Nationalpolitische Belange im Gemeindewahlkampf

Entpolitisierung

d'Lëtzebuerger Land vom 07.10.1999

Die Gemeindewahlen vom Sonntag werden durch lokale Faktoren geprägt, auch wenn der Ausgang in der Hauptstadt und in Esch/Alzette durchaus eine politische Relevanz auf nationaler Ebene haben könnte. Der untaugliche Versuch, nationalpolitische Belange (Gewerbesteuer und Spitalplan) in den Wahlkampf einfließen zu lassen, illustriert einmal mehr, dass die LSAP sich noch immer nicht von ihrem historischen Rückschlag bei den Legislativwahlen erholt hat. Zu einer Korrektur der Wahlresultate vom 13. Juni dürfte es aber am Sonntag wohl kaum kommen. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Gemeindewahlen kaum politisch geprägt sind. Die Parteien treten zwar mit ihrer gewohnten Symbolik auf, aber außer dem Farbunterschied hat man Schwierigkeiten, zwischen ihren Positionen zu differenzieren, die sich alle zum Verwechseln ähneln. Die Verbesserung der Lebensqualität ist in aller Munde, ohne dass man sich wirklich ernsthaft bemüht hat, dieses Bekenntnis lokal zu deklinieren. Der Bürger neigt ohnehin dazu, in seiner Gemeinde einen Dienstleistungsanbieter zu sehen. Über die Qualität und den Preis der Dienstleistungen kann und soll man zwar diskutieren, aber mehr ist nicht drin, da die Versorgung in den meisten Fällen eher zufriedenstellend ist. Lediglich die kleineren Parteien Déi Lénk und Déi Gréng haben versucht, den kommunalpolitischen Horizont etwas zu erweitern, aber ohne durchschlagenden Erfolg. Das BTB-Projekt hätte das vernetzte Denken fördern können, aber selbst seine Befürworter in der LSAP sind inzwischen wankelmütig geworden und konnten nicht verhindern, dass die Diskussion von der reduzierten Fragestellung beherrscht wird, ob die Stadtbahn durch das Zentrum der Hauptstadt fahren soll oder nicht. Die Idee eines regionalen Verkehrsverbunds zwischen Mersch, Luxemburg und dem Süden des Landes bieb auf der Strecke, und damit die Hauptrechtfertigung des ambitiösen Projekts. Die Kleinstädterei und Kirchturmspolitik treiben fröhliche Urständ, auch wenn die gemeindeüberschreitende Zusammenarbeit in den zahlreichen interkommunalen Syndikaten besser klappt als man sich eingestehen will. Am Sonntag wird auch und vor allem über die Manager-Qualitäten und den Sachverstand der Kandidaten befunden. Ihre Parteizugehörigkeit tritt notgedrungenerweise in den Hintergrund, so als ob sie eigentlich nichts zur Sache beiträgt. Die fortschreitende Entpolitisierung des kommunalen Geschehens hängt natürlich mit dem Überdruss am sterilen Hader der Parteien zusammen, der bereits bei den Legislativwahlen zu beobachten war. Sie geht Hand in Hand mit einer verstärkten Personalisierung, besonders ausgeprägt dort, wo starke Persönlichkeiten aufeinanderstoßen wie in der Hauptstadt. Nachdem es eher unwahrscheinlich ist, dass es dort zu einer wesentlichen Veränderung des Kräfteverhältnisses kommt, angesichts der ausgeprägten Vormachtstellung der DP, dürfte alles beim alten bleiben. D.h. die seit dreissig Jahren amtierende Koalition zwischen DP und CSV hat beste Aussichten, bestätigt zu werden. Das Interesse konzentriert sich folglich auf das Duell „à fleuret moucheté" zwischen Paul Helminger und Jacques Santer um das Bürgermeisteramt, das eher an Schattenboxen erinnert. Der unfreiwillige Herausforderer Santer tritt mit einem doppelten Handikap an. Zum einen kann er schlecht die gemeinsame Bilanz angreifen, zum anderen wirkt er nicht gerade überzeugend gegenüber dem ausgewiesenen und ausgebufften Manager Helminger, der seine Talente seit zehn Jahren vornehmlich auf der kommunalen Ebene unter Beweis gestellt hat. Ausserdem missfällt vielen Bürgern die Unersättlichkeit des gewesenen Kommissionspräsidenten, der nicht unbedingt mehr mit einem Symphatie-Votum rechnen kann, das ihm noch im Juni zu einem Achtungserfolg bei den Europa-Wahlen verhalf. In Esch/Alzette stoßen zwar keine ähnlich starken Persönlichkeiten aufeinander, sondern der unbändige Machtinstinkt der lokalen CSV möchte die innerlich zerstrittene LSAP ablösen. Bürgermeister François Schaack (LSAP) wirkt amtsmüde, aber er traut sich noch zu, einen Bürgermeister Ady Jung (CSV) zu verhindern. Die LSAP befindet sich eindeutig in der Defensive, wie übrigens auch in anderen Städten des „roten" Südens. Schwarze Bürgermeister in den zwei größten Städten des Landes entsprechen zwar einem lange gehegten Wunsch der CSV, die aber auf lokaler Ebene an Profillosigkeit und an Entschlossenheit leidet. Sollte es dennnoch zu Wechseln an der Spitze beider Rathäuser kommen, dann hätte der Wähler mit dem letzten Rest des an politischer Symbolik nicht gerade reichen Luxemburgs (hier die liberale Hauptstadt, dort das rote Esch) aufgeräumt.

Mario Hirsch
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