Eine halbe Milliarde an Industrieinvestitionen und fast 500 neue Jobs innerhalb von drei Wochen. Ist die Krise mit großem „K” etwa vorbei?

Ehrliche Arbeit

d'Lëtzebuerger Land du 29.07.2016

Es läuft rund für den Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP). Vor drei Wochen konnte er verkünden, der Chemie-Konzern Dupont de Nemours investiere 350 Millionen Euro in eine neue Produktionslinie für Tyvek, die unzerreißbare Faser, aus der beispielsweise Schutzanzüge gegen Ebola hergestellt werden, und schaffe dadurch 130 neue Arbeitsplätze in Contern. Am Dienstag ließ er eine Pressemeldung verschicken, die Firma Euro-Composites, die aus den Dupont-Stoffen Kevlar und Nomex, aber auch aus Alufolie oder Glasfaser Waben herstellt, die zum Bau von Flugzeugen, Zügen und Schiffen gebraucht werden, investiere 61 Millionen Euro in Echternach und schaffe 230 neue Arbeitsplätze. Am Donnerstag verkündete er auf einer Pressekonferenz mit den Verantwortlichen des Joghurt-Herstellers Fage (Ausgesprochen: Fa-jee, wie dajee), den Bau einer Molkerei im Industriegebiet Wolser zwischen Düdelingen und Bettemburg. In einer ersten Phase investiert die Firma 100 Millionen Euro und schafft 100 neue Stellen, in einer zweiten Phase sollen noch einmal jeweils 100 Millionen Euro und 100 Arbeitsstellen folgen.

Über eine halbe Milliarde an Investitionen und fast 500 neue Jobs – dazu sagt Etienne Schneider: „Ja, und im Herbst werden weitere 60 Millionen Euro folgen.“ Dabei hatte sein Amtsvorgänger Jeannot Krecké (LSAP) schon vor Jahren griesgrämig festgestellt, dass die Zeiten, in denen der Wirtschaftsminister nach Auslandsreisen die Ansiedlung neuer Industrieunternehmen via Millioneninvestitionen und die Schaffung hunderter neuer Stellen bekannt geben könne, vorbei seien. Arcelor-Mittal schloss ein Stahlwerk und Walzstraßen mit dem Argument, ein rentabler Industriebetrieb sei nicht mehr möglich. Das Statec warnte letzten Herbst noch eindringlich, das Investitionsniveau habe sich seit der Krise noch immer nicht erholt. Und im Aus- wie auch im Inland steigt allerspätestens seit Luxleaks das Bewusstsein dafür, dass der Luxemburger Finanzplatz im Vergleich zu Bevölkerung und Landesfläche ein paar Nummern zu groß ist.

Mit der Ankündigung von Investitionen in Industrie und herstellendes Gewerbe in Serie sieht es so aus, als ob Etienne Schneider eigenhändig den Beweis erbringen möchte, dass Luxemburg nicht nur ein Steuerparadies und Schmarotzerstaat ist, sondern hier auch noch ehrliche Arbeit geleistet wird. Denn waren Industrieinvestitionen und die Schaffung neuer Stellen im Kampf gegen Arbeitslosigkeit und für die Vollbeschäftigung früher eher etwas für die Kommunikation nach innen, spielen sie mittlerweile in der Außendarstellung – neudeutsch Nation Branding – eine immer wichtigere Rolle.

Dass überhaupt noch ein Industrieunternehmen in Luxemburg investiert, kann angesichts der hysterischen Äußerungen von Arbeitgebervertretern über die Rahmenbedingungen in den vergangenen Jahren verwundern: zu viel Inflation, zu hohe Löhne, zu viele, zu schwierige Prozeduren, zu viel Umweltschutz, zu wenig verfügbare Grundstücke, kein Zugang zu Bankkrediten.

Die Unternehmen, die es wagen, könnten unterschiedlicher nicht sein. Dupont, mit Sitz in Willmington, Virginia, ist ein börsennotierter multinationaler Konzern mit einem Jahresumsatz von 25 Milliarden Dollar und 52 000 Mitarbeitern weltweit. Nach Contern kam Dupont Anfang der Sechziger via Luxembourg Business Board in New York im Gefolge von Goodyear. In den vergangenen Jahren hat der Konzern den Abbau von mehreren hundert Stellen in Contern befohlen und vor zehn den Tagen haben die Aktionäre die Mega-Fusion mit dem Konkurrenten Dow Chemicals bekannt gegeben.

