Kommunalplanung

Gewurschtels

d'Lëtzebuerger Land vom 06.05.2010

Er gehört zu den wichtigsten Dokumenten jeder Gemeinde: der Plan d’aménagement général. Denn im PAG, wie er abgekürzt heißt, steht nicht nur detailliert, welcher Zweckbestimmung das Gemeinde-Territorium zugeführt werden soll. Der PAG soll auch für „la répartition et l’implantation judicieuse des activités humaines dans les zones qu’il arrête“ sorgen, damit ein „développement durable“ der Gemeinde garantiert werde. So will es das vom 19. Juli 2004 datierende Kommunalplanungsgesetz.

Als dieses Gesetz in Kraft trat, hatte sein Vorläufer 67 Jahre lang Gültigkeit gehabt. Die Zäsur war so groß, dass in dem neuen Gesetz vorgeschrieben wurde, dass sämtliche Gemeinden sich einen PAG geben müssten, der auf den neuen Regeln beruht. Sechs Jahre Zeit wurde ihnen dafür eingeräumt. Und da das neue Planungsgesetz nach seiner Veröffentlichung im Memorial am 3. August 2004 in Kraft trat, müssten in knapp drei Monaten eigentlich 116 Allgemeine Bebauungspläne der neuen Generation vorliegen – gut geheißen von der staatlichen Planungskommission, verabschiedet von den Gemeinderäten und bestätigt durch den Innenminister.

Ein Vierteljahr vor Ablauf der Frist aber sind ganze vier Gemeinden so weit: Contern, Esch/Sauer, Remich und Steinfort. Zehn weitere könnten noch hinzukommen, wird im Innenministerium vorhergesagt. Was in hochkompetitiven Zeiten wie den heutigen nicht nur schlecht aussähe, da im günstigsten Fall der Erfüllungsstand nur zwölf Prozent betrüge. Ohne neuen PAG zu sein, wäre für die säumigen Gemeinden eine Katastrophe: Laut Kommunalplanungsgesetz werden nach Ablauf der Frist die bisherigen PAG automatisch ungültig. Eine Gemeinde könnte dann keine Baugenehmigung mehr erteilen und ihr gesamtes Territorium würde zu Grünland umklassiert.

Damit es nicht so weit kommt, hat Innenminister Jean-Marie Halsdorf (CSV) vorgebaut. In einem vergangenen Monat an alle Gemeinden versandten Rundschreiben teilt er mit: Wer bei ihm bis Mitte Juni um zwölf Monate Aufschub nachsucht, erhält sie ohne Weiteres. Eine Notmaßnahme ist das nicht; eine solche Kann-Bestimmung wurde bereits 2005 beschlossen, als das Kommunalplanungsgesetz zum ersten Mal abgeändert wurde. Zu befürchten ist aber, dass der Aufschub bis 3. August 2011 längst nicht alle säumigen Gemeinden retten wird. Zumal nächstes Jahr Kommunalwahlen anstehen und die wenigsten Gemeindeführungen daran interessiert sein dürften, PAG-Diskussionen, die laut Gesetz öffentlich geführt werden müssen, womöglich mitten im Wahlkampf abzuhalten.

Deshalb will der Innenminister erneut vorbeugen und den Gemeinden weitere drei Jahre Aufschub gewähren. Dazu wäre zwar eine Änderung am Kommunalplanungsgesetz nötig. Aber der parlamentarische Innenausschuss beschäftigt sich sowieso gerade mit der mittlerweile vierten Reform des Gesetzes. Und da der Grüne Henri Kox aus Remich der einzige député-maire mit einer fertigen PAG-Revision ist, dürfte die Verschiebung des Abgabetermins auf den 3. August 2014 fraktionsübegreifend konsensfähig sein.

Natürlich drängt sich die Frage auf, weshalb den einen Gemeinden die Revision ihres PAG fristgemäß gelingt und den anderen nicht. Vor allem größere Städte mit eigener urbanistischer Abteilung scheinen von der Aufgabe überfordert zu sein. Denn unter den zehn, die vielleicht noch bis zum Sommer ihre Arbeiten abschließen könnten, sind überwiegend kleinere Gemeinden, wie Walferdingen und Schifflingen, oder ganz kleine, wie Nommern und Reisdorf.

Fragt man den Innenminister nach den Ursachen, dann erinnert er daran, dass es „leider nur sieben, acht Planungsbüros“ im Lande gebe. Und erklärt, die Gemeinden hätten auch auf die Vorgaben der Landesplanung gewartet, um, was der Staat in Plans sectoriels an Gewerbeflächen oder an Korridoren für Transportwege vorsieht, in ihre PAGs zu übernehmen. Aber damit widerspricht Jean-Marie Halsdorf sich selbst: Am 15. Januar gab er durch ministeriellen Erlass eine aktualisierte Liste der Planer und Planungsbüros heraus, die qualifiziert sind für die Erarbeitung eines PAG. Die Liste ist im Memorial B Nr. 11 vom 5.2.2010 zweieinhalb eng bedruckte A4-Seiten lang und umfasst 68 Einzelpersonen und 45 Planungsbüros – wenngleich zum Teil ausländische.

