Schieflage der größten Partei nach den Kommunalwahlen

Entzauberung

d'Lëtzebuerger Land vom 14.10.1999

Nicht nur die peinliche Schlappe, die der CSV-Spitzenkandidat in der Hauptstadt erlebte, verdeutlicht die Schieflage, in der die größte Partei sich nach den Kommunalwahlen befindet. Sie musste Rückschläge fast überall hinnehmen, und die wenigen Lichtblicke (Petingen, Mamer, Niederkerschen, Niederanven, Sassenheim und Kayl) vermögen nicht darüber hinwegzutäuschen, dass die CSV sich in einer sehr schlechten Verfassung befindet. In allen anderen Proporzgemeinden erlitt sie herbe Einbußen, die besonders ausgeprägt sind in Wiltz, Düdelingen, Grevenmacher und Bartringen. Esch/Alzette, das von der CSV als großer Triumph dargestellt wird, weil sie erstmals der LSAP den Rang ablief, ist nur bedingt tauglich als Erfolgserlebnis. Ady Jung hat allenfalls eine „victoire par défaut" über Fränz Schaack errungen. In Wirklichkeit verlor die CSV mehr als drei Prozent. Bei den Parlamentswahlen konnte das blendende persönliche Resultat von Jean-Claude Juncker noch den steten Einflussverlust übertünchen. Bei den Kommunalwahlen hingegen, wo der Juncker-Bonus nicht spielte, wurde das ganze Ausmaß der Misere offensichtlich. Die CSV hat derart eingebüßt, dass sie mittlerweile kaum mehr politisches Gewicht auf die Waage bringt als ihre beiden Widersacher DP und LSAP. In kommunalen Mandaten ausgedrückt, haben die Sozialisten sie längst abgehängt (142 gegenüber 127) und die DP mit ihren 106 Mandaten rückt gefährlich nahe an sie heran. Die CSV scheint im Begriff zu stehen, ihre Aura als „parti incontournable" einzubüßen. Diejenigen, die nach dem 10. Oktober Wetten schließen, dass sie spätestens im Jahr 2004 mit der Oppositionsrolle Vorlieb nehmen muss, könnten Recht behalten, vorausgesetzt, ihre Konkurrenten wissen die Gunst der Stunde zu nutzen und sie vermeiden Fehler aus eigener Unbedarftheit und Überheblichkeit. In dieses Bild passt freilich nicht die Entscheidung der hauptstädtischen DP, es noch einmal mit der CSV zu versuchen. Der überragende Wahlsieger vom vergangenen Sonntag, Paul Helminger, kann zwar einige triftige Gründe anführen, warum er der CSV statt der LSAP den Vorzug geben will. Absichtlich oder auch nicht, übersieht er, dass er es mit einem angeschlagenen Partner zu tun hat, der gegenüber den letzten Gemeindewahlen 2,5 Prozent einbüßte und dessen Spitzenkandidat Jacques Santer mit seinem enttäuschenden persönlichen Resultat nicht nur von Jeannot Krecké , sondern auch von neun der elf DP-Gemeinderäte überflügelt wurde. Jacques Santer hatte es bestimmt nicht verdient, derart vorgeführt und gedemütigt zu werden, nach all dem Missgeschick, das ihm in letzter Zeit widerfahren ist. Selbst das Luxemburger Wort musste, einräumen, dass das magische Pathos der CSV als staatstragende Partei auf kommunaler Ebene kaum mehr Wirkung zeigt. Sie wirkt derart verbraucht, dass man sich die Frage stellen muss, ob die alles dominierende Übervaterfigur von Jean-Claude Juncker nicht längst zur Hypothek geworden ist, da sie von der tatsächlichen Befindlichkeit auf lokaler Ebene ablenkt. Der einen Leid ist der anderen Glück. Die LSAP, die es tatsächlich fertig brachte, einen Teil des Terrainverlustes vom 13. Juni wieder wettzumachen, kann sich als einer der Sieger vom vergangenen Sonntag darstellen, hinter der unwiderstehlichen DP. Aber ihre kommunale Verwurzelung war schon immer ihre Stärke, und irgendwie scheint der Gang in die Opposition sich wie ein Befreiungsschlag auf die Basis auszuwirken. Die Parteileitung übertreibt bestimmt, wenn sie in das Verdikt vom Sonntag den Willen der Wähler hineininterpretiert, auf kommunaler Ebene „ein Gegengewicht zur rechtsliberalen Regierung schaffen zu wollen". Richtig ist, dass starke Ausgangspositionen auf kommunaler Ebene die beste Voraussetzung für die von den Sozialisten angestrebte „reconquista" sind. Immerhin verfügen sie in sieben Proporzgemeinden über die absolute Mehrheit und in weiteren sechs sind sie die stärkste Partei. Demokratie lebt vom Wechsel und sie ist verkrusteten Verhältnissen abhold. Die Normalisierung der CSV ist in dieser Hinsicht ein längst überfälliger Vorgang, der, obwohl mit viel Häme und Schadenfreude kommentiert, durchaus belebende Auswirkungen auf das demokratische Kräftespiel haben könnte.

Mario Hirsch
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