Die Winzer wehren sich gegen die Liberalisierung des europäischen Weinbaus, weil sie Überproduk-tion und Preisverfall fürchten. Dazu kann es auch ohne Liberalisierung kommen

Prost Gesundheit!

d'Lëtzebuerger Land du 20.04.2012

Die Privatwinzer lehnen die Liberalisierung der Bepflanzungsrechte im Weinbau strikt ab und ihr Europaverband ebenfalls. Die Weinproduktion in Europa könne drastisch steigen und damit auch der Druck auf die Preise, warnt Ern Schumacher, Präsident der Luxemburger Privatwinzer. Aber auch die Genossenschaftskellerei ist dagegen, und die Luxemburger Beamten können ihr nichts Positives abgewinnen.

Zwar ist nicht davon auszugehen, dass die für 2015 geplante Liberalisierung des Weinbaus in der EU zu einem Ausbau der Rebflächen in Luxemburg führen würde. Für die Anlage eines neuen Wéngert müssen zwischen 30 000 und 40 000 Euro investiert werden, gibt Robert Ley, Direktor am Weinbauinstitut in Remich, zu bedenken. Er und sein Mitarbeiter Serge Fischer sind sich einig: „Die guten Lagen sind ohnehin alle besetzt.“ „Klimawandel hin oder her“, meint Fischer, außerhalb des Anfang der Achtziger festgelegten nationalen Weinbauperimeters bringe der Anbau ohnehin nichts, da lohne sich keine Investition in neue Rebflächen. So lautet ihr Urteil: „Bei einer Liberalisierung haben wir nichts zu gewinnen.“

Deswegen gehört Luxemburg zum Kreis der Länder, die sich gegen die eigentlich schon 2008 beschlossene Abschaffung der Flächenbeschränkung im Weinbau stellen. Die Bepflanzungsrechte, den Quoten für die Milchproduktion ähnlich, wurden in den Achtzigern eingeführt, um die Überproduktion einzudämmen und zu verhindern, dass neue Anbauflächen außerhalb der bestehenden Weingebiete entstünden. Nicht nur in Luxemburg ist es deshalb vielen vollkommen unverständlich, warum die Beschränkung aufgehoben werden soll, wenn es immer noch Produktionsüberschüsse gibt und die EU-Kommission noch bis vor einem Jahr Prämien für das Ausroden von Rebflächen auszahlte. „Während der letzten Kampagnen von 2008 bis 2010 wurden 161 000 Hektar gerodet“, sagt Aly Leonardy, Genossenschaftswinzer und Vize-Präsident der Assemblée des régions européennes viticoles (Arev), in der alle Weinbaugegenden Europas zusammengeschlossen sind. „Dafür wurden 1,021 Milliarden Euro Rodungsprämien gezahlt. Und dann macht sich die Kommission Gedanken darüber, die Flächenbeschränkung aufzuheben“, regt sich Leonardy auf.

Mittlerweile aber lässt die EU-Kommission wieder darüber nachdenken, ob man die Bepflanzungsrechte beibehalten soll. Am Donnerstag traf sich erstmals die von EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos eingesetzte High level group, die ausloten soll, was möglich ist. „Die Idee (eine Gruppe einzusetzen, Anmerkung der Redaktion) ist gut, darf aber kein Vorwand sein, um die Entscheidung über einen Liberalisierungsstopp der Anpflanzungsrechte zu verzögern“, hatte die Europa-Abgeordnete Astrid Lulling (CSV) schon im Januar geurteilt. Dabei bleibt eigentlich noch genug Zeit. Die Flächenbeschränkung gilt bis 2015 und kann von den Mitgliedstaaten individuell bis 2018 verlängert werden. Im März hatte Lulling gemeinsam mit ihrem Kollegen Michel Dantin eine große Anhörung im Europaparlament organisiert, wo sich Winzer und Agrarminister vieler Länder gleichermaßen gegen eine Liberalisierung aussprachen. „Alle europäischen Weinbaugegenden sind dagegen“, sagt Leonardy und eigentlich sind nur die EU-Mitgliedstaaten dafür, die selbst keine nennenswerte Weinproduktion haben.

Deshalb stehen die Chancen dafür, dass die Liberalisierungsgegner mit ihrer Forderung durchkommen, gar nicht so schlecht. Die schwierigste Aufgabe für den aktuellen EU-Agrarkommissar wird es wahrscheinlich sein, die liberale Reform seiner Vorgängerin Mariann Fischer-Boel rückgängig zu machen, ohne dass die Kommission vollkommen ihr Gesicht verliert. Die Lösung könnte in etwa so aussehen, dass die Flächenbeschränkung im Prinzip beibehalten wird, Länder, die das fordern, wie Großbritannien, Polen oder auch Belgien und die Niederlande, hingegen das Recht erhalten, Reben anzupflanzen.

Ob das aber die europäischen Winzer, die, an der Luxemburger Mosel inklusive, vor dem gefürchteten Produktionsanstieg und dessen Begleiterscheinung, dem Preisdumping, schützen wird, ist fraglich. Denn die Billigkonkurrenz mit ihren quasi industriell hergestellten Tafelweinen drängt seit Jahren aus der Neuen Welt, also Australien, Chile oder Argentinien nach Europa hinein, so dass der Preisdruck in den unteren Qualitätsebenen ohnehin hoch ist und in absehbarer Zeit nicht abreißen wird. Genau in diesem Segment, den Tafelweinen, wurde in den vergangenen Jahren in der EU ausgerodet, vor allem in Spanien, Frankreich und Italien. Deshalb verfügen diese Länder über relativ große Reserven in den Bepflanzungsrechten, was heißt: Sie könnten ihre Produktion deutlich anheben – auch ohne Liberalisierung der Bepflanzungsrechte.

