Sonderausschuss Straßengüterverkehr

15 Jahre Unordnung

d'Lëtzebuerger Land vom 25.04.2002

d'Lëtzebuerger Land: Herr Bausch, Sie haben das Sitzungsprotokoll der Spezialkommission Straßengüterverkehr vom 8. April publik gemacht. Wieso?

François Bausch: Mehrere Journalisten baten mich darum. Die Sitzung vom 8. April mit Pierre Bastendorf, einem früheren Beamten im Transportministerium, und Patrick Liebetegger, der heute für den Straßengüterbereich zuständig ist, brachte wichtige Erkenntnisse. Ich denke, in einer Angelegenheit wie dieser muss Transparenz herrschen. Die Leute draußen stellen sich ja Fragen, und sie haben ein Recht auf Antworten. Bliebe ein Nachgeschmack bestehen, dass vielleicht doch nicht intensiv genug nachgeforscht wurde, wäre das für die gesamte politische Klasse riskant. Ein Geheimnis sind die Sitzungen ohnehin nicht; sie sind zwar nicht öffentlich, aber Vertraulichkeit gilt nur, falls sie einstimmig vereinbart wird.


Was halten Sie von der Arbeit in der Kommission bis jetzt?

Bei allen Parteien besteht der Wille, Licht zu bringen in das Funktionieren des Transportministeriums während der letzten 15 Jahre. Ich kann nicht behaupten, dass versucht würde, irgend etwas abzublocken.

 

Wie verhält sich die LSAP, die 15 Jahre lang die Transportminister stellte und deren Mitglied Jean Morby ist?

Zurückhaltend. Sie arbeitet mit, ohne sich jedoch übermäßig zu engagieren. Ich kann das verstehen.

 

Lässt sich schon sagen, wie das Transportministerium in den 15 Jahren funktioniert hat, und gab es da Zäsuren?

Es hat chaotisch funktioniert. Pierre Bastendorf, der bis 1996 dort Beamter war, hat uns erklärt, dass es all die Jahre kein Organigramm gab, keine klare Kompetenzaufteilung. Wurde über Zuständigkeiten diskutiert, dann als Gerangel um Posten; etwa um den des Regierungskommissars bei der Luxair oder des Chefs der Kontrollstation in Sandweiler. Alle Beamten hätten ihre "Chasses gardées" gehabt, auf denen sie arbeiteten, so dass es ganz schwierig gewesen sei zu sehen, was der eine oder andere in seinem Bereich gerade tat. Nur ein Beispiel: Um die Dokumente, die er der Spezialkommission über die Verteilung der Cemt-Lizenzen übergeben hat, musste Herr Bastendorf seinerzeit hart kämpfen, weil niemand einen anderen in seine Unterlagen hineinschauen ließ. Allein das belegt, dass das Transportministerium dysfunktioniert hat.

 

Spiegelte sich da eine wirtschaftspolitische Haltung wider, ein bewusst liberaler Ansatz, um ausländische Firmen anzuziehen?

Marcel Schlechter, Transportminister von 1984 bis 1989, hat in einem Tageblatt-Artikel selber geschrieben: Er habe versucht, einen neuen Sektor aufzubauen, weil Luxemburg in den 80-er Jahren in keiner guten ökonomischen Verfassung war. Ich glaube ihm die gute Absicht, aber man muss schon überlegen, welche Konsequenzen so etwas hat. Die Erfahrung zeigt ja, dass wir unsere wirtschaftliche Diversifizierung oft ins Blaue hinein betrieben haben. Beim Pavillon maritime stellt sich das Problem heute ähnlich.

Die Frage des administrativen Umgangs damit ist noch eine andere. Es gab 1985, ich zitiere aus dem Protokoll vom 8. April, eine "tournure" im Straßengüterbereich und gleichzeitig einen Wechsel der Zuständigkeiten. Ab 1985 hat Jean Morby den Sektor immer mehr zu seiner Angelegenheit gemacht. Und es setzte tatsächlich eine Förderung des Sektors ein, nicht zuletzt ging die Vergabe verschiedener Lizenzen sprunghaft in die Höhe. Das wurde uns klar bestätigt.

 

Unregelmäßigkeiten wurden aber erst ab 1990 mit der Affäre um die Briefkastenfirma Botrans publik?