Euro-Composites wurde 1985 von drei Partnern in Echternach gestartet, von denen Rolf Alter als alleiniger Teilhaber und Geschäftsführer zurückblieb. Vergangenes Jahr hat die Firma, die Filialen in Deutschland und den USA betreibt, rund 150 Millionen Euro Umsatz gemacht. Sie beschäftigt an ihren drei Standorten 830 Mitarbeiter, von denen alle mindestens eine Berufsausbildung abgeschlossen haben.

Fage ist ein Familienunternehmen, das gerne die eigene Legende vom Großvater Filippou erzählt, der 1926 sein Milchgeschäft in Athen eröffnete. Fage verdient vor allem durch den Verkauf von griechischem Joghurt unter dem Markennamen Total gutes Geld, hauptsächlich in den USA, Großbritannien, Italien, Griechenland und dem restlichen Europa. Seit Ausbruch der Krise in Griechenland laufen die Geschäfte dort weniger gut. Vergangenes Jahr meldete Fage einen Umsatz von rund 650 Millionen Euro, während der Absatz in Griechenland um elf Prozent und der Umsatz um fast 30 Prozent fielen. Weil es seit Jahren zum griechischen Krisenmanagement gehört, die Steuern anzuheben, verlegte das griechische Unternehmen 2012 seinen Sitz nach Luxemburg, in die Strassener Rue du Kiem, wo zwölf Mitarbeiter in der Konzernzentrale von Fage International arbeiten. Joghurt der Marke Fage gibt es in 75 000 Verkaufspunkten von 280 Supermarktketten in 40 Ländern zu kaufen. An den vier Produktionsstandorten (drei in Griechenland, einer in den USA) sind 1 081 Mitarbeiter beschäftigt. Obwohl die Produktpalette von Fage sehr eng ist, kann die Firma in ihren Segmenten erhebliche Marktanteile aufweisen.

Alle haben gute Gründe gefunden, in Luxemburg zu investieren. Zwar ist der Bau der Tyvek-Linie noch nicht durch alle Firmeninstanzen, weshalb Claude Metzdorf, aufgrund der Fusion und der Börsenbestimmungen, ihn nicht geradeheraus bestätigen kann. Aber, so der Direktor von Dupont in Luxemburg: „Tatsache ist, dass wir an der Konzession für eine Anlage in Luxemburg arbeiten.“ Tyvek produziert Dupont an zwei Standorten weltweit, einmal in den USA und einmal in Contern. Da wäre es, so Metzdorf, „nicht sehr intelligent“ gewesen, eine so „hoch technologische“ Produktion noch an einem dritten Standort zu implantieren, schon gar nicht irgendwo, wo die Mitarbeiter „nicht so loyal“ zur Firma seien. Metzdorf drückt sich vorsichtig aus, aber was er sagen will, ist, dass die Angestellten in asiatischen Ländern keine Bedenken haben, für ein wenig mehr Gehalt den Arbeitgeber zu wechseln, auch wenn der Zeit und Geld in ihre Ausbildung investiert hat. Dass das Wissen um die Produktionsprozesse, die dem Konzern erlauben, einzigartige Produkte herzustellen, im Betrieb bleibt, wenn die Mitarbeiter gehen, auch das scheint ihm nicht gewiss. Außerdem seien in China die Lohnkosten nicht mehr so niedrig, gibt er zu bedenken, und fahre man hinter Shanghai 100 Kilometer landeinwärts, fände man auch heute noch „chaotische Zustände“ vor. Ab Januar, erklärt Metzdorf, fahre die CFL Dupont-Produkte ab Bettemburg innerhalb von 18 Tagen direkt nach China. Nach der Krise, bemerkt er, und nachdem die Wachstumsraten in China zurückgehen, würden sich die Unternehmen allmählich wieder auf Westeuropa besinnen. Immer öfter, so Metzdorf würde im Konzern auch nach dem Stand der Beziehungen zu den Gewerkschaften gefragt. Die seien in Luxemburg gut, betont er, obwohl Personalabbau, wie er in den vergangenen Jahren bei Dupont vorgenommen wurde, für alle Beteiligten unangenehm sei. Damit die hohen Luxemburger Löhne bezahlt werden könnten, müssten aber die Marge und die Produktivität stimmen, unterstreicht der Manager. Bei Tyvek stimmt die Marge zwischen dem Preis der Rohmaterialen und dem Verkaufspreis des fertigen Produkts und Dupont stellt es in Contern im Drei-Schicht-Betrieb her. Das Personal für die neue Anlage soll noch während des Aufbaus geschult werden. Die Zusammenarbeit mit der Adem zur Rekrutierung und Ausbildung lobt Metzdorf ausdrücklich und ausführlich.