Die Preisproblematik im unteren Qualitätssegment müssen die Winzer also so oder so angehen. Auch in Luxemburg. Zwar hat sich an der Luxemburger Mosel viel in Sachen Qualität getan. Was einerseits auf einen Generationenwechsel in vielen Betrieben zurückzuführen ist, in denen in den vergangenen Jahren gut ausgebildete Nachfolger die Güter ihrer Eltern übernommen haben, wie auch Fischer und Ley vom Weinbauinstitut bekräftigen. Und andererseits auf die gemeinsamen Bemühungen vom Politik, Verwaltung und Beruf zurückgeht, die Qualität der Produktion insgesamt durch höhere Produktionsstandards innerhalb der Marque nationale oder durch die Einführung von Charta-Weinen zu steigern. Dennoch befürchten die Winzer, auch die Preise ihrer hochwertigen Produkte könnten durch eine liberalisierungsbedingte Überschwemmung des Marktes mit Billigprodukten unter Druck geraten.

Und: Auch in Luxemburg gibt es Tafelwein sowie verschiedene Quali-tätsebenen innerhalb der geschützten Marque nationale der Luxemburger Mosel, die durch die Bezeichnungen „marque nationale“, „vin classé“, „premier cru“ und „grand premier cru“ unterschieden werden. Vergangenes Jahr flossen laut Tätigkeitsbericht des Landwirtschaftsministeriums 69 000 Hektoliter der Luxemburger Weinproduktion in den Export, hauptsächlich nach Belgien, Deutschland und Frankreich, rund 50 Prozent im Verhältnis zur Jahresproduktion und fast ausschließlich Erzeugnisse der unteren Qualitätssegmente. Tafelweine oder solche mit der Basisauszeichnung der Marque nationale. Ein Segment, das dem internationalen Billigwettbewerb besonders ausgesetzt ist.

Dabei ist der Export fest in der Hand der Genossenschaftskellereien. Bei 94 Prozent lag 2011 ihr Anteil an den Ausfuhren. „Zwischen 55 und 60 Prozent unserer Produktion geht in den Export“, sagt Georges Schaaf, Direktor der Caves Vinsmoselle, „was ungefähr 40 Prozent des Umsatzes entspricht“. Klar und deutlich: ein defizitäres Geschäft. Ein Problem, das die Genossenschaftskellereien, die zwei Drittel der Luxemburger Anbaufläche bewirtschaften, Liberalisierung der Bepflanzungsrechte hin oder her, nur durch Qualitätssteigerungen lösen können. „Wir können uns nicht mit der Konkurrenz der liberalisierten Märkte messen“, sagt Schaaf, „wir sind ein Hochlohnland.“ Hinzu kommt, gibt seinerseits Leonardy zu bedenken, dass sich eine Vielzahl der Luxemburger Weinflächen in Hang- und extremen Schräglagen befinden, was die Bewirtschaftung schwierig und dadurch teuer macht.

Deswegen muss die Vinsmoselle alle Bemühungen darauf konzentrieren, aus dem Billigsegment herauszukommen. Was sie mit einigem Erfolg durch die Produktionsveredlung, der Herstellung von Crémant-Weinen versucht, – ihre Produkte haben in den vergangenen Jahren zig internationale Auszeichnungen erhalten. Sowie durch die Einführung so genannter Charta-Weine innerhalb der Genossenschaft. Die Produktionskriterien solcher Charta-Weine – in der Charta festgelegt – sind besonders hoch und werden den Winzern entsprechend besser vergütet.

„In Europa und der Welt insgesamt wird sich die Weinproduktion immer mehr in zwei Blöcke aufteilen“, so die Analyse Hubert Clasens, Direktor der Caves Bernard Massard. Blöcke, die man zusammengefasst so beschreiben kann: klein, artisanal und in der Herstellung auf geschmacklichen Eigenheiten von Pflanze und Boden ausgerichtet. Und andererseits: groß, in der Fläche, im Volumen, im Marketing auf gleichbleibenden Einheitsgeschmack ausgerichtet. Weil sich die nördlichen Gegenden zu denen Clasen Luxemburg zählt, aufgrund der klimatischen und sozialrechtlichen Bedingungen nicht für die Massenproduktion der zweiten Art eignen – im Süden Europas gibt es Privatkellereien, deren Anbaufläche größer ist, als die gesamte Anbaufläche Luxemburgs – müsse man sich quasi zwangsläufig im ersten, dem Premium-Segment, ansiedeln. „Dann müssen wir auch ein Produkt anbieten, das dem entspricht.“ Denn im Export, auf dem wichtigen belgischen Markt, würden die Luxemburger bereits jetzt schon Marktanteile einbüßen, beispielsweise beim Crémant, dem die Belgier zunehmend spanischen Cava vorziehen würden.

Dass der Weinkonsum auch in Luxemburg ständig sinkt, erleichtert die Situation der Winzer nicht – zumal weil, seit die Luxemburger auf den Geschmack für Rotwein gekommen sind, die Verkaufsraten Luxemburger Erzeugnisse schneller sinken als der Konsum insgesamt. Da die Kundschaft der Luxemburger Winzer traditionell auch einen Luxemburger Pass trägt, machen sich derzeit alle Akteure intensiv Gedanken darüber, wie sie den Zuwanderern den Luxemburger Wein schmackhaft machen können. Weil diese Problematik nicht direkt mit der Liberalisierungsthematik zusammenhängt, arbeitet man im Weinbauinstitut an neuen, höheren Qualitätsstandards für die Marque nationale. Die Initiative sei bei den Winzern gut angekommen. Man warte auf die Genehmigung aus Brüssel.

Michèle Sinner
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