Setzt Luxemburg seine Pläne zur Elektromobilität so um, wie sie auf dem Papier stehen, würde es zur Vorzeigeregion. Aber das bringt nicht automatisch auch umweltfreundliche Mobilität mit sich

Elektromodellbaukasten

d'Lëtzebuerger Land vom 09.03.2012

„850.“ Ein Raunen ging durch den Saal, als Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) am Donnerstag vergangener Woche diese Zahl nannte. 850 Ladesäulen für Elektro-Autos sollen bis 2020 landesweit installiert werden. 600 bis 1 000 Stück brauche man, hatte das Consulting-Unternehmen Schwartz [&] Co. empfohlen. Dass die Regierung mehr davon einrichten will als das Minimum und leicht mehr als den Durchschnitt des Empfohlenen, ist durchaus ein Signal, dass man es ernst meine mit der Entwicklung der „Elektromobilität“ hierzulande. Bisher bestehen 13 Ladesäulen. Und bisher hat die Regierung, obwohl im Jahr 2020 hierzulande 40 000 E-Mobile zugelassen sein sollen, zu dem Thema öffentlich noch nicht viel gesagt.

Luxemburg kann aber kaum anders, als eine Infrastrukturoffensive für Elektrofahrzeuge zu starten. EU-weit haben sich zwar erst drei Staaten nationale Pläne in diese Richtung gegeben. Doch darunter sind mit Frankreich und Deutschland schon zwei Nachbarländer, und in Belgien soll ein Aktionsplan demnächst aufgestellt werden. Schon des Transitverkehrs, aber auch der Berufspendler von jenseits der Grenzen wegen muss Luxemburg mitziehen.

Da könnte man sich die Frage stellen, ob 850 Ladesäulen nicht zu wenig sein werden – wenn in acht Jahren der heimische Fahrzeugbestand tatsächlich 40 000 Elektro-Autos zählen soll, was zehn Prozent des PKW-Fuhrparks entspräche, sowie in Erwartung elektrischen Transitverkehrs. Andererseits will Frankreich es bis zum Ende der Dekade nur auf fünf Prozent E-Mobil-Anteil bringen, Deutschland lediglich auf 2,5 Prozent. Vielleicht wären für Luxemburg ja 10 000 E-Mobile realistischer? Derzeit sind 49 elektrisch betriebene PKWs und Nutzfahrzeuge zugelassen, da klingt schon ein Zuwachs um das Zweihundertfache enorm. Und auf dem dieser Tage stattfindenden Genfer Autosalon dämpfen die meisten Autohersteller ihre Elektro-Begeisterung deutlich: Die E-Mobile verkaufen sich noch nicht gut genug; vor allem die Batterien sind noch zu teuer und eine neue Technologie wohl nicht vor 2030 serienreif.

Doch was die Regierung aus den verschiedenen Infrastruktur-Varianten ausgewählt hat, schließt durchaus die Möglichkeit ein, dass der Elektro-Boom schwächer ausfällt, als vor drei Jahren veranschlagt. Gerechnet wird nicht mit 40 000 rein batteriebetriebenen Elektro-Autos, sondern nur mit 20 000, sowie mit weiteren 20 000 Plug-in-Hybridfahrzeugen. Das sind Autos mit Verbrennungs- plus Elektromotor, deren Batterie sich so weit aufladen lässt, dass die ersten 25 Kilometer elektrisch zurückgelegt werden können.

Und selbst mit den 20 000 reinen E-Mobilen scheint die Regierung sich nicht ganz sicher und rechnet noch nicht mit dem Einstieg in den Umstieg auf „Elektro pur“ bis zum Jahr 2020: Diese Elektro-Autos würden vor allem „Zweitwagen“ vom Typ „Citadine“ ersetzen – Hüpfer wie den Toyota IQ oder den Smart also, nicht aber einen Audi-Mittelklassewagen oder einen BMW-Allrader als Hauptauto.

