jahren aber auch für den Staatsrat: Zwar gelangte nur auf dessen ausdrücklichen Einwand hin der Gesundheitsschutz-Artikel in den Antitabak-Gesetzentwurf. Der Staatsrat ging jedoch nicht so weit, darauf zu bestehen, dass nach dieser Ergänzung schon damals ein Rauchverbot auch in Cafés erlassen worden wäre, damit keine Ungleichheit vor dem Gesetz aufkommt.

Doch selbst rauchende Kneipenkunden können ohne Weiteres Verständnis für die Gesundheitsbelange des Tresenpersonals aufbringen. „Wenn ich hier nicht mehr rauchen darf, weil das die Barkeeperin schützt, dann ist das in Ordnung“, erklärt eine junge Frau im Saloon, einem Café nah beim Escher Bahnhof. „Und wissen Sie was? Ich werde trotzdem weiter hierher kommen.“

Die Barkeeperin freuen solche Erklärungen. Seit fünf Jahren arbeitet sie im Saloon, rauchte einst selber, nahm vor vier Jahren aber all ihren Willen zusammen und hörte auf damit. „Seitdem ist mir nach spätestens vier Stunden hinterm Tresen der Rauch eigentlich zu viel. Ich hätte nichts gegen ein Rauchverbot.“ Dann aber komme er, meint ein junger Mann zwei Tresenhocker weiter, „bestimmt nicht mehr hierher. Man muss den Rauchern doch einen Platz lassen, wo sie rauchen können“, ruft er aus und stößt bekräftigend einen Zeigefinger auf die Tresenplatte. „Soll ich das nur daheim tun dürfen? Oder im Auto?“ Aber vielleicht werde das Rauchen ja bald ganz verboten.

Wie mit dem Gesundheitsschutz in den Kneipen umzugehen wäre, bereitet der Horesca, dem Verband der Gastronomiebetriebe, durchaus Kopfzerbrechen – bei aller Begeisterung für das Vorpreschen der CSV. Denn „aus Erfahrung“, sagt Horesca-Generalsekretär François Koepp dem Land am Telefon, wisse man, dass 25 Prozent der in Cafés Angestellten Nichtraucher sind. „Eine Idee ist, dass der Arbeitgeber seine Beschäftigten fragen müsste, ob sie bereit wären, in einem Betrieb zu arbeiten, in dem geraucht wird“, sagt Koepp. Juristisch prüfen lassen, ob eine solche Einverständniserklärung den Arbeitgeber von seiner Verpflichtung entbinden könnte, „alle Maßnahmen zu ergreifen“, habe die Horesca aber noch nicht. „Das ist nur eine Idee.“

Konkreter sind die Schreckensszenarien, mit denen der Branchenverband rechnet, gälte ein Rauchverbot auch in Cafés. Koepp bezieht sich auf Belgien, wo Anfang Juli vergangenen Jahres ein generelles Rauchverbot in Kraft treten musste, weil der Verfassungsgerichtshof in einer seit 2009 geltenden Ausnahme für Kneipen mit spezieller „Raucherzone“ einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot vor dem Gesetz erkannte. „Seitdem haben in Belgien 2 000 Cafés schließen müssen“, rechnet Koepp vor. Er räumt ein, die Hälfte der Schließungen sei „krisenbedingt“ gewesen. Die anderen tausend Kneipen jedoch hätten im Schnitt sieben Prozent an Raucher-Kundschaft verloren und die verbliebenen Kunden um die 15 Prozent weniger verzehrt. „Ist doch klar: Da steht einer draußen vor der Tür und raucht. Ein anderer kommt hinzu, und dann rauchen sie gemeinsam noch eine, und so fort.“ Zwangsläufig verlagere sich ein Teil des Kneipenbesuchs vor die Tür. „Aber wenn unsere Wirte, von denen nicht wenige aus ihrem Betrieb monatlich kaum mehr als 1 700 Euro, wenn es gut geht 2 000 Euro netto übrig haben, noch 20 Prozent ihrer Einnahmen verlieren würden wie ihre belgischen Kollegen – dann setzt auch bei uns das Kneipensterben ein, fürchte ich.“

