Die Historikerin Sonja Kmec über die I-Lux-Ausstellung im Festungsmuseum

„Gesteinigt werden wir sowieso“

d'Lëtzebuerger Land vom 23.03.2012

d’Lëtzebuerger Land: Sechs Jahre nach der Idee zum Lieux-de-mémoire-Projekt und mehrere Festungsmuseums-Direktionen später ist es soweit: Die Ausstellung Identitäten in Luxemburg geht an den Start. Was erwartet die Besucher?

Sonja Kmec: Die Idee der Lieux de mémoire1 war die erste Idee und ist inzwischen komplett fallen gelassen worden. Die Arbeitsgruppe, die das Skript für diese Ausstellung vorbereitet hat, stützt sich im Wesentlichen auf das Buch Doing Identity.2 Im Mittelpunkt steht der Gedanke, dass Identität ein doppelter Prozess ist von Aneignung und Zuschreibung. Wir wollen Identität als einen Vorgang analysieren, aber nicht selber konstruieren.

Den Autoren von Doing Identity, mehr noch von Lieux de mémoire, wurde vorgeworfen, mit dem Fokus auf nationale Identität die schwierige Formel der Nation wiederzubeleben.

Nation ist etwas Paradoxes. Das Wort kommt von geboren werden. Als wäre Nation angeboren. Gleichzeitig gibt es das Wort Naturalisierung. Ein Widerspruch in sich: Wie kann etwas, was angeblich angeboren ist, noch natürlich gemacht werden? Wir werden das thematisieren und zeigen, dass Nation auch ein Phänomen einer bestimmten Zeit war und dass man heute gerade so gut die Frage der Denationalisierung, der Globalisierung oder vielleicht sogar der Renationalisierung stellen könnte. Wir fragen den Besucher, wie er zu diesem Konzepten steht. Ohne Lösungen vorzugeben.

Tatsächlich nehmen Sie Stellung: Indem Sie vorgeben, was Sie als relevant für die Auseinandersetzung mit Identitäten betrachten.

Als Wissenschaftler ist man schnell dabei zu kategorisieren. Wenn man eine Gesellschaft analysieren will, kommt man daran nicht vorbei. Wir haben versucht, uns bewusst zu sein, dass es nur Kategorien sind und somit artifiziell. Wir haben uns zugleich an den klassischen orientiert, die derzeit in der Wissenschaft gängig sind, um Identität zu beschreiben.

Zum Beispiel das Geschlecht.

Ja. Aber ich will sie nicht alle verraten. Sonst ist ja die Spannung fort. (lacht)

Nun ist der Ort, an dem Sie ausstellen, nicht unvorbelastet. Lange ging ein Streit darum, wie die Forteresse am besten bewahren. Sie haben sie selbst einmal als „veritablen Erinnerungsort“ bezeichnet.

Das ist ein spannendes Thema, über das es sich lohnen würde, eine eigene Ausstellung zu machen. Zufällig sind wir, mein Kollege Pit Péporté und ich, dabei, einen Folgeband zu Lieux de mémoire herauszugeben. Es wird um Erinnerungsorte gehen, die transregional, regional, und lokal sind. Darin befindet sich ein Artikel von Wilhelm Amann, in dem dieser sich mit der Geschichte der Festung befasst. Sie ist aber nicht Gegenstand der Ausstellung.

Das Buch Doing Identity ist Ergebnis einer wissenschaftlichen Arbeit und klingt für Nicht-Wissenschaftler zuweilen abstrakt. Wie schaffen Sie die Übersetzung in den musealen Kontext für breiteres Publikum?

Identität bedeutet, sich individuell mit Gruppenzugehörigkeiten auseinanderzusetzen, sich zu positionieren. Die Szenografen, mit denen wir zusammenarbeiten, hatten folgende Idee: Wenn wir vom Individuum sprechen, sprechen wir vom Besucher. Deshalb haben wir einen interaktiven Ansatz gewählt.

Wird es eine Multimedia-Show?

Multimedia ist teuer und auch nicht mehr so innovativ. Ipads gibt es zu Tausenden. Wir haben die Identitäten verschiedenen Sphären zugeordnet, zu denen der Besucher befragt wird. Das wird ganz haptisch. Das ist der eine Bereich. Der andere ist die Zuschreibung. Sie ist politisch und oft mit Mediendarstellung zu tun. Wie Gruppen dargestellt werden, wie sie konstruiert werden und vor allem wer dazu gehört und wer ausgeschlossen wird. Uns war es zudem wichtig, die Alterität zu zeigen, dass Identität auch Exklusion/Ausgrenzung bedeuten kann.

Derzeit wird laut über das Image Luxemburgs im Ausland nachgedacht, um das Land als Standort für Investoren anzupreisen. Dabei wird auf den klischeehaften Gegensatz von Tradition und Moderne zurückgegriffen. Ist das ebenfalls Ihr Thema?

Bei der Corporate Identity handelt es sich um ein recht statisches Bild. Das interessiert uns hier nicht.

Braucht es im Kontext von Identität nicht aber gerade Klischees, nicht zuletzt zur Wiedererkennung?