Der letztlich doch eher vorsichtige Ansatz macht jedoch das Konzept mit den 850 Ladesäulen nicht falsch. Denn dieses geht davon aus, dass die Elektro-Vehikel – ob rein batteriebetrieben oder Plug-in Hybrid – in erster Linie daheim und vielleicht noch im Betrieb nachgeladen würden. Da man aus Verkehrserhebungen weiß, dass der Luxemburger Durchschnitts-Autofahrer in seinem PKW höchstens 60 Kilometer am Tag zurücklegt, wäre für eine Standard-Batterie mit einer Reichweite von 160 Kilometern eine einzige tägliche Vollladung schon mehr als genug. Dann müsste lediglich „sekundär“ im öffentlichen Raum, wie an Straßen und auf Park-and-Ride-Plätzen, und im öffentlich zugänglichen privaten Raum, wie an Supermärkten, nachgeladen werden. Für diesen Sekundärbedarf sind die 850 Ladesäulen gedacht, die je zwei Anschlüsse enthalten. Wollte man dagegen für jeglichen Ladebedarf Säulen vorsehen, wären nicht 600 bis 1 000 nötig, sondern um die 5 000, rechneten Schwartz [&] Co. vor. Das aber hätte zu Investitionskosten von um die 60 Millionen Euro geführt; die 850 Säulen sollen lediglich zehn Millionen kosten. Und vor allem versichern, dass Luxemburg über eine Lade-Infrastruktur, die öffentlich zugänglich ist, verfügt.

Wahrscheinlich ist das ein schlauer Ansatz für den Anfang. Zumal sich, wie die Dinge liegen, Bau- und Betriebskosten der Ladesäulen auf die Netzkosten aller „Niederspannungkunden“, Haushalte und Kleingewerbe also, umlegen lassen könnten, ohne dass auf der Stromrechnung viel davon zu bemerken wäre: Die monatlichen Netzkosten eines Standard-Haushalts würden lediglich anfangs um ein paar Cent steigen. 2020 könnten sie sogar geringer sein als heute, weil die E-Mobilisten beim Nachladen an den Säulen ebenfalls Netzkosten zu tragen haben werden. Womöglich ist nicht mal ein Zuschuss aus der Staatskasse für die Infrastruktur nötig, aber das prüft das Wirtschaftsministerium noch.

Die Installation der Säulen selbst ist aber nicht die einzige Herausforderung. Ebenfalls groß ist die, die neue Infrastruktur „interoperabel“ für das ganze Land zu machen und anschließend über dessen Grenzen hinaus. „Roaming“ soll beim Laden möglich sein, ein Elektro-Autobesitzer an jeder Ladesäule die Entnahme beim selben Lieferanten verrechnet erhalten, von dem er auch seinen Haushaltsstrom bezieht. Noch geht das nicht. Dazu muss ein Datenaustauschs zwischen den Stromhändlern von Enovos bis Eida Green organisiert und ein gemeinsamer Chipkartenstandard gefunden definiert werden. Dass die Electris S.A. aus Mersch zwei Tage vor der Präsentation der E-Mobility-Pläne der Regierung ein System vorstellte, das sie gemeinsam mit deutschen und niederländischen Partnern betreibt und das Interoperabilität sogar über die Landesgrenzen hinaus verspricht, deutet darauf hin, dass es einigen Wettbewerb geben dürfte, wenn der Abrechnungs-Mechanismus öffentlich ausgeschrieben ist.

Und immerhin: Seinen Stromlieferanten fürs Nachladen frei wählen zu können, ist zwar in Deutschland vorgesehen, wo sich dazu eine Initiative namens Ladenetz gebildet hat. In Frankreich dagegen soll auch in der nächsten Zukunft jede Ladesäule nur von einem Stromhändler beliefert werden. Wer da an eine gerät, die nicht „seinem“ Lieferanten gehört, müsste entweder zur nächsten Säule weiterfahren oder eine Prepaid Card kaufen. Verglichen damit, könnte Luxemburg mit flächendeckend freier Wahl, die schon in acht Jahren Wirklichkeit wäre, eine Modellre-gion für die Elektromobilität in der EU werden.