Publik ja. Es gab sie jedoch schon früher. Pierre Bastendorf war ab Ende der 80-er Jahre der Vertreter des Transportministeriums in Brüssel. Er hatte unmittelbar nichts mit der Lizenzvergabe zu tun, doch auf Europaebene hat er schon damals viele Reklamationen bekommen. Vor allem die Niederlande und Belgien beklagten, dass in Luxemburg sich Betriebe niedergelassen hätten, die alles andere als sauber gewesen und die in Belgien und den Niederlanden oft negativ aufgefallen seien. Woraufhin Gutachten geschrieben wurden, non-rapports aus diesen Ländern, um Luxemburg darauf hinzuweisen. Heute wohl bekannte Namen wurden schon damals genannt: die UCL von Karl Kralowetz oder Frigolux, die Vorläuferin der Transdanubia.

 

Was geschah dann?

Das ist das Problem: Man könnte meinen, im Ministerium hätte reagiert werden müssen. Aber das war nie der Fall.

 

Hat Pierre Bastendorf diese Beschwerden dem Minister gemeldet oder seinem Vorgesetzten Jean Morby?

Er hat das wohl verschiedentlich im Ministerium erwähnt, aber was der Minister mitbekam, konnte Herr Bastendorf nicht sagen. Jahrelang haben offenbar weder die Beamten untereinander diskutiert, noch mit dem Minister. Das hat Pierre Bastendorf so ausgesagt; er hat das auch gut mit Papieren belegt, so dass ich davon ausgehe, dass es stimmt. Im Grunde hat er uns bestätigt, was wir schon aus den Aussagen anderer Beamter wussten, die heute noch im Ministerium arbeiten.

 

Pierre Bastendorf wurde 1996 pensioniert. Es gab keine Änderung nach Ansicht anderer Beamter?

Unseren Erkenntnissen nach wurde erst mit dem Regierungswechsel der Hebel angesetzt. Diese Absicht wurde 1999 auch in der Regierungserklärung von CSV und DP erwähnt. Offenbar gab es ab Mitte 2000 ein Organigramm im Transportministerium.

 

Aus dem Protokoll geht hervor, dass Mady Delvaux Pierre Bastendorf 1996 bat, einem Gesetzesprojekt zur Verschärfung des Niederlassungsrechts zuzuarbeiten. Frau Delvaux wäre demnach ja ein Problem bekannt gewesen.

Anscheinend wollte sie etwas unternehmen. Aber sie kam erst 1994 ins Amt. Ich denke, das Ministerium war längst derart desorganisiert, dass eine Änderung schwer fiel und Jean Morby sich gewehrt haben könnte, seine "Chasse gardée" aufzugeben.

 

Hat die Kommission Hinweise auf Korruption erhalten?

Das interessiert momentan die Staatsanwaltschaft, uns nicht. Uns geht es um die Funktionsweise des Ministeriums, um die Klärung von politischen Verantwortlichkeiten und Verwaltungsvorgängen. Das ist die Aufgabe des Parlaments. In der Affäre Morby wissen wir nur, was in der Öffentlichkeit kursiert. Aber: Pierre Bastendorf sagte uns, Ende der 80-er Jahre sei er vom Anwalt einer deutschen Firma, die sich hier niederlassen wollte, angerufen worden. Ich zitiere: "Wann si sech géingen hei nidderloossen a si kriten Autorisatiounen, da géif jo Geld verdéngt ginn a wa Geld verdéngt gi géif, da misst et jo net fir ee sinn." Pierre Bastendorf sagt, er habe das als Einladung zum Mitverdienen verstanden und darüber im Ministerium gesprochen. Wiederum hatte das keine Folgen. Später bekam die Firma ihre Niederlassung hier, und in Deutschland flog sie auf, weil sie illegale Parteispenden betrieb.

 

Also könnte doch Geld geflossen sein?

