Weltausstellung der Superlative

Shanghai noon

d'Lëtzebuerger Land vom 29.04.2010

Erholsam, ruhig, entstpannend soll der Eintrittsbereich des Luxemburger Pavillons bei der Weltausstellung in Shanghai sein, Rückzugsmöglichkeit vor den Menschenmassen draußen vor der Tür. Wie im Wald sollen sich die Besucher dort fühlen, zwischen holzverkleideten Wänden und Baum-skulpturen. In diesem ersten von insgesamt vier Bereichen der Dauerausstellung im Luxemburger Pavillon auf der Weltausstellung in Shanghai stellt sich Luxemburg als grünes Herz Europas vor. Auf insgesamt 20 Bildschirmen zeigen kurze Animationen, wie das Ökosystem Wald funktioniert, wie das Verhältnis zwischen Stadt und Wald ist, welche Freizeitmöglichkeiten er bietet, wie er bewirtschaftet wird. Denn Luxemburg heißt auf chinesisch übersetzt Lu Sen Bao: Wald und Festung, was auch die Architekten von Hermann[&]Valentiny auf die Idee gebracht hatte, unter dem Slogan Small is beautiful too einen Pavillon zu entwerfen, der wie eine Märchenfestung aussieht: ein Festungsturm, umgeben von einem unter- und oberirdisch begehbaren Bering.

Durch diesen Bering sollen ab Samstag, wenn die Expo-Shanghai ihre Türen offiziell öffnet, die Besuchermassen strömen. Mit insgesamt 70 Millionen Expo-Besuchern rechnen die chinesischen Organisatoren innerhalb von sechs Monaten. Nach den größten Olympischen Spielen will China auch die größte Weltausstellung veranstalten. Das wird sich auch mit vergleichsweise hohen Besucherzahlen im Luxem­burger Pavillon bemerkbar machen. „Wir rechnen mit zwischen 12 000 und 20 000 Besuchern am Tag“, sagt Danièle Bisdorff, Generalsekretärin von Luxembourg@ExpoShanghai2010. Am ersten Testtag vor zwei Wochen, als die Organisatoren 200 000 ausgewählte Personen auf das Expo-Gelände ließen, drängten 60 000 in den Luxemburger Pavillon. Vor dem Eingang bildeten sich lange Schlangen, die Wartezeit betrug teilweise bis zu zwei Stunden. Danach entschieden die Luxemburger Verantwortlichen, mehr Sicherheitspersonal einzustellen.

Die hohen Besucherzahlen sind ein logistisches Problem, das auch die Macher der Ausstellung berücksichtigen mussten. Zwar soll dem vorrangig chinesischen Publikum das Land und die Stadt Luxemburg – das Leitmotiv der Expo 2010 heißt Better city, better life – gezeigt und erklärt werden, doch dabei muss es in Bewegung bleiben, der Besucherstrom muss fließen, niemand darf zu lange stehen bleiben. Deshalb beruht das Konzept der französischen Agentur Auditoire größtenteils auf kurzen, wenige Minuten dauernden grafischen Animationen. Auch in den drei weiteren Bereichen, in denen Luxemburg als Eintrittsportal zu Europa vorstellt wird – für Menschen und Waren.

