Harsch, Roland: Laub und Nadel

Ein durchaus nützlicher Narr

d'Lëtzebuerger Land du 09.11.2000

Mit Nummer 11 seiner schon fast als literarischer Geheimtip geltenden Collection Apess hat der Professorenverband (wieder) einen publizistischen Volltreffer gelandet: Roland Harschs von Carlo Schmitz so dezent wie spitz cartooniertes Text-Album Laub und Nadel sucht auf der Luxemburger Literaturbühne vergebens seinesgleichen.

Stichwort Bühne! Anstatt mit den Putty Stein, Lexy Brasseur, Pir Kremer, Pol Pütz und sonstigen Schustern und Hoscheits die Kapuziner-Saison mordikus mit Cabaret aufpeppen zu wollen: warum gibt sich ein Frank Feitler nicht endlich einen Ruck, warum traut er sich mit Hilfe - zugegeben hier zu Lande dünn gesäter - begabter Diseuren und Diseusen nicht heran an Roland Harsch, dessen - buchstäbliche - Text-Partituren geradezu nach Inszenierung schreien?

Dank seiner früheren Veröffentlichungen in der Apess-Collection, seiner regelmäßigen Beiträge im Apess-Periodikum récré hat der literarische Prestidigitateur Roland Harsch längst seine Gesellen- und Meisterstücke geliefert. Harsch ist weit und hoch über dem inzwischen über Luxemburgs Cabaret-Bretter gegangenen Weg des geringsten Widerstandes und des wohlfeilen Beifalls einsame literarische und linguistische Spitze. Es tut einfach wohl, zu wissen, an Luxemburg höheren Schulen sind noch Lehrer à la Roland Harsch im Einsatz, die sich nicht damit bescheiden, ihrem zunehmend heikleren und zweifelhafteren pädagogischen Brotberuf halbwegs gerecht zu werden, sondern ihre persönlichen und professionellen Krisen aufs Köstlichste, jawohl, aber auch magistral aufs Nachdenklichste in Kreativität umzumünzen; die sich auch nicht damit begnügen, säuerliche Aphorismen abzusondern, elegische, nostalgische, misanthropische Leitartikel auf Versflaschen zu ziehen, die vielmehr z.B. die  nachweislichen Substanzverluste, die das Schulsystem hier zu Lande zu beklagen hat, blitzgescheit und poetisch ins Positive wenden und daraus Sprachraketen steigen lassen, die die Szene grell erleuchten.

Gewiss, man darf Roland Harsch, wie generell der Satirikerzunft, den Vorwurf machen, ihre Zerrspiegelung der Zustände gerate immer noch viel zu kulinarisch, über dem homerischen Gelächter oder klammheimlichen Geschmunzel, das er mit fast jeder seiner Veröffentlichungen auslöst, verdränge sein Publikum (das fast schon eine verschworene Fan-Gemeinde bildet) den tiefen Schlamassel, in dem wir alle stecken.

Das über 200 Seiten starke Text-Album Laub und Nadel, daran besteht nicht die Spur eines Zweifels, ist ein neuer Gipfelpunkt in Rolands Harsch buchstäblich wort- und gar sprachschöpferischem Schaffen; bedauerlich an diesem Werk ist eigentlich nur der die Maestria seines Inhalts merkwürdig unterbelichtende Titel Laub und Nadel; Harsch wendet und windet sich, seinen lesenden Hörern und aufhorchenden Lesern diese Titelwahl zu erklären oder schmackhaft zu machen, er bleibt mit seinem Befund: "Laub: Nadel -Unser Leben ist geprägt von diesem Gegensatz. Auf der einen Seite Pflichtennadeln, die stechen und ritzen, auf der anderen Seite bunte Blätter, die streicheln und kitzeln" weit hinter seiner eigenen literarisch kreativen Polyvalenz zurück.

