Ex-Finanzminister Luc Frieden (CSV): Rück- und Ausblick

Soziale und wirtschaftliche Krisenoperation

d'Lëtzebuerger Land vom 20.06.2014

d’Lëtzebuerger Land: Herr Frieden, viele Leute am Finanzplatz machten sich Sorgen, was passieren würde, falls Sie nicht mehr Finanzminister sein sollten. Wie haben Sie selbst die Umstellung vom Minister- zum Abgeordnetenamt erlebt?

Luc Frieden: Es ist eine substanzielle Veränderung im Leben, da man als Minister ständig kleine und große Entscheidungen trifft. Als Oppositionsabgeordneter ist man vor allem Beobachter. Die Lebensqualität ist jetzt besser. Aber die Arbeit ist weniger herausfordernd als die, die ich vorher gemacht habe. Ich habe meine Aufgabe als Finanzminister gerne erfüllt, und ich hätte auch noch gerne weiter gemacht.

In ihrer Amtszeit gab es größere Turbulenzen am Finanzplatz. Die Bankkrise vom Herbst 2008 hat auch in Luxemburg zu einer Polarisierung in Politik und Gesellschaft geführt. Tausende gingen unter dem Motto „wir bezahlen nicht für eure Krise“ auf die Straße, weil sie es ungerecht fanden, dass man die Banken gerettet hat, während der Druck auf die unteren sozialen Schichten anstieg. Wie sehen Sie diese Zeit?

Zu den Dingen, die mich besonders stolz machen, wenn ich auf meine Zeit als Finanzminister zurückschaue, gehören die Rettung der beiden systemischen Banken (Fortis und Dexia, Anmerkung der Redak­tion) einerseits und die Expansion, die vor und während der Krise am Finanzplatz stattgefunden hat. Als Beispiel für diesen Ausbau würde ich die drei größten chinesischen Banken nennen, deren Europageschäft wir in Luxemburg ansiedeln konnten. Das zeigt, dass wir trotz der Krise eine Politik gemacht haben, die das Wachstum der Branche gefördert hat – und damit die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt.

Sie sehen also keinen Bruch?

Ich habe das, was Sie beschreiben, so nicht empfunden. Wenn wir die Banken gerettet haben, haben wir das doch gemacht, um die Ersparnisse der gesamten Luxemburger Bevölkerung und die Konten der Unternehmen zu retten, die sie bei diesen zwei Banken hatten. Deswegen war dies wahrscheinlich eine der größten sozialen und wirtschaftlichen Krisenoperationen, die seit dem Zweiten Weltkrieg durchgeführt wurde. Fakt ist natürlich auch, dass die Bürger in Europa seit der Krise anders auf die Finanzwelt schauen, dass sich die Banken selbst in Frage gestellt haben und das langfristige, ethische Vorgehen wieder in den Vordergrund gerückt ist.

Inwiefern? Wenn man nur an die rezenten Libor-Manipulationsskandale denkt, hat man nicht unbedingt den Eindruck.

Vor der Krise haben die Kunden ihr Geld zu der Bank getragen, die die höchsten Zinsen geboten hat, ohne viel auf die Sicherheit zu achten. Das hat man bei einigen isländischen Banken gesehen. Nach der Krise haben die Leute angefangen, ihr Geld auf mehrere Banken zu verteilen, haben angefangen, sich zu fragen, ob die Produkte, in die sie investieren, auch langfristig risikoreich oder -arm sind. Ich habe das im Gespräch mit vielen Bürgern festgestellt. Die Banken haben ihre Beratung ausgebaut und erklären die Risiken viel besser. In diesem Sinn war die Krise wohl eine gewisse Zäsur. Gleichzeitig ist es aber interessant festzustellen, dass die Finanzbranche während der fünfzehn Jahre, in denen ich Finanz- und Schatzamtsminister war, in denen die Krise eine wesentliche Rolle gespielt hat, weiter gewachsen ist. Und dies sowohl, was die Natur der Aktivitäten, als auch, was den Beitrag der Finanzbranche zum Bruttoinlandsprodukt betrifft. Als ich anfing, entsprach die Finanzbranche 30 Prozent des BIP, als ich aufgehört habe, waren es 36 Prozent. Luxemburg wäre ohne Finanzplatz ein armes Land.