Eine ganz andere Frage ist jedoch die, inwiefern die elektromobile Zukunft, die sich in Luxemburg nun konkretisiert, den motorisierten Individualverkehr umweltfreundlicher machen wird – wenn nicht gar den Verkehr insgesamt.

Ganz leicht ist das nicht zu beantworten. Denn das Ladeinfrastrukturkonzept kann man nur ganz begrenzt eine ökologische Maßnahme nennen. Zwar schafft es wichtige Voraussetzungen für die abgasfreie und geräuscharme Elektromobilität überhaupt, und das ist schon nicht wenig. In erster Linie jedoch ermöglicht es einen erweiterten Stromhandel.

Wie oft und zu welchem Zweck die Elektro-Autobesitzer der Zukunft ihr Vehikel benutzen werden und welche Auswirkungen das auf die Gesamt-KFZ-Flotte hat, ist ein wichtiger Punkt. 13 000 Kilometer Jahresfahrleistung für ein E-Mobil haben die an der Erstellung der Infrastrukturstudie beteiligten Strategen aus dem Nachhaltigkeitsministerium unterstellt. Das wären 36 Kilometer pro Tag und schließt den Weg zur Arbeit ein. Doch wenn zumindest die rein batteriegetriebenen E-Mobile tatsächlich nur als Zweitauto zum Ersatz eines Stadtmobils angeschafft würden, scheint nicht so sicher, dass der Besitzer sein Hauptauto plötzlich viel seltener nutzen würde.

Oder sollten die E-Autos einen ganz besonderen Statusgewinn versprechen? In Luxemburg hat das noch niemand untersucht. In Deutschland ergab eine aufwändige bundesweite Befragung über die wahrscheinliche Autonutzung der Zukunft, dass batteriebetriebene Elektromobile gegenüber KFZ mit Verbrennungsmotor gleicher Größe um 40 Prozent seltener genutzt würden.

Ökologisch ist das deshalb keine gute Nachricht, weil der Auto-Verkehrsbedarf weiter wächst. Dann würde die kleinere Jahreslaufleistung der E-Autos durch Verbrennungs-KFZ kompensiert, hat das Ökoinstitut Berlin im Januar in einer Studie für das deutsche Umweltministerium vorgerechnet. Dass die Effizienz von Diesel- und Ottomotoren weiter zunimmt, ändere daran nichts, denn der Trend zu immer stärkeren Autos sei in Deutschland ungebrochen. Das ist auch in Luxemburg der Fall: Vor jedem Autofestival konstatiert die SNCT einen weiteren Anstieg der PS-Zahl bei den Neuzulassungen. 2011 lag sie im Schnitt bei 145 PS – ein Zuwachs um vier Prozent gegenüber dem Jahr zuvor. Und elf PS mehr als in Deutschland.

Natürlich müsste es bei einer kleinen Laufleistung von Elektro-Autos nicht bleiben. Aber gerade in Luxemburg mit seinem rekordverdächtig hohen Pro-Kopf-Motorisierungsgrad stellt sich die Frage, ob E-Autos lediglich die vielen Otto- und Diesel-PKWs ersetzen oder sich mit ihnen zu einer veränderten Mobilität gelangen lässt. Bisher sind Entwürfe, die E-Mobile einzusetzen, um Car-sharing oder Fahrgemeinschaften zu bilden, oder sie gezielt als Zubringer zwischen großen Gewerbegebieten und dem öffentlichen Transport zu nutzen nur für Pilotprojekte im Gespräch. Sind sie gestartet, wird man weitersehen.

Peter Feist
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