Schengen, erfahren die Besucher hier, sei kein leeres Wort auf dem Visumsantrag, sondern ein Dorf an der Mosel. Luxemburg, wird ihnen erzählt, sei ein bedeutendes Logistikzentrum Europas. Potenziellen Touristenwerden die verschiedenen Regionen Luxemburgs angepriesen. Die im europäischen Vergleich dynamische Wirtschaft wird erläutert, mit an vorderster Front den großen Akteuren Arcelor Mittal, SES, Cargolux, allesamt Gründungsmitglieder des Groupement d’intérêt économique (GIE), das hinter dem Luxemburger Pavillon steht. Ein Film, ähnlich denen, die der Pressedienst der Regierung unter dem Slogan Is it true what they say about Luxembourg? für Promotionszwecke im Ausland anfertigen ließ (d’Land, 08.01.2010), zeigt auf einer 14-Meter-Leinwand die verschiedenen Facetten des Landes, wie Tradition und Moderne miteinander vereinbart werden, erklärt Bisdorff. Auf sieben 1,50 Meter hohen Säulen, quasi in Echtgröße, erzählen Einwohner Luxemburgs vom Leben und Arbeiten im Großherzogtum. Rund 50 zweiminütige Porträts hat Filmemacher Jean-Louis Schuller dafür aufgenommen, Luxemburger, Einwanderer, Junge, Alte erzählen ihre persönlichen Erfahrungen. Nur im letzten Teil der Ausstellung wird auf Video-Animationen verzichtet. Im Hinblick auf das Expo-Motto der besseren Stadt, sind auf Holzlatten Schlagwörter und -sätze abgebildet, die durch ein Lichtspiel abwechselnd hervorgehoben und ausgeblendet werden. Darunter beispielsweise Hinweise, dass eine gute Stadt auch durch starken sozialen Zusammenhalt geprägt sei.

Auch wenn der große Zulauf am Testtag darauf zurückzuführen sein mag, dass noch nicht alle Pavillons geöffnet hatten, sieht die Generalsekretärin der definitiven Eröffnung am Samstag, der auch Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP) und Parlamentspräsident Laurent Mosar (CSV) beiwohnen sollen, gelassen entgegen. Trotz der großen Konkurrenz – über 240 Länder und Organisationen buhlen an den Ufern des Huangpu um die Gunst der Besucher, ist sie zuversichtlich, dass das Interesse am Luxemburger Pavillon nicht abreißen wird.

Einerseits liegt „Luxemburg“ günstig in direkter Nachbarschaft zum spektakulären britischen Pavillon, wie auch zu den deutschen und französischen Ständen, die sicherlich viele Schaulustige in die Umgebung locken werden – auf dem über fünf quadratkilometergroßen Gelände sicherlich ein Vorteil. Andererseits spricht für den Luxemburger Pavillon, dass er relativ früh in den chinesischen Werbekampagnen gezeigt wurde, was den Erkennungswert gesteigert hat. „Er war an Bushaltestellen und Plakaten in der Stadt zu sehen. Die Bewohner der Stadt wissen bereits: Das ist der Luxemburger Pavillon“, erklärt Bisdorff. Hinzu komme, dass die Baustelle Expo-intern für ihre Sauberkeit ausgezeichnet und anderen Ausstellern als gutes Beispiel vorgeführt wurde. Wurde Robert Goebbels für seine Entscheidung, die Gëlle Fra in Shanghei auszustellen, in den vergangenen Wochen belächelt und beschimpft, so geben ihm die Reaktionen vor Ort anscheinend Recht. Chinesische Medien nennen beispielsweise unter dem Titel „Masterpieces shine at Shanghai Expo“ die Gëlle Fra in einem Zug mit den Van Goghs, Cézannes, Manets und Rodins, die Frankreich extra aus dem Musée d’Orsay hat einfliegen lassen.

Rund 15 Millionen Euro werden Aufbau und sechsmonatiger Betrieb des Pavillons kosten. Konnten auch nach den anfänglichen Schwierigkeiten private Finanzierungspartner zu finden (d’Land, 29.08.2008), acht weitere Sponsoren aufgetrieben werden, trägt der Staat dennoch den Großteil der Kosten: 8,9 Millionen Euro für den Bau und weitere vier Millionen Euro, die er zum Kapital des GIE beigetragen hat. Dass sich nicht mehr Privatunternehmen überzeugen ließen, sich finanziell am Projekt zu beteiligen, führen Beobachter darauf zurück, dass die heiße Planungsphase zeitlich mit den Anfängen der Finanz- und Wirtschaftskrise zusammen fiel.