Wenn sie an die Bankenrettungen selbst zurückdenken, diese nächtlichen Noteingriffe, würden Sie wieder genauso handeln?

Ich glaube in den großen Linien würde ich wieder genauso handeln. Aber jede nachträgliche Bewertung trägt dem Umstand nur unzureichend Rechnung, dass das schnelle, entschiedene Handeln ein wesentlicher Erfolgsfaktor war. Es war nicht möglich, die Bücher der Banken vor dem Einstieg im Detail zu prüfen; es war wichtiger, diese Banken zu stabilisieren, um den Kunden sagen zu können: „Ihr Geld ist am Montag noch da.“ Das ist uns gelungen. Das würde ich wieder so machen. Ganz einfach war das nicht, weil es auch einige, Stimmen gab, die vor den Risiken und Unbekannten, die so eine Operation mit sich bringt, gewarnt haben. Es hätte auch schiefgehen können. Aber es ist gut gegangen. Dazu hat auch die gute Zusammenarbeit mit Belgien, den Niederlanden und Frankreich beigetragen.

Bei Dexia musste ein paar Mal nachgebessert werden, bis der Konzern zerschlagen und die Mehrheit der Bil an die katarischen Investoren von Precision Capital verkauft wurde – eine Transaktion, die weitaus umstrittener war, als die BGL-BNP-Paribas-Lösung, unter anderem aufgrund der Herkunft der Investoren und des Transaktionspreises, den viele für zu niedrig hielten.

Ich stelle fest, dass wir unser Ziel erreicht haben, nämlich BGL und Bil als zwei große Schalterbanken in Luxemburg zu erhalten und zu stabilisieren. Das ist ein Ergebnis, das mich im Nachhinein zufrieden stellt. Die Aktionäre von Bil und BGL sind beide solide Aktionäre. und ich glaube nicht, dass sie als solche kritisiert wurden. An einem internationalen Finanzstandort ist es normal, dass auch nicht-europäische Aktionäre investieren und es ist gut, dass sie investiert haben.

Aber es gab diese Kritik durchaus.

Es gibt jedes Mal Kritik, wenn jemand von außen kommt. Ich bin froh, dass wir in einer dramatischen Situation Investoren aus Katar finden konnten die die Bil aus der Dexia Gruppe herauskauften. Es ging um das Überleben der Bank.. Eine Nationalisierung war, auch aus Wettbewerbsgründen, keine Option. Es war sehr schwierig, Investoren zu finden und Precision Capital hat sich langfristig engagiert. Den Verkaufspreis hat nicht die Luxemburger Regierung bestimmt. Wir haben ja nicht verkauft, sondern Dexia. Das war damals der Marktpreis. Ich hoffe, dass unser Land ausländischen Investoren immer offen steht. Wenn man die Geschichte unseres Land liest, merkt man, dass wir eigentlich nie viel eigenes Kapital hatten; heute ist die Welt globaler geworden. Wenn wir nur Luxemburger oder europäische Investoren hätten, dann wäre unser Land nicht so wohlhabend. Deswegen bin ich froh, dass neben den Europäern immer wieder Amerikaner, Chinesen oder Investoren aus dem Mittleren Osten Vertrauen in Luxemburg haben. Wenn ich auf die fünfzehn Jahre zurückschaue, ist der Umstand, dass wir Luxemburg über die Grenzen unserer Nachbarländer hinaus, in Asien, dem Nahen Osten, der ganzen Welt als Finanzplatz, als Marke bekannt gemacht haben, etwas, das mich stolz macht. Ich hoffe, und ich bin überzeugt, dass die neue Regierung diese Politik fortsetzt.

Ihre Amtszeit ist auch geprägt von der Steuerdiskussion, die 2008 mit dem Liechtensteinskandal um den deutschen Postchef Klaus Zumwinkel aufflammte und die dazu führte, dass Sie vor einem Jahr den Übergang zum automatischen Informationsaustausch bekannt gaben. Kam ihr Wechsel zur „Weißgeld-Strategie“, im Nachhinein betrachtet, rechtzeitig?