Ja, sicher. Klischees fließen in Zuschreibungen ein und sind wichtig, wenn man diesen Prozess beschreiben will. Aber es geht um viel mehr als Klischees, sondern darum, wie sich Gruppenidentitäten und individuelle Identitäten bilden.

Wenn es um individuelle Identität oder sogar multiple Identitäten geht, fürchten Sie nicht, den Besucher zu überfordern? Und vielleicht zu subjektive Antworten zu finden?

Der Ansatz ist subjektiv. Jeder hat seine Vergangenheit, seine Sicht auf die Welt, seine politische Einstellung. Das Ziel der Ausstellung ist nicht, diese zu verändern. Sondern dazu beizutragen, dass sich der Besucher dessen bewusst wird. Und sich die Frage stellt, wie sehe ich mich im Verhältnis zu anderen?

Wie schwierig war es, als Wissenschaftlerin dieses komplexe Unterfangen greifbar zu machen?

Das war sicher einer der größten Herausforderungen. Weil die Ausstellung eher Fragen stellt als Antworten vorzugeben. Sie dennoch so interessant zu machen, dass der Besucher nicht perplex ist oder orientierungslos. Es werden viele kleine Botschaften darin versteckt sein, aber nicht die eine große: wer „der“ Luxemburger ist. Was die Umsetzung betrifft: Unsere Szenografen waren uns eine Riesenhilfe. Im Augenblick liegt die größere Aufgabe für uns eher darin, verständliche Texte zu schreiben. Die Agentur überarbeitet unsere Textvorschläge, vereinfacht sie und versucht, sie von wissenschaftlichem Jargon zu befreien. Wir merken aber, dass mit der extremen Vereinfachung manchmal wichtige Nuancen verloren gehen und leicht ein falscher Sinn entstehen kann.

Wenn Sie Identitäten diskutieren, werden Sie sich auf Widerspruch gefasst machen müssen. Und womöglich auf den Vorwurf, politisch zu sein.

Das ist natürlich politisch. Wir probieren zwar den wissenschaftlichen Habitus beizubehalten und nicht Position zu beziehen. Aber manchmal beziehen wir durch unsere Fragestellung eben doch Stellung. Was dabei herauskommt und vor allem wie es bei den Besuchern ankommt, weiß ich nicht. Wir werden so oder so gesteinigt (lacht). Andere werden vielleicht etwas damit anfangen können. Dass wir Reaktionen bekommen werden, damit rechnen wir.

Was sagt der Auftraggeber dazu?

Wir haben vom Kulturministerium alle Freiheit bekommen. Das Ministerium hat uns nicht in unsere Arbeit hineingeredet. Dafür tragen wir die Verantwortung für den Inhalt.

Wird es auch Objekte zu sehen geben?

Am Anfang wollten wir ganz ohne Objekte arbeiten. Ich denke nämlich nicht, dass eine Ausstellung unbedingt Objekte braucht, das haben erfolgreiche Ausstellungen im Städtischen Geschichtsmuseum gezeigt. Schlussendlich haben wir uns aber doch entschieden, einige Dinge in die Ausstellung aufzunehmen und mit ihnen zu spielen. Aber auch da will ich nicht mehr verraten. Das obere Stockwerk wird jedenfalls einiges bieten. Ich rate den Besuchern, Zeit mitzubringen.

Wie viel Zeit?

Wir schätzen die Dauer, die es für einen Rundgang durch die gesamte Ausstellung braucht, auf etwa zwei Stunden.

Für wen ist die Ausstellung geeignet?

Wir haben bewusst eine Agentur in Köln ausgewählt, die einen sehr anschaulichen und spielerischen Ansatz gewählt hat. Zudem ist ein Pädagoge der Uni Luxemburg damit befasst, ein Konzept für die Schulen zu erarbeiten. Die Ausstellung ist auch für Kinder und Jugendliche interessant, sie wird recht bunt sein. Dennoch richtet sie sich selbstverständlich an alle, die sich interessieren. Sie muss sowohl Luxemburger als auch Touristen ansprechen, darf also einerseits nicht langweilen und andererseits nicht zu viel voraussetzen. Das ist ein ziemlicher Spagat.

Was tun Sie, um auch jene einzubeziehen, die keinen Luxemburger Pass haben oder eher nicht in Museen gehen?

Die Haupttexte werden in fünf Sprachen sein, die maßgeblich in Luxemburg gesprochen werden, also Portugiesisch, Luxemburgisch, Deutsch. Französisch und Englisch. So weit wie möglich orientieren wir uns an Beispielen, die die Vielfalt Luxemburgs zeigen. Wie man jene ins Museum lockt, die sich eher nicht für Ausstellungen interessieren, ist eine allgemeine Herausforderung und nicht auf unsere Ausstellung beschränkt. D’Gëlle Fra in Bascharage hat sicher viele Besucher angezogen, aber dass darunter viele Migranten waren, bezweifele ich. Wir haben das Glück, dass eine Wissenschaftlerin eine Studie zu den Luxemburger Museen anfertigt. Sie wird auch untersuchen, was die Besucher über unsere Ausstellung denken.

1 Kmec, Sonja et al (Hrg.), Lieux de mémoire au Luxembourg. Usages du passé et construction nationale, Saint-Paul 2007
Ines Kurschat
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