Das Museum als politisches Instrument

Zu viel Tradition?

d'Lëtzebuerger Land vom 17.05.2019

Heutzutage definieren sich Museen als gesellschaftliche Foren der Diskussion, als Labore, in denen die Stimmen des Publikums genauso zum Tragen kommen sollen wie jene der Kunst- und Kulturexperten. Sie heben sich damit explizit von ihrer etymologischen Begründung als Tempel der Musen ab. Bereits 1971 aber schrieb der Direktor des Booklyn Museum selbstkritisch über die Rolle und Definition der Museen in seinem Artikel „The Museum, a Temple or the Forum“: „Our museums are in desperate need of psychotherapy. There is abundant evidence of an identity crisis in some major institutions, while others are in an advanced state of schizophrenia.“ Diese markante Formulierung ist 48 Jahren später und angesichts einer zunehmend autoritär regierten Welt zutreffend.

Gerade in Zeiten der politischen Umbrüche sind Museen aufgefordert, ihren gesellschaftlichen Wert neu zu eruieren, zählen sie zu den letzten Orten, an denen noch Vertrauen herrscht. Der weltweite Rechtsruck wird vielerorts durch eine Erschütterung des Vertrauens in politische Systeme begründet und beflügelt. Museen als identitätsstiftende und demokratische Orte, an denen Freiheit und Autonomie propagiert werden, geraten zunehmend unter Druck und werden zum Schauplatz von politischen Machtkämpfen. Die Frage nach der künstlerischen Freiheit und Meinungsfreiheit nimmt eine neue Dringlichkeit ein.

Weltweit steigt die Anzahl der verfolgten Künstler, der zensierten Kunstwerke und auch der getöteten Journalisten an. So wurden 2018 beispielsweise 80 Journalisten umgebracht, 15 mehr als im Jahr zuvor. In vielen Ländern werden Künstlern und Kunstschaffenden strengere Reglementierungen auferlegt, die eine freie Ausübung ihres Schaffens behindern. Im Bangladesch zum Beispiel wurde Schriftstellern verboten, anstoßend über Religion zu schreiben. Die kubanische Regierung ihrerseits hat sich mit dem „Decree 349“ die Möglichkeit geschaffen, zu entscheiden, wer Künstler ist und wer nicht. Künstler, respektive Kultureinrichtungen, müssen vor der Installation eines Kunstwerks im öffentlichen oder privaten Raum eine Genehmigung beim Ministerium für Kultur einholen. Die sich aktiv gegen das neue Gesetz auflehnende Künstlerin Tania Bruguera wurde in den letzten Monaten mehrmals für 24 Stunden inhaftiert. Aber auch in der Ukraine sind Kunstwerke einer verschärften Aggression ausgesetzt. Seit 2009 zerstört oder boykottiert die konservative Gruppierung C14 regelmäßig künstlerische Werke, welche mit der Genderfrage zu tun haben oder politisch orientiert sind.

Auch ist eine Zunahme von politisch motivierten Entlassungen von Museumsdirektoren oder Kuratoren zu verzeichnen. Gründe für eine Abberufung können vielfältig sein, jedoch drücken sie immer eine Ablehnung von neuen Prozessen und Ideen und eine Affinität zur bestehenden Tradition aus. So wurden beispielweise Barbara Majewska und anschließend Anda Rottenberg 1993 respektive 2001 in ihrer Funktion als Direktorin der Galeria Zacheta in Warschau entlassen. Beide verfolgten auf zu selbstständige Weise ein Ausstellungsprogramm, welches nicht konform zu den politischen Vorstellungen war. Anda Rottenberg wurde insbesondere wegen des Zeigens von mehreren provokativen Kunstwerken abgesetzt, unter anderem von dem Werk La Nona Ora von Maurizio Cattelan (kuratiert von Harald Szeemann), welches den Papst Johannes Paul II von einem Meteoriten erschlagen darstellt, und The Nazis von Piotr Uklański. Die Papstdarstellung löste beim Publikum heftige Kritik aus und veranlasste zwei polnische Parlamentarier, den Meteoriten zu entfernen, sprich das Kunstwerk zu zerstören. Das Werk von Uklański wurde nach der Entlassung von Rottenberg ebenso aus dem Museum entfernt. Interessant ist, dass es zwölf Jahre später nochmals in Warschau gezeigt wurde, dann aber kein weiteres Aufsehen erregte.