Meine Strategie, aus Luxemburg einen wirklich internationalen Finanzplatz zu machen, hat zur logischen Konsequenz, dass man internationale Standards anwendet. Wollen wir in einer globalisierten Wirtschaft wachsen, muss es da auch einige gemeinsame Spielregeln geben. Und deshalb war eine logische Folge, dass wir im Rahmen der allgemeinen Tendenz zu mehr Transparenz die internationalen Standards über den automatischen Austausch von Informationen angenommen haben. Das war eine schwierige Entscheidung, weil es lange eine Tradition des Bankgeheimnisses gab, an die sich die Banken und Kunden gewöhnt hatten. Über den Zeitpunkt kann man immer diskutieren. Ich glaube, dass er mehr oder weniger gut gewählt war, weil die Banken sich im Laufe der letzten Jahre darauf vorbereiten konnten. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Trend zur Transparenz durch die Krise beschleunigt wurde. Außerdem hat die amerikanische Fatca-Gesetzgebung den Zeitpunkt unserer Entscheidung beeinflusst.

Haben Sie der Tendenz zur Transparenz nicht erst so spät nachgegeben, weil die Branche eine Drohkulisse aufgebaut hat, Analysen mit Endzeitszenarien in Umlauf gebracht hat, die vom Abbau von tausenden Stellen berichteten, falls man das Bankgeheimnis aufgebe?

Nein. Es war für die Banken, die ein regionales Kleinsparergeschäft aufgebaut hatten, vorher einfach komfortabler. Aber die Zukunft der Privatbankbranche liegt nach der Krise in einer hochqualifizierten, steuerkonformen Beratung, und deshalb hat es in den Banken, ohne unser Zutun, eine generelle Tendenz gegeben, das Modell der Vergangenheit hinter sich zu lassen. Unsere Entscheidung, das Bankgeheimnis aufzugeben, ist auch das Ergebnis aus den vielen Gesprächen mit den Akteuren, aus denen sich die breite Meinung herausgeschält hat, dass das System der Quellensteuer – das zwar gut und effizient ist – international nicht akzeptiert wurde und deswegen immer wieder in der Kritik stand.

Dass Luxemburg 2009 auf die graue Liste gesetzt wurde und Ende vergangenen Jahres wieder Probleme bei der Bewertung Luxemburgs durch das Weltforum für Transparenz und Informationsaustausch in Steuersachen der OECD auftauchten, könnte man aber auch als Indiz dafür werten, dass die Situation falsch eingeschätzt wurde und es doch einen gewissen Widerstand gegen den Wandel gab.

Man kann bei so etwas nicht im Hauruckverfahren vorgehen. Vorausschaubarkeit ist wichtig für einen Finanzplatz. Die graue Liste von 2009 war nicht vorhersehbar, schlecht für Luxemburg und einseitig unfair. Dass die Bewertung vom vergangenen Jahr schlecht ausgefallen ist, ist nur das Ergebnis davon, dass wir versucht haben, nicht sofort zum völligen Austausch überzugehen, sondern verhandelt haben, dass wir nur in präzisen Fällen unter strikten Bedingungen Informationen herausgeben. Das war geschäftsschonend. Das hat uns erlaubt, in einem Prozess zum heutigen Stand der Dinge zu gelangen. Der Umbau vom Bankgeheimnis war für mich eine ganz schwierige Entscheidung, über die ich mir viele Gedanken gemacht habe und viele Konsultationen geführt habe. Ich wollte den Banken die Zeit eingeräumen, die sie brauchten, um sich umzustellen.

Findet diese Umstellung denn statt?