Diesen Schluss ziehe ich hier nicht. Mein Schluss ist der: Selbst wenn Mady Delvaux 1996 guten Willens war, etwas zu ändern - und ich gehe mal davon aus -, dann dürften diese Pläne von Leuten in der eigenen Verwaltung konterkariert worden sein. Herr Morby war ja nicht nur der Zuständige für die Vergabe der Lizenzen - er war Chef des politischen Kabinetts, er war zugleich der höchste Beamte im Ministerium, und er ist Mitglied der LSAP. Nach den Vorfällen im Gesundheitsministerium 1998 liegt hier ein weiteres Beispiel dafür vor, wie schlecht es ist, wenn das politischen Kabinett eines Ministeriums und die Verwaltung nicht voneinander getrennt sind. Wir müssen endgültig dahin kommen, die politischen Mitarbeiter, die ein Minister sich aussuchen kann, klar von der Verwaltung zu trennen. Selbstverständlich sollen sie einen Einblick in Dossiers erhalten, aber keine Verfügungsgewalt in der Verwaltung. Sonst können sich solche Fälle in der Zukunft immer wieder ereignen.

 

Es gab im Transportministerium Kontrolleure. Bis zur Reform der Zollverwaltung überprüften sie die Speditionen, die Zöllner kontrollierten auf den Straßen. Gab es keine Berichte der Kontrolleure, und hat Herr Morby als deren Vorgesetzter eventuell Berichte zurückgehalten?

Er ist sogar noch weiter gegangen, das belegt der Bericht des Gendarmen Sinner, der unlängst im Fernsehen zitiert wurde. Detailliert zählte Herr Sinner Unregelmäßigkeiten auf, und wieder fielen Namen wie UCL. Die Folge war ein geharnischter Brief Jean Morbys an die Gendarmerie und eine Liste von Fragen über die Arbeit des Herrn Sinner, die länger war als die über die Mängel, die dieser bei den Transportfirmen festgestellt hatte. Pierre Bastendorf hat uns darüberhinaus erklärt, dass der Kontrolldienst im Ministerium vor allem eine Abteilung zur Arbeitsplatzbeschaffung gewesen sei. Die Mitarbeiter hätten gar keine Qualifikation dafür gehabt. Abgesehen davon, dass es juristisch äußerst fragwürdig ist, aus solchen Leuten Agents de la police judiciaire zu machen, die vereidigt wurden, um Protokolle auszustellen, konnten die Kontrollen ja gar nicht funktionieren. Und sie fanden einfach nicht statt, oder zu selten. 

 

Herr Sinner hatte aufgeschrieben, an diesem Lkw habe eine Kennzeichnung gefehlt, dort war etwas am Motor nicht in Ordnung usw. Wurde jemals festgehalten: Hier liegt ein Verstoß gegen Paragraph X vor, womit auch die Staatsanwaltschaft etwas hätte anfangen können?

Bis jetzt haben wir nicht einen Bericht der Kontrolleure aus dem Ministerium gesehen. Das einzige Schriftstück ist der erwähnte Brief des Gendarmen Sinner. Wir sind Herrn Bastendorf dankbar, dass er den aus seinem privaten Archiv mitbrachte.

 

Die Frage, wie liberal der Straßengütersektor in Luxemburg organisiert sein sollte, zog sich in der Vergangenheit immer wieder durch die Debatte über Gesetze. Hat die Kommission auf legislativer Ebene Mängel festgestellt?

Zurzeit wird das Niederlassungsrecht verschärft. Dazu gibt es Konsens. Das wird sicherlich zu einem ziemlichen Aufräumen führen, weil viele Firmen den neuen Forderungen nicht entsprechen werden. Ein Mangel besteht meiner Meinung nach bei der Handhabung der Cemt-Lizenzen, die für Transporte nach Osteuropa und Transporte osteuropäischer Firmen innerhalb der EU entscheidend sind. Das Regelwerk des Cemt ist sehr liberal, es gestattet aber, dass in den 41 Mitgliedsländern Ausführungsbestimmungen erlassen werden. Bei uns gibt es bis heute keine.


Weiß man schon, wie die Vergabe der Cemt-Lizenzen verlief?

Ende des Jahres war stets ein großer Tag: Da kamen die Transporteure zu Herrn Morby, und der hatte eine Liste und sagte zum Beispiel: Kralowetz bekommt soviel, Firma X soviel, Y soviel. Da stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien dabei vorgegangen wurde. Noch wissen wir das nicht, dazu wollen wir Herrn Morby befragen. Er wird nicht gerufen, um zu den Korruptionsvorwürfen Stellung zu nehmen, sondern um das System zu erklären.

 

Peter Feist
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