Affäre Kralowetz

Standortfragen

d'Lëtzebuerger Land du 14.02.2002

Sie ist noch immer Medienthema: die Affäre Kralowetz. Im Raume hängt das von Staatsminister Juncker am 1. Februar ausgegebene Diktum, die Regierung habe "keine Fehler" gemacht. Das stimmt womöglich gerade deshalb, weil politische und legislative Laxheit zu Fragen des Straßengüterverkehrs in Luxemburg Tradition hat.

Natürlich spielen die europäischen Umstände eine Rolle. Erst 2001 einigten sich die Transportminister der Union etwa auf einen Direktivenentwurf über die Aus- und Weiterbildung von Lkw-Fahrern. Ausgerechnet Luxemburg wäre in dieser Hinsicht beinah Pionier gewesen: 1968, als interministeriell über einenKraftfahrer-Beruf verhandelt wurde. Nicht liberal genug, befand der damalige (liberale) Transportminister Marcel Mart, ehe er das Vorhaben stoppte. Der Meinung war auch das Patronat gewesen. Bloß nicht zu viele Zwänge wollte der Gesetzgeber auch zehn Jahre später der heimischen Branche auferlegen, als man sich nunmehr unter LSAP-Führung achtbare vier Jahre nach Verabschiedung der ersten EG-Direktive über den Zugang zum Straßengütermarkt endlich daran gab, diese in nationales Recht zu übernehmen. Von Briefkastenfirmen sprach noch niemand. Aber der langjährige FNCTTFEL-Präsident und damalige SDP-Abgeordnete Albert Bousser sah ungeregelte Verhältnisse voraus, da in den inzwischen verstrichenen vier Jahren 180 Betriebe zugelassen worden waren, ohne auf die verschärften Ansprüche an "crédibilité financière" und Ausbildungsstand des Betriebsleiters kontrolliert worden zu sein, die die Direktive vorschrieb. Was Gesetzes-Berichterstatter Marcel Schlechter (LSAP) für übertrieben hielt, und dass aus der Direktive nur das Minimum an Bildungsanforderungen für den Spediteur übernommen werden sollte, begründete er im Parlament damit, wer zu viel Vorbildung in Finanzverwaltung oder Arbeitsrecht verlange, liefe Gefahr, "bal nëmmen Akademiker" als Spediteure zuzulassen.

Dumm aber dürften nicht all die Unternehmer gewesen sein, denen in den kommenden Jahren die Unterhaltung einer Scheinfirma in Luxemburg gelang. Wiederum veranlasst durch eine europäische Direktive, wurde 1991 unter Transportminister Robert Goebbels definiert, was ein "Betrieb" ist. LSAP-intern war klar, dass der Bezug allein auf die Steuergesetzgebung es schon erlaubte, ein Büro mit Schreibtisch darin "Speditionsfirma" zu nennen. Aber es setzten jene sich durch, die darauf verzichten wollten, den Unternehmen auch so selbstverständliche Einrichtungen wie eine Garage vorzuschreiben. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der Ruf des Patronats nach so viel Freiheit wie möglich leiser geworden war. Konfrontiert mit unlauteren Wettbewerbern nach der Rückkehr Osteuropas in den Schoß der Marktwirtschaft, hatte die Handelskammer auf die Gefahr des Missbrauchs der laschen Betriebsdefinition hingewiesen und gemeint, zumindest müsse die Sozialgesetzgebung auch für Fahrer aus Osteuropa gelten.

Nicht unrecht hat der heutige Transportminister Henri Grethen, wenn er seinen sozialistischen Vorgängern eine "Politik der offenen Arme" gegenüber zweifelhaften Firmen vorwirft. Am 31. Juli 1991 etwa meinte Transportminister Robert Goebbels auf eine parlamentarische Anfrage Grethens hin, die wenig strenge Gesetzgebung verschaffe Luxemburg einen Standortvorteil. 

Damals wie heute, da unter Grethens Regie Transportbetriebe so streng definiert werden sollen wie bislang nirgendwo sonst in Europa, argumentierte das Transportministerium damit, das Gebaren der Betriebe nicht lückenlos kontrollieren zu können. In der Tat werden Missstände gerade dann offenbar, wenn Fahrern aus einem Nicht-EU-Staat nachgewiesen werden kann, zwar hier zu Lande angestellt, aber nicht sozialversichert zu sein. Durch ein großherzogliches Reglement sind davon jedoch all jene Arbeitnehmer ausgenommen, die nie ihren Fuß auf Luxemburger Territorium setzen. Und zwar seit 1972. Womit sich behaupten lässt, die Affäre Kralowetz [&] Co. sei auch eine der in den letzten Jahren amtierenden Arbeitsminister von der CSV.

 

 

Peter Feist
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