Niederlassung von Straßengüterfirmen

Reregulierung

d'Lëtzebuerger Land du 11.07.2002

"Un havre d'acceuil des transports routiers" nannte das französische Straßengüterverkehrsfachblatt L'Officiel des transporteurs in seiner Ausgabe vom 11. November 2000 Luxemburg. Und zählte auf, wen das beispielsweise stört. Dänische Gemeinden etwa, denen Kosten für Reinigung und Unterhalt der Straßen entstünden, über die Lkw von Transportfirmen rollen, aber da deren Firmensitz sich in Luxemburg befinde, würden die Steuern dort gezahlt. Oder die deutsche Regierung, die die Verlagerung deutscher Fernfahrer nach Luxemburg beklage, weil damit Sozialbeiträge verloren gingen. Oder der französische Fuhrunternehmerverband Fédération nationale des transports routiers, mit den Worten zitiert, dass immer mehr französische Speditionsunternehmen eine Gesellschaft im Großherzogtum eröffneten, sei darauf zurückzuführen, dass das kleine Nachbarland "clairement du dumping fiscal" betreibe.

 

Was alles nicht illegal ist im seit 1998 vollständig liberalisierten EU-Straßengütermarkt, solange Arbeitsrecht und Straßenverkehrsrecht eingehalten werden, die Fahrer aus EU-Staaten kommen und keine Scheinfirmen gegründet werden. Letzteres sollte in Luxemburg eigentlich ein seit 1991 strengeres Niederlassungsrecht verhindern. Aber ein paar Aufsehen erregende Gerichtsprozesse, wie die strenge Verurteilung eines belgischen Spediteurs durch ein Tribunal in Lüttich im Juni 2000 wegen der Eröffnung einer Briefkastenfirma im Großherzogtum, lieferten dennoch den Stoff für jenes Bild, das die Luxemburger Regierung heute mit ihrer Arbeit am "Image de marque" gern korrigieren möchte: das des kleinen Parasiten, der nicht nur mit niedrigen Steuern und Sozialbeiträgen, Bankgeheimnis und ausländerfreundlichen Treibstoffpreisen seine Volkswirtschaft stützt, sondern obendrein im Transportgewerbe Scheinfirmen toleriert. Umso fataler musste sich Anfang des Jahres die Kralowetz-Affäre auswirken, die hinter dem Markennamen Luxemburg auch noch einen Tummelplatz für Ausbeuter von Nicht-EU-Bürgern vermuten ließ.

 

Gestern debattierte die Chamber ein neues, wiederum verschärftes Gesetz über die Niederlassung von Transportfirmen; am vergangenen Freitag hieß der Regierungsrat einen Gesetzentwurf gut, mit dem Luxemburg die EU-Verordnung für eine europaweit einheitliche Fahrerbescheinungung umsetzen will, die ab 19. März 2003 gilt. "Wir haben unsere Schlussfolgerungen aus der Kralowetz-Affäre gezogen", bemerkte Premier Jean-Claude Juncker beim anschließenden Pressebriefing. Luxemburg, noch schwarzes Schaf, wird Musterknabe - es geht weit über das in den EU-Rechtssetzungen Verlangte hinaus.

 

Dass das beim Niederlassungsgesetz so sein würde, war lange vor Kralowetz schon klar. Am 17. Oktober 2000 auf den Instanzenweg geschickt, sollte es mehr leisten, als nur eine EU-Direktive aus dem Jahr 1998 umzusetzen, die den Unionsbeitritt Österreichs, Schwedens und Finnlands berücksichtigt und Betriebsgründern im Transportbereich höhere Auflagen macht. Laut Gesetz von 1991 musste ein Transportbetrieb an seinem Sitz zumindest ein Büro der Geschäftsleitung haben. Künftig gelten strengere Regeln: der "siège de l'exploitation fixe" (qui) "se traduit par l'existence d'une infrastructure opérationnelle, par l'existence effective et à caractère permanent de la direction des activités du transporteur, par le fait d'y  conserver tous les documents relatifs à ces activités ainsi que par la présence continue d'une personne autorisée à engager le transporteur à l'égard des tiers".