Dass die Rahmenbedingungen für die Entwicklung und die Verwaltung von Patenten in Luxemburg stimmen, bestätigt Metzdorf gerne. Dass Vertreter von Luxemburger Regierung und Adel bei ihren Wirtschaftsmissionen in den USA auch regelmäßig in Willmington Klinken putzen, scheint nicht zu schaden. Und wenn Etienne Schneider RTL erzählt, er habe vor drei Monaten Verhandlungen mit Dupont aufgenommen, hat er der Chefetage sicherlich im Detail vorgerechnet, wie viel sie von ihren Investitionen an Steuerkrediten zurückbekommen. „Zehn Monate“ dauert die Kommodo-Inkommodo-Prozedur, erklärt er. Dazu kommen Ausgaben für Bebauungspläne und Umweltschutzauflagen. „Wir haben Fledermäuse“, sagt Metzdorf. Er bleibt gelassen.

Dass das Gras anderswo nicht unbedingt grüner ist, weiß man bei Euro-Composites aus der Erfahrung mit den Standorten in Bitburg und den USA. Als 1985 die Wabenproduktion begann, schien Luxemburg der ideale Standort für eine Firma, die dem europäischen Flugzeugkonstrukteur Airbus zuarbeitete. Sozusagen neutrales Territorium zwischen Frankreich und Deutschland. Dass sie überhaupt in Bitburg herstellt, habe vor allem damit zu tun, dass schnell ein völlig abgeschirmter Produktionsbereich zur Fertigung von Teilen für Verteidigungsindustrie gebraucht wurde, erklärt Horst Willkomm. Der Unternehmenssprecher hebt hervor, dass die Firma, die ausbaut, um der Kundennachfrage nachzukommen, auch in den vergangenen Jahren kontinuierlich weiter investiert habe. Trotz Krise konnte sie wachsen, weil der Anteil an verbauten Kompositen stetig steigt, weil die Konstrukteure versuchen, Flugzeuge immer leichter und dadurch energieeffizienter zu machen. Die Ausgaben von 61 Millionen Euro stellen deshalb eigentlich das Investitionsprogramm der nächsten vier Jahre dar.

Wenn Claude Metzdorf im Hinblick auf den Personalbestand lobt, dass der Bildungsgrad in Europa insgesamt höher ist und auch die Universitäten im Schnitt noch besser sind als anderswo, hebt Willkomm die Sprachenvielfalt als Standortfaktor hervor. Die Kunden, erklärt er, hätten sich daran gewöhnt, ihrem Zulieferer Pläne und technische Zeichnungen für die Bauteile von Flugzeugen, Yachten und Bahnwaggons in der Muttersprache zuzuschicken, „ohne Übersetzung“. Elf Sprachen beherrscht die Belegschaft auf dem dafür erforderlichen Niveau. „Die Löhne sind hoch, dafür sind die Lohnnebenkosten niedrig“, stellt er trocken fest. Auch Willkomm lobt die Reaktionsfähigkeit der Luxemburger Behörden.

