Kino

Im Sumpf der Korruption

d'Lëtzebuerger Land vom 26.04.2019

Mit El reino legt Rodrigo Sorogoyen nach Que dios nos perdone (2016) seine neue Regiearbeit vor und präsentiert einen spanischen Thriller über Macht und Korruption in der Politik, der den Zuschauer zu packen weiß.

Die Geschichte dreht sich um den fiktiven Politiker Manuel Lopez-Vidal (Antonio de la Torre). Als eine belastende Tonaufnahme an die Öffentlichkeit gelangt, die seine Partei als korrupt entlarvt, gerät diese zunehmend in Bedrängnis. Von Vidal wird verlangt, als Sündenbock herzuhalten und zurückzutreten. Vidal will das aber nicht hinnehmen und entscheidet sich, seine Partei mit ihm untergehen zu lassen ...

Eins ist klar: Dieser Film möchte weniger eine akribisch-kritische Aufdeckungsarbeit politischer Korruption leisten, sondern vielmehr das Einzelschicksal eines stürzenden Politikers durch eindrückliche Formsprache sinnlich erfahrbar machen. Gleich das erste Bild des Films zitiert eine gängige Pathosformel – es zeigt Vidal am Strand auf das Meer hinausblickend und erinnert an die Bildsprache zeitgenössischer amerikanischer Filmgrößen wie Michael Mann. Es ist eine ruhige, kontemplative Einstellung, die treibend pulsierende Elektromusik steht dazu allerdings im krassen Widerspruch und die anschließende Kamerafahrt sagt uns dann unmissverständlich: Es geht vorwärts. Mehrere aufwändige Plansequenzen aus der Rückenansicht und eine meist schultergetragene Kamera, die ihren Protagonisten nicht verlässt, führen uns gleichsam in eine Spirale der Verleugnungen und Lügen. Die Kamera ist in beinahe allen Szenen sein ständiger Begleiter; der daraus resultierende Eindruck ist kalt, hebt aber die Distanz zwischen Zuschauer und Figur allmählich auf und stürzt das Publikum mit Vidal in diese sogartige Flucht nach vorne.

Neben diese beherrschte Form rückt das ausdrucksstarke Schauspiel von Antonio de la Torre, dessen Stärke wohl darin liegt, einen moralisch verwerflichen Menschen dem Publikum als Sympathieträger näher zu bringen. Oft verharrt die Kamera in Großaufnahme auf seinem Gesicht, in dessen markanten Zügen Härte, aber auch Verletzbarkeit zu spüren ist, die den Zuschauer Mitleid für den Politiker fühlen lässt. Durch diese Gewichtung des Individuums bleibt der eigentliche Korruptionsfall hingegen recht unklar; vergebens wartet man auf erklärende Dialoge, eine ausführliche Prozessszene, die den eigentlichen Skandal und damit die gesellschaftskritischen Ansatzpunkte des Films in den Vordergrund rücken könnten.

Diese Intransparenz auf der Handlungsebene scheint ein notwendiger Umstand gewesen zu sein, um diesen aufregenden politischen Thriller zu konstruieren: Der Regisseur Rodrigo Sorogoyen ließ sich direkt von den Skandalen inspirieren, die die spanische Öffentlichkeit in den letzten zehn Jahren heimgesucht hatten und die ein System der fast institutionalisierten Korruption offenbarten. Der Film jedoch erwähnt bewusst keine Namen oder Parteien, um das umfassende Ausmaß der Korruption scheinbar besser hervorzuheben. Gegen Ende gleitet der Film sogar über zu einem Paranoia-Thriller, der vor allem durch seine äußerliche Eindringlichkeit sinnlich ergreift. Die teils undurchsichtige Story allerdings wird nicht zugänglicher, sondern immer weniger plausibel, je mehr Vidal auf eigene Faust agiert. Das ist gleichwohl spannende Unterhaltung, freilich reicht der Film nicht an die düstere Qualität von Sorogoyens Vorgängerfilm Que dios nos perdone heran, der so klug war, die Vorzüge des Noir-Thrillers so auszuspielen, dass er der Gesellschaft einen Spiegel vorhält. In El reino wirkt eine erklärende Systemkritik vor dem dramatischen Einzelschicksal derart zurückgenommen, dass sie niemals wirklich bissig und aussagekräftig werden kann.

Mit sieben Goyas – dem spanischen Äquivalent des Oscars – ausgezeichnet, dürfte El reino jedoch der wohl international erfolgreichste spanische Film des Jahres werden.

Footnote

Marc Trappendreher
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