Insbesondere auch Geschichtsmuseen stehen unter genauer Beobachtung von rechtspopulistischen Regimen. So wurden im April 2017 Paweł Machcewicz, der Direktor des Museums des Zweiten Weltkriegs in Danzig, und seine engsten Mitarbeiter entlassen, weil die Ausrichtung des Museums mit einer europäischen Perspektive auf den zweiten Weltkrieg nicht konform zur Leseart der Regierung war. Offen wurde in Reden der Minister dargelegt, dass die Regierung über das Recht verfügt, Museen zu kontrollieren, da sie demokratisch vom Volk gewählt wurde. Eine Autonomie von Kunst und Wissenschaft scheint hier keine Rolle zu spielen; das Museum wird zum politischen Instrument, um eine vordefinierte und oftmals einseitige Sicht auf die Geschichte zu veranschaulichen.

Am 18. April wurde die Abberufung von Jiri Fajt, Generaldirektor der National Gallery Prague, und Michal Soukup, Leiter des Museums der Kunst in Olmütz, bekanntgeben. Beiden wird eine nicht saubere Budgetführung vorgeworfen. International werden auch diese beiden Entlassungen als politisch motiviert angesehen. Die radikale Neuausrichtung der National Gallery auf zeitgenössische Kunst und Themen hin durch Fajt stieß so bei manchen Konservativen auf Ablehnung. Nicolaus Schafhausen hingegen kündigte selbst im Mai 2018 als Direktor der Kunsthalle Wien, da er mit der aktuellen Regierung nicht einverstanden ist. Es ist kein Geheimnis, dass autoritäre Regierungen und rechtsorientierte Parteien sich an traditionellen Werten orientieren und diese über eine geübte Rhetorik als gesellschaftliche Ideale suggerieren. So wird zum Beispiel für eine nationale Leitkultur geworben und sich gegen Genderforschung positioniert. Was aber können öffentliche Museen tun, um sich vor solchen ideologischen Übergriffen zu schützen?

Der Einseitigkeit einer Leitkultur wird die Multiperspektive entgegengesetzt. Auch Methoden, welche Ko-Kreation, Partizipation und Empowerment der Bürger anstreben, werden immer breiter in Museen ausgeübt. Der öffentliche Raum soll hierbei als Diskussionsfläche genutzt und als politischen Raum begriffen werden. Dennoch, oftmals geht es nicht um die Frage, was ein öffentliches Museum leisten kann und soll, sondern was es darf. Tatsächlich sind öffentliche Kulturinstitutionen in Ländern wie Deutschland zur politischen Neutralität verpflichtet. Das heißt, sie dürfen sich öffentlich gegenüber einer politischen Partei weder positiv noch negativ äußern. Verschiedene Formate, die politisch angehaucht sind, dürfen folglich nicht über öffentliche Steuergelder, sondern nur über Drittmittel finanziert werden. Wie kann eine solche Institution also seinen Besuchern Empowerment vermitteln, wenn man selbst sich nicht positionieren darf? Der White Cube als Raum der Abstraktion steht nach wie vor stellvertretend für die Verdrängung jeder Kontextualisierung zugunsten der reinen Wirkung von Kunst und ihrer Aura. Müssen also nicht grundsätzlich die Strukturen und eigene Tradition des Museums radikaler neu gedacht werden in politisch komplexen Zeiten?

Auf Trumps Dekret zum Einreiseverbot vom 27. Januar 2017, welches eine die menschliche Freiheit einschränkende Maßnahmen darstellt, reagierte das Museum of Modern Art in New York mit einer Neuhängung im fünften Stock. Werke von Künstlern wie Zaha Hadid, Charles Hossein Zenderoudi oder Ibrahim el Salahi wurden anstelle von Gemälden von Henri Matisse, Pablo Picasso oder Francis Picabia gezeigt. Die Beschriftung der Werke wurde mit dem Hinweis versehen, dass die Künstler aus einem der sieben Länder stammen, deren Bürgern ein Reiseverbot auferlegt wurde. Das Guggenheim reagiert mit viel Humor auf die Anfrage von Trump, das Gemälde Landschaft im Schnee von Van Gogh während seiner Amtszeit im Weißen Haus zeigen zu können. Die Chefkuratorin Nancy Spector lehnte die Anfrage ab, mit der Begründung, dass das Werk nur in wenigen Ausnahmen reisen könnte, und gab die 18-Karat-Goldtoilette von Maurizio Cattelan als Alternative an.

Über einzelne Methoden und Aktionen hinaus, sind Kulturinstitutionen bemüht, sich weltweit untereinander noch besser zu vernetzen und Erfahrungen auszutauschen. Das Netzwerk und die Solidarität unter den Museen sollen sowohl als Möglichkeit dienen, entlassene Kollegen aufzufangen, als auch eine symbolische Wirkungskraft gegenüber traditionalistischen und ideologischen Bestrebungen darstellen.

Florence Thurmes
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