 

Vor allem die deutsche und die französische Regierung übten ab Ende der 90-er Jahre Druck auf Luxemburg aus, damit es seine Kontrollen verschärfe. Der Medien-GAU um die Kralowetz-Affäre aber gab "den letzten Ausschlag dafür, dass wir so kategorisch blieben", sagt Lucien Clement (CSV), Berichterstatter zum Gesetzentwurf im parlamentarischen Ausschuss für mittelständische Wirtschaft. Kategorisch, weil das Projekt mit einer seltenen Rigorosität gegen Kritik aus dem Unternehmerlager und des Staatsrats durchgedrückt wurde. Die Handelskammer wehrte sich gegen die Definition des "établissement stable" generell, weil Vergleichbares EU-weit allein in Belgien existiere. Mit dem Staatsrat kritisierte sie, dass in Zukunft ein Betrieb durch behördliche Ermittlungen bereits vor seiner Eröffnung auf zu vermutende Stabilität überprüft werden soll und nicht erst nach einer gewissen Zeit seines Bestehens. Darüber hinaus wird künftig die Forderung nach "honorabilité professionelle" (vor allem strafrechtliche Unbescholtenheit) auch an den Hauptaktionär gestellt, bzw. an die Personen, die "maßgeblichen Einfluss" auf die Geschäftsführung haben. Gegen diesen Passus wehrte der Parlamentsauschuss eine formelle Opposition des Staatsrats ab, argumentierte, die nötige Transparenz im Aktionariat sei herstellbar, und schließlich ginge es doch darum zu verhindern, dass "personnes peu recommandables" durch die Hintertür Einfluss auf einen Betrieb nehmen. Sprich: Dass etwa ein Karl Kralowetz nach Verbüßung seiner Strafe sich über einen Strohmann erneut in eine Luxemburger Firma einkaufen und deren Geschicke bestimmen könnte ...

 

"Für vielleicht am besten für das Mittelstandsministerium, aber schlecht für die Branche" hält Thierry Nothum, Generalsekretär der Handelskonföderation (CLC) das Gesetz. Die Lage am Markt sei schwierig, im vergangenen Jahr hätten die Preise um bis zu 40 Prozent unter denen vor Einführung des Binnenmarktes gelegen. Am schwersten träfen die Betriebe die verschärften Auflagen zum Nachweis ausreichender Finanzkapazität: Hatte nach dem Gesetz von 1991 jede Straßentransportfirma eine Kaution oder Bankengarantie von  150 000 Franken (3 718 Euro) erbringen müssen, erhöhte die EU per Direktive den Betrag auf 9 000 Euro für den ersten und 5 000 für jeden weiteren Lkw, ließ den Mitgliedsstaaten jedoch die Option, die finanzielle Kapazität statt-dessen regelmäßig durch Überprüfung der Buchhaltung der Betriebe zu ermitteln. Sowohl Handelskammer als auch Staatsrat legten diese Alternative den Parlamentariern dringend ans Herz, Vertreter des Groupement transports in der CLC betrieben im Mai/Juni Lobbyarbeit gegenüber den Regierungsparteien - umsonst: Ein gesunder Betrieb müsse sich die bei Erteilung der Bankengarantie anfallenden Gebühren leisten können, schrieb Berichterstatter Clement vor einer Woche in seinem Abschlussbericht. Hinzu komme: "La législation actuelle comme celle qui est projetée prévoient que cette garantie peut être réclamée par le curateur en cas de faillite du transporteur." Hätte Karl Kralowetz' UCL keine Bankengrantie besessen, hätten die rund 170 Chauffeure aus der Slowakei und Bulgarien kaum Aussicht auf Zahlung der ihnen geschuldeten Löhne aus der Konkursmasse des Betriebes; waren die Lkw der Firma doch allesamt geleast.

 

Könnte mit dem neuen Niederlassungsrecht sich ein Fall wie Kralowetz vermeiden lassen, hätte er auf dessen Basis früher belangt werden können? Zumindest dürfte die verschärftere Betriebs-Definition mit ihrer Forderung nach Aufbewahrung aller Dokumente und Anwesenheit eines Verantwortlichen Kontrollen vereinfachen. Wie schnell Sanktionen greifen könnten, ist eine ganz andere Frage. Dass nach dem geltenden Niederlassungsrecht Karl Kralowetz nicht die Handelsgenehmigung hätte entzogen werden können, urteilte das Zuchtpolizeigericht Luxemburg am 18. April 2002: eine Briefkastenfirma war die UCL nicht. Und auch nach dem neuen Niederlassungsrecht wird ein Entzug der Handelsgenehmigung die ultima ratio für den Mittelstandsminister bleiben, die die Schließung des Betriebes bedeutet. Nach "infractions graves et répétées" gegen arbeits- und sozialrechtliche sowie Sicherheitsbestimmungen im Transportbereich kann der Betrieb bzw. dessen Leiter seine "honorabilité professionnelle" verlieren. Womöglich hätte die 2001 erfolgte letztinstanzliche rechtskräftige Verurteilung von Kralowetz zu einer Geldstrafe von 200 000 Franken wegen Nichtbeachtung der Lenk- und Ruhezeitenverordnung das Kriterium "grave et répétée" nicht erfüllt. Auch das neue Gesetz lässt Spielraum: Ursprünglich sollten allein Verurteilungen wegen "infractions" zum Verlust der Ehrbarkeit führen können. Eine drastische Verschärfung gegenüber der EU-Direktive, die noch immer schwere und wiederholte Verstöße als Minimalschwelle ansieht.

