Ausstellung

Algenschnitzel und Mehlwurm-Hasen

d'Lëtzebuerger Land vom 29.03.2019

Was sich bei der Menschenhaltung bewährt, müsste eigentlich auch bei Hühnern funktionieren. Warum ertragen wir graue Wohnsilos und triste Büros? Weil wir mit Fernsehen und anderen Medien bespaßt werden, meint der Künstler Austin Stewart. Er schlägt vor, Batteriehühner auf eine Laufkugel zu stellen und ihnen mit Virtual-Reality-Headsets ein Gefühl von grenzenloser Freiheit auf grünen Wiesen zu vermitteln. Fleischkäufer können online am Glück des Federviehs teilhaben – und per App die Schlachtung bestellen.

Sarkastischer Kommentar zur Nahrungsindustrie oder zukunftsweisende Lösung? In der Ausstellung Food Revolution 5.0 verschwimmen die Grenzen. Die Gemeinschaftsproduktion der Kunstgewerbemuseen Hamburg, Berlin und Winterthur präsentiert rund 50 Projekte von überwiegend jungen Designern und Tüftlern aus aller Welt. Angesichts von Hunger und Verschwendung, Konzernmacht und Umweltzerstörung müssten neue, ressourcenschonende Technologien mit altem Kulturwissen verbunden werden, fordert die Berliner Kuratorin Claudia Banz: „Kaufen und Essen von Lebensmitteln ist sehr politisch. Jeder kann die Revolution ganz leicht bei sich zu Hause beginnen.“

Gegliedert ist die Schau in vier Teile: „Farm“ behandelt neue Produktionsformen, etwa Aquaponik-Anlagen, Hochhäuser für Schweine oder auch mobile Bienenstöcke mitten in Maastricht. „Markt“ kritisiert die Industrialisierung der gesamten Nahrungskette. „Küche“ wirbt für Do-it-yourself und Do-it-together: Konsumenten sollen zu Prosumenten werden. „Tisch“ will, dass kulinarisches Wissen Teil der kulturellen Bildung wird.

Besonders eifrig wird an Alternativen zu Fleisch gearbeitet. Chloé Rutzerveld etwa fabriziert mit 3D-Druckern kleine Nährböden für Pilz-Snacks. Katherina Unger und Julia Kaisinger schwärmen für Insekten: Proteine wie Rindfleisch, Aminosäure wie Tofu, dazu Vitamine und Mineralstoffe. Sie haben einen kleinen Brutkasten entwickelt, mit dem man in der heimischen Küche auf organischen Abfällen Mehlwürmer vermehren kann. Ina Turinsky und Andreas Wagner wollen mit Speichel und Atemluft platzsparend Algenkulturen züchten. Wenn es nach Michael Burton und Michiko Nitta geht, sollen wir künftig gar „Algen-Anzüge“ aus transparenten Plastikschläuchen tragen und so unabhängig von fester Nahrung zu „semi-photosynthetischen Wesen“ werden.

Wenn nur nicht unsere uralten Ekel-Gefühle wären! Designer versuchen, neues Essen konservativen Gaumen und Augen schmackhaft zu machen. Paul Gong will unserem Darm nicht nur Bakterien einpflanzen, die verdorbene Lebensmittel verdauen können, sondern dabei auch den Geruchssinn mit süßen „Wunderbeeren“ überlisten. Carolin Schulze püriert Mehlwürmer zu Brei und formt aus der Paste ansprechende Häschen. Hanan Alkouh verarbeitet nahrhaften, gekochten Seetang zu Brocken, die wie Fleisch aussehen. Das soll helfen, traditionelle Berufe wie Schlachter oder Metzger zu erhalten.

Überraschend viele Projekte kreisen um Abfälle und Ausscheidungen. Ayumi Matsuzaka beispielsweise baut in Berlin einen Windelkreislauf auf. WormUp aus Zürich bietet Wurmkomposter für Zuhause. Die Genfer Wohngenossenschaft Equilibre hat sich von der öffentlichen Kanalisation verabschiedet: wassersparende Kompost-Toiletten mit Regenwürmern direkt unter der Kloschüssel. Das Basler Start-Up Youtrition verarbeitet Urin zu Dünger: Kalium, Phospor und Stickstoff sind zu schade zum Wegspülen. Bei einer Farm in Italien, auf der pro Tag 150 000 Kilo Kuhmist anfallen, fertigt das Museo della Merda aus den Überresten einer Biogasanlage Merdacotta, ein Material zwischen Keramik und Kunststoff. Der Begleittext räumt ein, dass Blumentöpfe und Geschirr aus „gebrannter Scheiße“ gewöhnungsbedürftig sein könnten.

In-Vitro-Fleisch, Hightech-Salat aus dem Labor, Ernte-Roboter und Koch-Sensoren – das alles mag schön und gut sein. Am besten sind aber doch die einfachen Ideen. Ein Kühlschrank zum Beispiel braucht nicht unbedingt einen Smartphone-Anschluss, um intelligent zu sein: Nicht nur in Afrika bewähren sich simple Tonschalen, die ineinander gestellt und mit einer nassen Sandschicht isoliert werden. Oft ist mittlerweile nicht Mangel das Problem, sondern zu viel Zucker, Fett, Salz. Unser Gehirn brauche 20 Minuten, um zu erkennen, dass wir bereits satt sind, betont José de la O. Er empfiehlt, das Essen zu verlangsamen: Gabeln mit ganz kurzen Zinken, Schüsseln mit widerspenstigen Abdeckungen. Den Kopf austricksen will auch Marije Vogelzang: kleine Porzellanobjekte mitten in die Spaghetti stellen – schon sieht der Teller viel voller aus. Kreativ und preiswert! Für diese Einfälle wird der Appetit der Lebensmittel-Konzerne allerdings eher begrenzt sein.

Die Ausstellung Food Revolution 5.0 – Gestaltung für die Gesellschaft von morgen ist noch bis zum 28. April 2019 im Gewerbemuseum Winterthur zu sehen. Den ersten Band des Katalogs dazu hat das Hamburger, den zweiten hat das Berliner Kunstgewerbemuseum herausgegeben: www.gewerbemuseum.ch

Martin Ebner
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