Karl Marx schon 130 Jahre in Trier tot

Koloss und Gartenzwerg

d'Lëtzebuerger Land du 17.05.2013

„Es lohnt immer, und seit der Finanzkrise gerade wieder, sich mit Karl Marx aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln auseinander zu setzen“, schreibt der Trierer Oberbürgermeister Klaus Jensen in einer Broschüre zu Ottmar Hörls Karl-Marx-Installation in Trier. Die Installation besteht aus anscheinend 500 Karl-Marx-Gartenzwergen aus rotem Vinyl, die rund um die Porta Nigra stehen und zwischen denen Pfadfinder, chinesische Touristinnen, Segway-Mieter und Rollstuhlfahrer für Erinnerungsfotos posieren. Weshalb soll die weltweite Disneyfizierung der Einkaufsstraßen auch ausgerechnet vor jenem zurückschrecken, der den Fetischcharakter der Waren entdeckte?

Oberbürgermeister Jensens Trier stand wieder einmal vor dem Dilemma, dass es als Geburtsstadt des einzigen weltweit bekannten Philosophen der Großregion sein Gaststättengewerbe und seinen Einzelhandel gerne am Marx-Tourismus verdienen lässt, gleichzeitig aber nichts mit seinem berühmten Sohn zu tun haben will, der allem den Krieg erklärte, was dem bieder katholischen Provinznest hoch und heilig ist. Diesmal löste Trier das Dilemma mit roten Gartenzwergen und der aktuellen Ausstellung zu Marx’ 130. Todestag: Um die Besucher nicht mit Marx’ abwegiger Gedankenwelt zu belästigen, beschränkt sich die Ausstellung auf die Ikone Karl Marx, auf die Fotos, Zeichnungen, Gemälde, Skulpturen, Medaillen und sonstigen Darstellungen, die andere sich von Marx machten. Dabei gibt es in ganz Trier kein einziges Denkmal zu Ehren des berühmtesten Trierers, während Adolf Hitler noch vor zwei­einhalb Jahren Ehrenbürger der Stadt war.

Die kleine Ausstellung im Simeon-Stift an der Porta Nigra beginnt mit seltenen Dokumenten, wenn auch oft in Reproduktionen, aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, die veranschaulichen, wie einige der etwa 15 bekannten Fotos des mit seiner Löwenmähne unverwechselbaren Autors und Agitators bereits zu seinen Lebzeiten benutzt wurden, um für die revolutionäre Arbeiterbewegung zu werben, und später als Fotos oder Zeichnungen in Parteizeitungen und proletarischen Almanachen verbreitet wurden. Leider macht sich die Ausstellung nicht die Mühe, die Rezeptionsgeschichte dieser „Ikonen“ zu erforschen, aber die kleinsten und abgenutztesten dieser Darstellungen konnten in Arbeiterhaus­halten Trost spenden, zu einem auserwählten Volk zu gehören, das erstmals die Handarbeit für edeler als die Kopfarbeit hielt und für eine Welt ohne Elend kämpfte.

Nach dem Sieg der Oktoberrevolution wuchs das Format der Bilder. In Russland begannen Historien­maler, Schlüsselszenen der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts mit Marx im Mittelpunkt zu malen, um die neue Staatsidee in der Vergangenheit zu verwurzeln. Auch wenn der Stil meist akademisch war, ist es doch interessant zu vergleichen, wie die verschiedenen Maler das Idol darstellten, bald als feurigen Redner, wie Hans Mocznay, bald als gutmütigen Großvater, wie Nikolai Zukov, bald als alchimistischen Erfinder der Weltformel, wie Leonid Kozlov, bald als zigarrenrauchenden Dandy, wie Anatolij Levitin. Für den Besucher ist es überraschend, die meist nur aus unzähligen Reproduk­tionen in Büchern und Zeitungen bekannten Szenen zum ersten Mal als großformatige Originalgemälde zu sehen.

Besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es auch Künstler der Avantgarde, die sich auf Marx beriefen und ihm Werke widmeten. Sie sind jedoch kaum in der Ausstellung vertreten, was wohl auch mit dem Marktwert ihrer Werke zu tun hat. Dafür gibt es einen Querschnitt der internatio­nalen Produktion von Marx-Tellern, -Teppichen, -Vasen und –Medaillen, ohne dass aber auf ihre Verwendung eingegangen wird, etwa als Potlatch bei Besuchen von ausländischen Partei-, Gewerkschafts- oder Jugenddelegationen.

Beispiele einiger Firmen, die Marx nach dem Kalten Krieg ironisch zu Werbezwecken nutzten, und Marx-Marken eines Trierer Briefmarkensammlers sollen die Ausstellung abrunden. Bedauerlich ist das Fehlen der einst in einem Dutzend Länder herausgegebenen Geldscheine mit Marx-Porträts. Denn nichts fasst knapper das historische Abenteuer, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, zusammen, als den Mann, der den Schleier des Geldes zu lüften versuchte, auf dem Geld abzubilden.

Die hauptsächlich durch Fotos dokumentierten Kolossalstatuen in der Sowjetunion und befreundeten Staaten ließen Marx dann als überlebensgroßen Pharao erscheinen, dessen Reich niemals mehr von der Erdoberfläche verschwinden sollte. Doch inzwischen ist es untergegangen, und Marx steht als Gartenzwerg vor Triers bekanntester Ruine aus dem ebenfalls untergegangenen Römerreich.

Der Untergang des Sowjetreichs könnte selbstverständlich den ungehinderten Blick auf Marx’ Werk freigeben, das die Bewegung der Gesellschaft beschrieb, wie fast zeitgleich Darwins dasjenige der Natur, Freuds dasjenige des Individuums und Einsteins dasjenige der Materie. Doch so weit will man in Trier, „seit der Finanzkrise gerade wieder“, nicht gehen, wo die SPD von Oberbürgermeister Jensen nach dem Sieg im Kalten Krieg das Karl-Marx-Haus rasch auf Sparflamme setzte.

Ikone Karl Marx. Kultbilder und Bilderkult. Stadtmuseum Simeon-Stift, Trier, dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr, bis zum 18. Oktober 2013. Katalog 325 S., 34,95 Euro. Ottmar Hörls Installation steht noch bis zum 26. Mai.
Romain Hilgert
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