Wie aber wird der Pavillon mit Leben gefüllt? Ein genaues Programm der Veranstaltungen, die auf dem Gelände des Luxemburger Pavillons stattfinden werden, soll ab Samstag zur Verfügung stehen. Bereits jetzt aber berichtet die Generalsekretärin: „Die Räumlichkeiten im Turm sind derzeit für über 100 der insgesamt 185 Ausstellungstage gebucht, und damit sind wir zufrieden.“ So planen private und öffentliche Akteure dort verschiedene Treffen, Vorführungen, Symposien. Das 25-jährige Jubiläum der Unterzeichnung der Schengen-Verträge beispielsweise wird in Zusammenarbeit mit der EU mit großem Pomp gefeiert werden. Gründungsmitglieder des GIE können den Turm, der – VIP-Bereich inklusive – maximal 200 Leute fasst, für firmeninterne Zwecke buchen. Die Uni Luxemburg pflegt ihre Kontakte in China, veranstaltet mit Partnern der Tongji-Universität ein zweitägiges Symposium über die nachhaltige Gestaltung von Universitätsgeländen und Stadtplanung.

Das Kulturministerium finanziert insgesamt 14 Projekte und zwei Workshops, die Kommissar Christian Mosar rund um das Thema der Identitäten geplant hat, das sowohl in der Großstadt Shanghai als auch im kleinen Luxemburg ein Dauerbrenner ist. Für die Expo im zukunftsorientierten Shanghai wählte man ausschließlich zeitgenössische Kulturprojekte. „Wegen der Architektur sind vor allem Tanz-, Theater- und Musikveranstaltungen geplant“, erklärt Barbara Zeches vom Kulturministerium. Auch sie wählten aus Rücksicht auf die großen Besucherzahlen relativ kurze Vorführungen und suchten, wo es möglich war, chinesische Partner. So leitet unter anderem Joseph Tomasini ein Fotoprojekt, in dem Luxemburger und chinesische Schüler den Alltag ihrer Familien in Bildern festhalten. Und die Luxemburger Hip-Hop-Band De Läb trifft auf die chinesischen Kollegen von The Lab. Einfach war es nicht unbedingt, ein Programm aufzustellen. „Für alles braucht man eine Genehmigung“, berichtet Zeches von den Erfahrungen mit den chinesischen Behörden. Das dürfte nicht nur ihr das Erstellen definitiver Programme erschwert habe.

Das Tourismusministerium nutzt den Pavillon, um business-to-business-Treffen zu arrangieren. Sie haben im Vorfeld große chinesische Reiseveranstalter angesprochen und festgestellt, dass Interesse besteht, Luxemburg ins Programm der Europarundreisen aufzunehmen, erklärt Pierre Barthelmé vom Ministerium. Im Juni nimmt man den Nationalfeiertag zum Anlass, um mit Vertretern des Mondorfer Casinos, des Thermalbads, einer Hotelkette, der nationalen und städtischen Tourismusstellen und anderen Branchevertretern nach Shanghai zu fahren und ihnen Luxemburg anhand von Vorträgen und der Dauerausstellung im Pavillon schmackhaft zu machen. Dafür nimmt Barthelmé organisatorische Strapazen und logistische Risiken auf sich, vor denen andere gleich die Waffen strecken.

Weil die Organisatoren in der Volksrepublik wenig VIP-Annehmlichkei­ten zulassen, riskieren geladene Geschäftsleute mit den bis zu 400 000 Besuchern täglich vor den Toren des Messegeländes stundenlang auf Einlass zu warten. Genau aus diesem Grund verzichtet die Handelskammer (CC) darauf, Geschäftseminare im Pavillon stattfinden zu lassen. Im Oktober, rund um den Luxemburg-Tag am 10.10.2010, wenn der Großherzog zur Expo fährt, organisiert die CC eine Semaine commerciale. Größtenteils außerhalb des Expo-Geländes in den Versammlungsräumen internationaler Hotels, so wie man es von Wirtschaftsmissionen kennt. Nur abends fährt man die Teilnehmer zum Empfang in den Pavillon.

