Hoffmann, Léopold: Schlitter

Fehlkonstruktion Mensch

d'Lëtzebuerger Land vom 14.12.2006

Chapeau! Chapeau! Léopold Hoffmann, hochbetagter Autor, Jahrgang 1915, verfügt über einen so furiosen Zorn bei seiner schonungslosen Abrechnung mit der missratenen Menschheit, dass sich daneben manche Jungschriftsteller wie seichte Wortweichspüler ausnehmen - falls sie sich überhaupt noch zeitkritisch einmischen. Léopold Hoffmann nimmt kein Blatt vor den Mund, speit seine Polemik ungeschönt mit hartkantigen Wortbrocken auf die Seiten; derb, sarkastisch, sprach-erfinderisch tönt es da schrill: "pubertäres Chaotensyndrom - Vaginakratie - Buchstabenmeute - Hinterrücksbescheißer - Schlager-Trümmer - human karikativ Gestelztes." Der Titel dieser straffen, meist schmalzeilig im Stakkato-Stil verfassten Gedichte und Prosa-Miniaturen ist eine leitmotivisch sinngebende Trouvaille: Schlitter, das verweist auf Geröll, Verfall, Zerrüttung im Sinne der Metapher vom "Hinabschlittern"; denn Dekadenz nimmt Hoffmann überall wahr und prangert sie an, nicht immer vor plakativer Vereinfachung gefeit. Das erste Kapitel polemisiert gegen "Schlitter in der Postmoderne". Den Auftakt bildet eine Versparabel "Fehlkonstruktion Mensch". Der "Architekt" schuf aus der pessimistischen Perspektive und Erfahrung des Satirikers eine äußerst dubiose, janusköpfige, angreifbare Spezies. "Menschlichkeit wird ausgespart" auf einer "verbrauchten Erde". Der rabiate, zielgenaue Scharfschütze nimmt einige beispielhafte Protagonisten und Zeitphänomene aufs Korn, etwa "Psycho-Hightech", "Der Postmoderne", der macht aus "trüber Quelle/einen Film/Bo der Babyficker/mit der ranzigen Pubertät/war sein Held". Seitenhiebe teilt er aus gegen Schreiberlinge wie "Oskar Fels/der total globale Poet/wandelte/auf seinem selbstgewirkten/roten Teppich" oder "Kasimir der strukturelle Schriftsteller" kriegt sein Fett ab. Léopold Hoffmann unterläuft zum Glück in dem dialogischen Disput "Es und Er" den Vorwurf überheblicher Selbstgerechtigkeit durch harte Eigenkritik: "Dein Leiden an der sozialen Ungerechtigkeit/betäubst du wortstark." Sprachlich milder verfährt der Verfasser im zweiten Kapitel "Schlitter im Bistro". Hier zeigt er seine "Volksnähe" durch erhellende Beobachtungsposition und Alltagsdeutung. Aber zumeist bleibt der Erzählton ohne Biss, eine Spur zu anekdotisch: "An einem Tresen stützen sich Dauergäste. Bunt gewürfelt, jung. Ein paar Mädchen dazwischen. Der Wirt erzählt den neuesten Witz. Allgemeines Gelächter, gestört durch einen Angeber, der seinen besseren Witz losschießen will." Hoffmann scheut nicht vor Allgemeinplätzen zurück und wirkt stellenweise auch zu didaktisch: "Mechanik wird ersetzen das lebendige menschliche Wort." Das letzte Kapitel "Schlitter im Plastik" greift als Langgedicht wieder die bitterböse Tonlage des ersten auf, gewinnt  wieder an Aussagekraft. "Die Abflüsse für seelischen Abfall" oder der "Phantasieballast der Kunstglucke" bekräftigen die Skepsis des Moralisten bis zu dem resignierenden Resultat: "Und so ging das Leben/eben weiter/unter den alten Gegebenheiten." Guy Wagner hat ein liebenswürdiges, werkanalytisches Vorwort beigesteuert, eine Hommage als Freundschaftsgeste. Er würdigt in seiner zitatreichen Darstellung die vielseitigen Verdienste des Verfassers. Dennoch stellt sich auch hier die Grundsatzfrage, ob diese Art Literatur überhaupt eines Vorwortes bedarf, ob sie eine solche Unterstützung benötigt. Schlitter jedenfalls ist wortmächtig genug, allein für sich einzustehen. Sinn machen die Fotos der Sophie Jung, Kleinformate im Zwielicht aufgenommener Motive, die düster verschwimmen und weißgestrichelte, im Grauen zerfließende Skizzen zeigen. Sie illustrieren die geschilderte Morbidität und die Verflüchtigung der Realität.

Léopold Hoffmann: Schlitter; Texte, mit Fotos von Sophie Jung; Graphiti-Serie (D-15) der Éditions Phi 2006 ; 82 Seiten ; 15 Euro

 

Fritz Werf
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