Leitartikel

Dorfdespoten

d'Lëtzebuerger Land vom 22.09.2017

Auch wenn es den Südgemeinden gelungen war, noch kurz vor den Gemeindewahlen einen neuen Kollektivvertrag für die Gemeindebeschäftigten zu unterzeichnen, so feuerte der Gemeindebeamtenverband FGFC diese Woche doch noch einmal eine Breitseite gegen viele ungenannte Gemeindeväter und -mütter ab. Aber es war schon richtig ist, dass der Verband im Gemeindewahlkampf daran erinnerte, dass Bürgermeister und Schöffen neben allerlei anderen Kompetenzen und Beschäftigungen auch Vorgesetzte von, je nach Gemeinde, mehr oder weniger zahlreichen Gemeindebeamten-, angestellten und -arbeitern sind. Jede Gemeindewahl verspricht also laut FGFC, den Gemeindebeschäftigten „eventuell eine neue politische Konstellation, sprich glattweg einen neuen Chef“.

Immerhin arbeiten rund 13 000 Leute bei den Gemeinden, und die Zahl der Beschäftigten hat in den vergangenen Jahren durch die immer neuen Dienstleistungen der Gemeinden, wie zuletzt den massiven Ausbau der Kinderbetreuung, deutlich zugenommen. Trotz mancher Versuche von Privatisierung, Outsourcing und PPP stehen in vielen Gemeinden nicht-öffentliche Personalangelegenheiten auf der Tagesordnung jeder Gemeinderatssitzung.

Doch offenbar nehmen nicht alle Bürgermeister und Schöffen die damit verbundenen Pflichten und Verantwortungen angemessen wahr. Die FGFC, die bereits vergangenes Jahr bei ihrer „Sozialrentrée“ für viel Wirbel gesorgt hatte, spricht erneut von „Lokalfürsten“, die „teils hemmungslos ihre Dorfmacht ausüben“, die „noch arbeiten und denken wie vor 50 Jahren“.

Tatsächlich sitzen in den 105 Rathäusern des Landes nicht nur unter dem Personal die Besten und die Schlechtesten. Das heißt neben den aufopferungsbereiten Idea­listen, den kompetenten und verständnisvollen Dienern der Allgemeinheit auch die kleinen Despoten ländlicher Majorzgemeinden, für die Gemeindebeamte noch immer eine Art Knechte und Mägde sind; die Berufspolitiker großer Proporzgemeinden, die alle Moden privatwirtschaftlicher Unternehmensführung versuchen und gleichzeitig rund um die Uhr Unterstützung bei der politischen Selbstdarstellung beanspruchen; die Pensionierten, die jeden Tag ihren Ruhestand im Rathaus verbringen; die Nebenberufler, die nie auftauchen und die Verwaltung sich selbst überlassen; und die heillos zerstrittenen Schöffen- und Gemeinderäte, wo jede Partei gnadenlos nach Alliierten in den Büros der Gemeindeverwaltung sucht.

Die FGFC wirft dem Gemeindeverband Syvicol vor, eine Art Unternehmerverband zu sein, der nicht auch die Gemeindebeschäftigten vertritt und alle Kritiken, wie vor einem Jahr, als „billige Behauptungen“ abwehrt, mit denen bloß „eine Atmosphäre des Misstrauens“ geschürt werde. Auch der Innenminister halte sich vorsichtig heraus, angeblich aus Respekt vor der Gemeindeautonomie.

Nicht alle Kandidaten, die am 8. Oktober als möglicherweise talentierte und populäre Politiker gewählt werden, erfahren alleine durch die Gnade ihrer Stimmenzahl eine Erleuchtung, die sie zu sachverständigen und verantwortungsbewussten Leitern einer Gemeindeverwaltung macht. Zumindest ein Teil von ihnen nimmt deshalb an Kursen über Aspekte der Gemeindeführung teil, wie sie der Syvicol anbietet. Wie die anderen Gemeindemütter und -väter zu einem Minimum an Professionalismus und Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit dem Gemeindepersonal gebracht werden können, weiß aber auch die FGFC nicht so genau. Deshalb schwört sie etwas blauäugig auf das New Public Management und verlangt weiter einen „Gemeindeführerschein“, der in der Praxis entweder wirkungslos zu sein oder das passive Wahlrecht einzuschränken drohte.

Romain Hilgert
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