Dass fehlende landesplanerische Vorgaben Schuld sein sollen an Verzögerungen bei den PAGs, erstaunt ebenfalls. Denn in der vorigen Legislaturperiode war Halsdorf auch Landesplanungsminister gewesen. Verzögerungen bei den sektoriellen Plänen, erklärte er stets, hätten weiter keinen Einfluss auf die PAGs, denn: „Die Gemeinden, in denen die Musik spielt, bekommen mitgeteilt, was sektoriell geplant wird.“ Foglich dürfte nicht Esch/Sauer über einen neuen PAG verfügen, sondern eher Esch/Alzette. Oder die Hauptstadt. Aber deren Bürgermeister Paul Helminger (DP) erklärte auf der Gemeinderatssitzung am 14. Dezember 2009, man lasse die Arbeiten am PAG ruhen. Denn das Innenministerium reformiere das Kommunalplanungsgesetz, und „im ungünstigsten Fall“ war „die von unseren Dienststellen geleistete Sisyphusarbeit für die Katz“.

Sollte am Ende das Innenministe-rium mit Schuld an der Verzögerung sein? Vermutlich ja, denn der Minister sprach schon 2007 davon, dass man das Kommunalplanungsgesetz gründlich ändern müsse. Erwartet wurde die Gesetzesvorlage eigentlich schon 2008. Ab diesem Jahr rieten Halsdorfs Beamte den Gemeinden, mit der Weiterarbeit am PAG lieber zu warten, denn es käme ein neues Gesetz. Aber der Entwurf dazu wurde Ende März 2009 beim Parlament eingereicht, ein Jahr später vom Staatsrat begutachtet und mit acht formellen Einwänden belegt. Eigentlich hatte der Innenminister gehofft, über das neue Gesetz werde vor Ostern abgestimmt. Nun scheint nicht mal klar, ob das noch vor Jahresende klappt.

Denn der parlamentarische Innenausschuss diskutiert einerseits über Technisches. Planerische Erleichterungen für schon bebaute Viertel soll die Gesetzesänderung bringen, aber sie gehen den députés-maires der großen Städte, wie etwa Paul Helminger, nicht weit genug. Andererseits sind Prozedurfragen zu klären: Zur Verwaltungsvereinfachung sieht der Gesetzentwurf eine Verkürzung der Prozeduren und verringerte Einspruchsmöglichkeiten der Bürger vor. Doch gerade gegen diese hat der Staatsrat in mehreren Punkten formell opponiert.

Hinzu kommt Ungemach von anderer Seite. Nun raten die Beamten des Ministeriums den Gemeinden nicht, kürzer zu treten mit ihren PAGs, sondern bitten sie, abstimmungsreife Allgemeine Bebauungspläne nicht zu verabschieden.

Der Grund dafür ist, dass vom Ministerium vergessen wurde zu berücksichtigen, dass für jeden neuen PAG seit zwei Jahren eine so genannte strategische Umweltprüfung (SUP) erforderlich ist. Das verlangt eine EU-Richtlinie, und der delegierte Nachhaltigkeitsminister Marco Schank (CSV) bestätigte Ende März auf eine parlamentarische Anfrage des DP-Abgeordneten André Bauler hin: „L’approbation d’un PAG ne pourra se faire qu’en présence d’une SUP.“

Leider existiert noch kein Leitfaden für die Durchführung der SUP durch die Gemeinden. Den arbeiten Innen- und Nachhaltigkeitsministerium noch gemeinsam aus. Er ist zwar nicht zwingend nötig, würde den Gemeinden aber die Arbeit erleichtern. Ohne SUP zu sein, ist für Gemeinden mit neuem PAG dagegen mittlerweile riskant geworden. Die Gemeinde Remich hat es mit einer Reklamation gegen ihren PAG vor dem Verwaltungsgericht zu tun. Als der Anwalt des Beschwerdeführers herausfand, dass in Remich noch keine SUP stattgefunden hatte, wurde die Reklamation um diesen Punkt ergänzt. Dass das Gericht dem stattgeben könnte, fürchtet man im Innenministerium nun: Dann könnten womöglich auch die anderen drei bereits beschlossenen Bebauungspläne für nichtig erklärt werden. In dem Fall läge im August 2010 die PAG-Bilanz wohl bei Null.

Die Entdeckung der Strategischen Umweltprüfung durch das Innenministerium hat aber noch weitere Fragen auf den Tisch gebracht. Sie sind so wichtig, dass sie es Minister und Ausschuss schier unmöglich machen, der Empfehlung des Staatsrats zu folgen und ganz pragmatisch in einem separaten Gesetzentwurf mal eben die Zusatzfrist für die PAGs verabschieden zu lassen.

Denn die SUP übernimmt die Vorschriften der Arhus-Konvention über die Umweltinformationen und legt fest, dass die Bürger möglichst früh über Planungsvorgänge informiert werden müssen. Ob „möglichst früh“ heißen muss, dass der Bürger informiert zu werden hat, sobald auch nur ein Entwurf eines PAG vorliegt, soll der Innenausschuss klären. Die geltenden Prozeduren entsprechen diesem Prinzip nicht, denn die Konsultation der Öffentlichkeit erfolgt erst nach dem provisorischen Votum über den Entwurf durch den Gemeinderat.

In der Ausschusssitzung vor drei Wochen meinten Beamte des Ministe-riums, die Öffentlichkeit müsse tatsächlich schon vor dem ersten Votum informiert werden. Womöglich ließe sich damit sogar die ganze Prozedur um ein Jahr verkürzen. Vor diesem Schritt aber warnte nicht nur der Oppositionsabgeordnete Camille Gira von den Grünen, sondern auch députés-maires von der CSV: Würde die Öffentlichkeit schon über Papiere konsultiert, die lediglich Ideen eines Schöffenrats sind, dann könne hierzulande nichts mehr die Bodenspekulation stoppen.

Peter Feist
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