Sie hat größtenteils schon stattgefunden. Ich bin übrigens der Meinung, dass das Problem einer Reihe kleiner Banken nicht so sehr der Verlust des Bankgeheimnisses ist, sondern die Vielzahl der Auflagen und Regeln, denen sie nachkommen müssen, und die damit einhergehenden Kosten. Das ist ein Phänomen, das sich nicht auf Luxemburg beschränkt, sondern auch in anderen Ländern zu beobachten ist. Den Stellenabbau, der in den vergangenen Jahren stattgefunden hat, sehe ich weniger in einem direkten Zusammenhang mit dem automatischen Informationsaustausch, sondern eher damit, dass das Bankgeschäft sich völlig verändert hat, Prozesse automatisiert wurden, die Kundenberatung aufwendiger geworden ist. Außerdem ist das Geschäft internationaler geworden, und das alles bringt mit sich, dass personell ab- oder umgebaut wird.

Angesichts der regulatorischen Neuerungen – Stichwort Bankenunion, Solvenz- und Liquiditätsregeln –, der Diskussion um die Firmenbesteuerung, die andere Aktivitätsbereiche trifft als die Banken, die mit jeder Zinssenkung an Rentabilität einbüßen, lautet die große Frage: Wie kann sich die Finanzbranche in diesem Umfeld weiterentwickeln und weiterwachsen? Wie sieht das Zukunftsmodell aus?

Ich glaube, dass Finanzstandorte, die auf ein internationales Geschäft ausgerichtet sind, auf international agierende Unternehmen und Personen spezialisiert sind, notwendig sind und gebraucht werden. Dass ist die Chance für Luxemburg, Singapur oder Hongkong, die, weil sie keinen Heimatmarkt haben, in einer grenzüberschreitenden Dimension operieren. Der Finanzplatz Luxemburg hat eine Zukunft, wenn er gleichzeitig auf Innovation, Exzellenz und Weltoffenheit setzt und der gesamtwirtschaftliche Rahmen business-friendly bleibt. Gerade nach der Krise spielen Ruf, Qualität der Beratung und Vertrauen sowohl der Banken wie der Finanzplätze eine zunehmend wichtige Rolle. Das hat dazu geführt, dass einige Banken ihr Geschäft seither ausbauen konnten. Generell glaube ich allerdings, dass wir seit einigen Jahren in einer Umstrukturierungsphase sind, dass die Finanzbranche sich nicht unbedingt weiter ausdehnt, sondern sich eher noch stärker auf dieses internationale Geschäft spezialisieren wird als in der Vergangenheit.

Wenn man beobachtet, wo die Steuerdiskussion hingeht und welche Folgen die Aufsichtsauflagen haben, geht dann die Tendenz innerhalb von Europa und darüber hinaus nicht eher in Richtung Renationalisierung oder einer Fragmentierung der Finanzmärkte?

Die wirtschaftlichen und die technologischen Entwicklungen in der Welt tragen dazu bei, dass das internationale Geschäft immer weiter wächst. Dass es auf dem Weg dahin immer wieder Bewegungen in Richtung Fragmentierung der Märkte gibt oder nationale Schutzmaßnahmen, ist offensichtlich. Trotzdem, die Entwicklung der vergangenen Jahre geht hin zu mehr Interdependenz und Vernetzung. Dort müssen wir unseren Platz finden, so wie wir das schon in Bereichen wie der Fondsindustrie getan haben. Auch in der Vermögensverwaltung gibt es eine immer größere Nachfrage nach international ausgerichteten Dienstleistungen durch Familien, die grenzüberschreitend leben und investieren. Auch die Zahl der Unternehmen, die einen Standort suchen, um ihre internationalen Investitionen zu bündeln und abzuwickeln, steigt. Wenn wir den dafür notwendigen Rahmen setzen, die richtigen juristischen Instrumente anbieten, hat der Finanzplatz Luxemburg eine große Zukunft. Dafür habe ich in der Vergangenheit Gesellschaftsstrukturen wie die Sifs und SPFs eingeführt, sowie kürzlich die private Vermögensstiftung auf den Weg gebracht. Die Weltwirtschaft wächst, es geht darum, dass wir eine Scheibe von diesem großen Kuchen abbekommen. Ich bin guter Dinge, dass das gelingen kann, wenn wir hart arbeiten.

Michèle Sinner
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