„An sich ist die Expo ja keine wirkliche Handelsmesse“, gibt Vesque von derHandelskammer zu bedenken, meint damit wohl, dass man mit zig Millionen Besuchern, keine direkten Geschäfte machen kann. Dennoch soll das Ereignis seinen wirtschaftlich Niederschlage haben. Er und seine Mitarbeiter organisieren während dieser Woche fünf Thementage mit jeweiligem Schwerpunkt Logistik und Schifffahrt, Automobilbranche, Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT), Umwelttechnologien und Lebensmittel. Über 30 000 Broschüren hat die Handelskammer unter ihren Mitgliedern verteilt, um für eine Teilnahme an den verschiedenen Thementage oder am Business-matchmaking, das in Zusammenarbeit mit einer Beratungsfirma vor Ort organisiert wird, zu werben. Für die Thementage angemeldet haben sich bislang 40 Firmen. Insgesamt werden rund 100 Unternehmen aus Luxemburg und der Großregion an der Semaine commerciale teilnehmen, für Vesque eine zufriedenstellende Teilnehmerzahl. Er hat im Grand Hyatt über 570 Übernachtungen gebucht. Außerdem, berichtet er, werden zur gleichen Zeit einige Luxemburger Reisegruppen vor Ort sein. „Da werden überall in Shanghai Luxemburger unterwegs sein.“

China ist größter Autohersteller- wie Absatzmarkt, und Firmen wie IEE oder Rotarex sind dort schon länger mit eigenen Produktionsanlagen präsent. „Für sie wird es hauptsächlich darum gehen, bestehende Kundenkontakte zu pflegen und auszubauen“, sagt Georges Santer, Generalsekretär des Branchenverbands Ilea bei der Fedil. Für den ICT-Tag hat sich auch die Firma Xintec aus Esch/Alzette angemeldet, die unter anderem Software-Systeme verkauft, die es Kommunikationsgesellschaften erlauben, interne Betrüger zu überlisten. „Unsere Produkte an chinesische Gesellschaften zu verkaufen, ist keine realistische Aussicht“, erklärt Sean Killeen. „Dafür ist der Markt zu reguliert.“ Doch seine Firma arbeitet mit chinesischen Programmierern zusammen, die als Subunternehmer Teile der Software schreiben. „Darauf wollen wir aufbauen und unser Netzwerk erweitern.“ Durch die Expo steigt die Aufmerksamkeit, begründet er die Teilnahme. Und die Firma will sich auch als Partner für chinesische Firmen anbieten, die in Europa Fuß fassen wollen.

Neben den bereits in China aktiven Caves Vinsmoselle und Bofferding hat sich für den Thementag Lebensmittel der Delikatessenhersteller Kaempff-Kohler angemeldet. Nach Japan exportiere man bereits seit acht Jahren Süßwaren, erzählt Guill Kaempff. An besonderen Feiertagen, wie Valentinstag oder Ostern, äßen auch Asiaten viel Schokolade, die Kaempff-Kohler über Großhändler vertreibt. Auch nach China möchte man exportieren, will deswegen während der Semaine commerciale nach Partnern für den Vertrieb suchen.

Der Kläranlagenhersteller Epuramat sollte mit seinem Platz sparenden, innovativen Klärsystem, für das die Firma beim Weltwirtschaftsforum in Davos ausgezeichnet wurde, die Abwässer des Luxemburger Pavillons klären, erhielt dafür aber keine Zulassung. Jedenfalls nicht ohne den chinesischen Behörden detaillierte Pläne der Anlage vorzulegen. Das Risiko wollte man nicht eingehen. Eine Epuramat-Anlage können Expo-Besucher zwar auf der Terrasse des Luxemburger Pavillons begutachten. Doch die ist nicht an die Kanalisation der Millionenstadt Shanghai angeschlossen. So nimmt Epuramat neben anderen Firmen aus dem Umweltbereich am Thementag teil. Unter der Schirmherrschaft eines großen chinesischen Partners, sagt Birgit Manzoni, könnte man eventuell den Vertrieb auf dem chinesischen Markt aufnehmen. „Ohne starken Partner könnten wir da nicht überleben.“

Michèle Sinner
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