Dabei gehe es nicht darum, „billige Komplimente“ zu verteilen, sagt Dr. Rolf Giesen, Inhaber und Geschäftsführer der Maxim-Kosmetikgruppe, die in Echternach bei International Can Alu-Sprühdosen herstellt und bei Cosmolux Mundwasser und Körpermilch. Maxim übernahm 2001 die Produktionsanlagen von Yves Rocher. Bereut hat Giesen, der ebenfalls Anlagen in Frankreich und Deutschland betreibt, das bisher nicht. Im Gegenteil, hält er Deutschland für völlig überbürokratisiert und Frankreich für ein wunderbares Urlaubsland. Giesen, der seine berufliche Laufbahn als Buchdrucker begann, das Studium nachgeholt und sich selbstständig gemacht hat, weil ihm der Portier bei seinem ehemaligen Arbeitgeber Axel Springer erklärt hatte, dass er niemals in den „Bonzenheber“ genannten Fahrstuhl steigen werde, der dem Topmanagement vorbehalten war, stellt in Luxemburg keine Produkte mit extra hohem Mehrwert her, sondern Massenware für Discounter und Supermarkt- und Drogerie-Ketten. Im Hochlohnland Luxemburg baut International Can im Herbst eine zweite Alu-Dosen-Anlage auf. Eine dieser Maschinen, die zehn Millionen Euro kostet, kann jährlich im Drei-Schicht-Betrieb 40 bis 50 Millionen Einheiten produzieren. Die Lohnfindungsstrukturen, sprich den Index, bezeichnet er als „gewöhnungsbedürftig“, findet aber, dass sie von anderen Vorteilen überstrahlt werden, zum Beispiel der niedrigen Lohnsteuer. Doch auf Produktionslinien, in deren Herstellung die Lohnkosten ins Gewicht fallen würden, müssten möglichst viele Produktionsschritte an einem Standort zusammengelegt werden, erklärt der Unternehmer. „Wall-to-wall“ heißt das Konzept im Managersprech. Giesen kann die Behälter für sein Schampoo natürlich auch an einem Niedriglohnstandort herstellen und zur Abfüllanlage transportieren lassen. Aber wenn dabei pro Flasche auch nur ein Cent Transportkosten anfallen und Millionen davon transportieren werden, wird das schnell teuer. Deshalb spart Giesen lieber Transportkosten. Was er beschreibt, ist die gegenteilige Entwicklung des Outsourcing rund um den Erdball, wie es in den vergangenen Jahrzehnten statt gefunden hat.

Für den Selfmade-Mann Giesen hat Luxemburg deutliche Vorteile. „Man will als Mittelständler ja ernst genommen werden“. Auf ihren Auslandsreisen macht sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel für nationale Champions für Siemens stark. „In Luxemburg diskutieren wir auf Augenhöhe mit der Regierung.“ Giesen ist in der nächsten Luxemburger Wirtschaftsdelegation nach Iran dabei. Verschleiert wie die Iranerinnen sind, tragen sie gerne Make-Up, hat er festgestellt und sich vorgenommen, den iranischen Frauen besseren Lippenstift zu verkaufen. Persönlich denke er darüber nach, seinen Lebensmittelpunkt nach Luxemburg zu verlegen. Die geplante neue Erbschaftsteuer sei für den deutschen Mittelstand ein „Riesenthema“, so Giesen, weil auch das Anlagevermögen, wie Fertigungshallen und Maschinen, besteuert werde, die Unternehmererben aber nicht die Liquiditäten hätten, um zu zahlen.

Steuern sind sehr wahrscheinlich eine der Ursachen, die die Joghurt-Hersteller Fage dazu bewogen haben, eine Molkerei, die schon in der ersten Phase 500 Tonnen Milch täglich und damit theoretisch fast die gesamte Luxemburger Milchproduktion verarbeiten könnte, ins Minett zu bauen. Das internationale Geschäft ausbauen, will Fage laut Geschäftsberichten ohnehin schon länger. Als die Firma in den vergangenen Jahren umstrukturierte, reevaluierte sie auch ihr geistiges Eigentum und die darauf fälligen Abgaben der Filialen an die Konzernzentrale. Vergangenes Jahr einigte sich Fage mit den US-Behörden, die mit der Höhe der Linzenzzahlungen nicht einverstanden waren und zahlte zehn Millionen Dollar Steuern nach. Mit einem Produktionsstandort in Luxemburg gibt der Konzern, dem man 2012 in Griechenland ein verräterisches Grexit vorgeworfen hatte, seiner Präsenz die viel diskutierte „Substanz“, um sich gegen künftige Vorwürfe der Steueroptimierung zu wappnen. So dass Fage ein erstes konkretes Beispiel dafür ist, dass der unter dem Titel Beps geführte internationale Kampf gegen die Steueroptimierung von Konzernen sich in Luxemburg positiv auswirken kann.

Michèle Sinner
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