In einem dritten Innenstadt-Café in Esch-Alzette fürchtet dessen Besitzer ein Rauchverbot ganz und gar nicht. „Ich wäre froh, wenn es käme.“ Sein Laden sei beliebt, bei Rauchern wie bei Nichtrauchern, erklärt er, und das Gros seiner Raucher-Kundschaft würde „bestimmt wiederkommen, vielleicht nach einer gewissen Zeit“. Es sei nämlich ein Irrtum zu glauben, als sozialer Ort könne eine Kneipe für Raucher nur funktionieren, wenn die Zigarette zum Bier inhaliert werden darf. „Ohne Zigarette würden die Gäste beginnen, sich mehr miteinander zu beschäftigen. Dann fangen sie an, miteinander zu reden. Rauchen hält davon eher ab“, glaubt der Wirt zu wissen.

Wie rauchfreie Kneipen in Luxemburg funktionieren können, beweisen Beispiele wie das Café Konrad im Zentrum der Hauptstadt. Die kleine Kneipe auf zwei Etagen sieht mit ihrem bunt zusammengewürfelten Sitz-Mobiliar aus Stühlen, Sesseln und Sofas wie vom Flohmarkt erstanden ein wenig aus wie ein zu groß geratener Salon einer Studenten-Wohngemeinschaft. Damit, und mit ihrem Publikum vom Hauptstadt-Yuppie über Familien mit Kindern bis hin zu introvertierten Bücherlesern und jungen Notebook- und Tablet-Computerträgern, die beim Caffè latte via Gratis-Wifi soziale Netzwerke besuchen, kann das Konrad zwar nicht den Charme des Subversiven für sich beanspruchen. Eine Mainstream-Kneipe genannt werden kann es aber ebenfalls nicht.

„Für uns stellte sich nie die Frage, ob wir ein Raucher-Café sein wollten oder nicht“, sagt Konrad-Manager Paul Killeen. „Denn am Anfang wurden hier auch Klamotten verkauft. Und wir haben viele Bioprodukte, dazu passt keine Zigarettenluft.“ Dass das Café eine ganz besondere Klientel anzöge, glaubt er gar nicht: „Zu uns kommen auch viele Raucher, die gehen für eine Zigarette halt vor die Tür. Saubere Luft ist für alle angenehmer.“

Der Konrad-Manager stammt aus Irland – dem Staat, der im Frühjahr 2004 als weltweit erster das Rauchen in sämtlichen Restaurants und Kneipen verbot. Wie das war? „Brillant!“, ruft Killeen, der damals und noch bis Ende letzten Jahres selber Raucher war. „Nur am Anfang wurde furchtbar geschimpft, aber das dauerte nicht lange.“ Was in Luxemburg derzeit abläuft, erinnert ihn an die Debatten auf der grünen Insel vor acht Jahren.

Allerdings kann Killeen nicht sagen, ob sich damals in Irland Spitzenfunktionäre politischer Parteien angreifbar machten. In Luxemburg ist die Rauchverbotsdiskussion um einen Skandal reicher, nachdem die CSV-Abegeordnete Nancy Kemp-Arendt im RTL Radio erklärte, die christlichsoziale Fraktion habe am 7. Februar tatsächlich mit großer Mehrheit für ein Rauchverbot gestimmt und nicht nur für ein Gespräch mit der LSAP und dem Gesundheitsminister, wie Michel Wolter und Marc Spautz am Dienstag mehr als einmal behauptet hatten. Wahrscheinlich aber ist für sie nicht die Rauchdebatte wichtig genug, um die Öffentlichkeit zu belügen – sondern die kleinste Aussicht auf Machtverlust für die CSV bedrohlich genug. Und in einem kleinen Land, das lehrt die Erfahrung, entzünden sich politische Krisen eher auf Nebenschauplätzen als an erstrangig wichtigen Themen.

Peter Feist
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