Laub und Nadel enthält ca. 130 auf die acht Kapitel "Der blaugeblümte Unterricht", "Korrekturfahnen", "Narr-ativ", "Burgkonzert und Schloßtheater", "Matt und Schachtel", "Schlag auf Schlag", "Prosaunatöne" sowie "Fernsucht und Heimweh" verteilte "Nummern", von denen allenfalls diejenigen nicht oder schwächer zünden, die Harsch selber "ernst" genommen haben will oder dank derer er als Vollblut in (Gedanken-)Lyrik gelten möchte; überhaupt ist Roland Harsch auch in Laub und Nadel sich selber und seinem Sprachingenium der gefährlichste Feind, gebietet er doch - zumindest dem Augenschein nach! wieviel mühsames Handwerk steckt wohl hinter der Brillanz? - über eine so schier unerschöpfliche Leichtigkeit im Verkehr mit der deutschen Sprache, über einen derart grenzenlosen Sprachwitz, dass ihm, über der Lust am Formulieren und Fabulieren die Verszügel schon mal gern entgleiten.

Gottlob nistet Roland Harsch jedoch so tief in der Sprache, dass er sowohl in der Karikierung seines Deutschlehrerberufs, in der Demaskierung vielfältiger Doppeldeutigkeit und Schwatzhaftigkeit, in kurzgeschichtlicher Pointierung, in der Kennzeichnung unfreiwilliger Künstlerkomik quasi aus dem Wortherz, dem Sinnkern heraus zu gestalten vermag. Zudem meistert Roland Harsch fast enzensbergerisch virtuos sozusagen sämtliche Versmetren und Poesierhythmen, kurzum: er beherrscht hoch über das Elementare hinaus sein sprachliches Handwerk so, dass Inhalt und Aussage seiner Texte, zumal bei (satirischer) Lyrik, kraft der durch und durch künstlerischen Form, an Glaubwürdigkeit, an Durchschlagskraft gewinnen.

Nicht nur unter anderem sorgt sich Roland Harsch um die schleichende, doch scheinbar unaufhaltsame, besonders und leider ausgerechnet durch die sich "Medien" schimpfenden "Kommunikatoren" beschleunigte Verarmung und Aushöhlung, wenn nicht gar Skelettierung, Zerstörung sowohl der Alltags- wie der Hochsprachen; er treibt diesen sprachlichen wie menschlichen Krebsgang im Eröffnungskapitel "Der blaubeblümte Unzerricht" exemplarisch in Nr. XIV: "http://www.bla.blu.lu" auf die Spitze. 

Wollte der Rezensent seine fast uneingeschränkte Eloge auf Roland Harschs solitäre Kunstfertigkeit im Zitat belegen, er hätte im Fall von Laub und Nadel halt wieder aufs Schmerzlichste die Qual der Wahl; er bittet deshalb, untenstehende Leseprobe als pars pro toto aufzufassen; sie allein ermuntert mit Sicherheit, sich Laub und Nadel, die jüngste sprachkünstlerische Talentprobe des Roland Harsch, ganz und in einem Schluck oder Schnief "reinzuziehen".

Kuh nie Gunde

 O, Bauer, nenn 'ne Kuh nie Gunde: 

 Das Tier lässt blenden sich vom Schein; 

 es meint, es müsst in seiner Runde

 darob ein bess'res Rindvieh sein.

 Nebst Berta, Emma, Erna, Grete

 klingt Gunde reichlich affektiert; 

 schaut her! Das Vieh - etepetete -

 wie sowas sich beim Melken ziert!

 In seinem Rinderdivawahne

 beansprucht es besondere Gunst;

 statt Milch, glaubt Gunde, gäb sie Sahne, 

 nur  s i e  beherrsche diese Kunst.

 es gibt kein ordinäres Grasen; 

 für Gunde muss es Ziergras sein. 

 es wiederkäuen ihre Basen, 

 indes  s  i e ruminiert ganz fein.

 Und während andre deftig klacksen, 

 erzeugt Gunde Edelmist. 

 Dem Landwirt reichen diese Faxen - 

 Ob sich der Schuld bewusst er ist?

 O, Bauer nenn 'ne Kuh nie Gunde:

 Das Tier lässt blenden sich vom Schein.

 Es meint, es müsst in seiner Runde

 darob ein bess'res Rindvieh sein!

Roland Harsch: Laub und Nadel, Zeichnungen von Carlo Schmitz, éditions de l'Apess; 17, rue Muller-Fromes; L-9261 Diekirch, 223 S., 580 Fr.

Michel Raus
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