 

Die zu übernehmen, empfahl auch der Staatsrat; schießlich wurde daraus der Kompromiss „infractions graves". Welches Problem noch eine Rolle spielt bei der Belangung von Betrieben und deren Chefs zeigt ein Aufsatz in der Justiz-Zeitschrift Codex1: Im Unterschied zum französischen Recht gibt es in Luxemburg keine geteilte Verantwortung für Verstöße zwischen dem Fernfahrer und desen Vorgesetztem. Verwiesen wird auf das Urteil der Cour d'appel im Januar 1997 im Fall "Ries", wonach "la responsabilité des délits apparus au cours du fonctionnement d'une entreprise ne s'attribue pas automatiquement à celui qui détient le pouvoir de décision et, conformement au principe général de notre jurisprudence, celui-ci n'est pénalement responsable qu'en cas de commission de faute personnelle". Was schwer zu beweisen ist.

 

Mit seiner Regel "Kontrolle vor Aufnahme des Betriebs" verbessert das Niederlassungsgesetz vor allem die Einflussnahme der Behörden. Auch die des Transportministers, der durch teilweisen Entzug von Transportlizenzen über nuanciertere Sanktionsmöglichkeiten verfügt als der Mittelstandsminister. Sozialsklaverei wie im Fall der 170 Kralowetz-Chauffeure wird eher die einheitliche Fahrerbescheinigung vorbeugen, die ab nächstem Jahr jeder Fahrer aus einem Nicht-EU-Staat bei sich tragen und auf der die Sozialversicherungsnummer beweisen soll, dass der Chauffeur nicht bei einer Kasse im Heimatland, sondern am Ort seiner Anstellung versichert ist. Woraus in Luxemburg eine Anstellung zu Kollektivvertragsbedingungen folgt. Das Projekt Permis E, die Spezial-Arbeitsgenehmigung für Kraftfahrer, soll nun doch mit einer Aufenthaltsgenehmigung verbunden werden, entschied der Regierungsrat vor einer Woche. Weiterhin gelte, sagt Arbeitsminister François Biltgen, dass die Chauffeure nur in der internationalen Straßentransportbranche angestellt werden dürften und keinen allgemeinen Zugang zum Luxemburger Arbeitsmarkt bekommen sollen. Praktisch aber seien viele auf Osteuropa-Touren eingesetzte Chauffeure eben doch oft in Luxemburg, und ein Spezialvisum, wie es die Regierung schaf-fen wollte, damit ein Fahrer mit Permis E sich zwei, drei Mal im Jahr bei den Behörden melden kann, hätte im Schengen-System Probleme bereitet.

 

Die EU-Verordnung zur einheitlichen Fahrerbescheinigung schreibt nicht einmal die Erteilung einer Arbeitsgenehmigung an Fahrer aus Drittländern vor (siehe d'Land vom 15. März 2002). Wenn Luxemburg nun sogar eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, geht es erneut weiter als die anderen. François Biltgen hat zwar darüber noch keine Klagen von seinen Ar-beitsministerkollegen der EU gehört, die sich für Immigranten immer mehr zur Festung macht, aber um Verständnis für die Luxemburger Position werben muss er schon: "Wir müssen die Fahrer ja irgendwie kontrollieren und ihnen dazu den Aufenthalt gestatten. Das Land und der heimische Markt sind so klein, dass im Grunde jede Fahrt im Ausland stattfindet." Viel weniger Verständnis für den neuen Luxemburger Kurs haben europäische Gewerkschaften. Französische und deutsche Kollegen, sagt Hubert Hollerich, Sekretär des OGB-L-Transportsyndikats Acal, seien "nicht zimperlich" mit Vorwürfen, dass Luxemburg "die Türen öffne für Fahrer, die lieber draußen bleiben sollten". Umso mehr, da Luxemburg auch nach der Verschärfung seiner Niederlassungsbestimmungen und nach Einführung der Fahrerbescheinigung Vorzüge wie niedrige Steuern, Sozialkosten und Spritpreise behält. Eine Nische bleibt, sie wird nur viel enger.

 

1 "Le droit d'établissement des transporteurs: polémiques et vérités", Codex, 3/2002

 

Peter Feist
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