Als in den Fünfzigerjahren die Technik und Organisation des Weinbaus modernisiert wurden und Luxemburg die Kanalisierung der Mosel aufgezwungen bekam, ging für die Flussanrainer eine Epoche zu Ende. Als Ergänzung zum neuen Fortschrittsglauben nach dem Krieg brauchten sie also eine Sicherheit versprechende Konstruktion von Tradition und Identität.
Zu diesem Zweck feierte das kleinste Winzerdorf, Schwebsingen, am 23. August 1953 sein erstes großes Weinfest. Über die Förderung des Weinhandels hinaus erhob das Fest einen kulturellen Anspruch, der Weinbrunnen "der Kinder mit den Trauben" wurde in Betrieb genommen und der Grundstein eines Freilichtmuseums gelegt.
"Um dieser ersten Moselfeier ein dauerhaftes Andenken zu verschaffen, wurde unter Mithilfe namhafter Historiker und Schriftsteller eine Monographie der Ortschaft Schwebsingen sowie Beiträge über die Weinkultur unserer Mosel veröffentlicht," erinnerte sich Herausgeber Martin Gerges in Heimat + Mission 10/1975 (S. 206). "Der Erfolg der ersten Moselpublikation war so groß, dass eine zweite Auflage in Auftrag gegeben werden musste und dass die Schwebsinger Initiatoren sich ermuntert sahen, zu ihrem zweiten Fest 1954, ein weiteres Weinbuch Notre Moselle, notre vin herauszugeben."
Und das ging so weiter, 1955, 1956, 1957... mit Broschüren über Moselgedichte, Weinbau, Pfarrregister, Lokalgeschichte, Schifffahrt und Folklore. Martin Gerges, der liberale Volksschullehrer aus Schwebsingen, wurde ein Phänomen in der Luxemburger Verlagsgeschichte.
Weitgehend auf sich selbst gestellt, mit eigenem Kapital und vor allem von seiner Familie unterstützt, brachte Gerges innerhalb von 45 Jahren 36 Bücher heraus. Lange Zeit veröffentlichten Les publications mosellanes, die er anfänglich auch D'Schwétzbénger Muselpublikatiounen, Publication mosellane de Schwebsange oder Die Schwebsinger Mosel- und Weinpublikationen nannte, praktisch jedes Jahr ein Buch. Auch als das Luxemburger Verlagswesen um ihn herum rasch zu verarmen und sich auf Kochbücher, Reiseführer und illustrierte Firmengeschenke zu beschränken begann, fuhr Gerges mit dem alles andere als ertragreichen Geschäft fort.
Ebenso bemerkenswert wie diese Hartnäckigkeit war die Ausrichtung des Verlags. Bis Ende der Achtzigerjahre befassten sich alle seine Bücher mit der Mosel, ob historisch, wirtschaftlich, literarisch oder künstlerisch. Dieser Lokalpatriotismus erinnert an eine Zeit, als das kulturelle Leben noch nicht in der Hauptstadt zentralisiert war, als es noch eine Obermosel-Zeitung, ein Diekircher Wochenblatt gab und das Escher Tageblatt sich so nannte.
Martin Gerges hatte es sich zum Ziel gesetzt, die kulturellen Eigenarten der Moselgegend zu betonen, die ihre wirtschaftliche Grundlage im Weinbau und der Schiffahrt haben und durch einen eigenständigen Wahlbezirk sogar politisch anerkannt sind. Und weil Gerges am 11. Dezember 1919 in Schwebsingen geboren wurde, schien er den Südteil der Moselgegend für den authentischsten zu halten.
Zu den bemerkenswertesten Veröffentlichungen der Publications mosellanes gehören die große Regionalmonographie La Moselle, son passé, son avenir (1958), Robert Bruchs Übersetzung von Ausonius' Mosella ins Luxemburgische (1959), Jacques Merschs Band über die Igeler Säule (1985), die Schifffahrtsgeschichte von Georges Konsbruck (1970) und das Memorial 1989, das zu einer Art Nationalenzyklopädie bei Gelegenheit der Unabhängigkeitsfeiern wurde. Besonders stolz schien der Verleger, neben dem Memorial 1989, auf die Mondorf-Monographie (1997) und Romain Urhausens Fotobuch mit Autographen Le Canal (1964) gewesen zu sein.
Im Laufe der Jahre veröffentlichten die Publications mosellanes auch illustrierte Monographien fast sämtlicher Moselmaler, die wichtige kulturgeschichtliche Dokumente sind, auch wenn es ihren Autoren, wie anderen Verfassern der Verlagsreihe, manchmal an kritischer Distanz zum Gegenstand ihrer Betrachtungen fehlte.
Martin Gerges selbst publizierte in den Schriften seines Verlags, aber auch im Lëtzebuerger Land und dem Lëtzebuerger Journal, vor allem über die Mosel. Neben der Mosel galt sein besonderes Interesse Erziehungsfragen, denen er ebenfalls zahlreiche Zeitungsartikel widmete. Der Absolvent der Lehrernormalschule hatte nach dem Krieg in Paris Psychologie und Pädagogik studiert und sich als einer der Pioniere der Ligue HMC und beim Aufbau des Komplementärunterrichts um die schulische Integration verdient gemacht.
Am 12. August verstarb Martin Gerges. Zu seinem Andenken wollen seine Angehörigen den am 8. November 1983 in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umgewandelten Verlag fortführen, mit den Schwerpunkten Essayistik und Kunstkataloge.
Titel ohne Autorenangabe sind Anthologien
1953 La Fontaine des enfants aux raisins
1954 Notre Moselle, notre vin
1955 La Moselle poétique
1956 Le vignoble luxembourgeois
1957 La route du vin
1958 La Moselle, son passé, son avenir
1959 Mosella, eis Musel zur Rëmerzeit
1959 Dem Decimus Ausonius seng Rés op d'Musel vum Robert Bruch
1960 Lebendige Mosel
1961 Op der Musel
1962 Mosaïque mosellane
1964 Romain Urhausen (photos): Le canal
1968 Voies de communication au pays mosellan
1970 Georges Konsbruck: Les principaux cours d'eau et la navigation du Départements des forêts (1795-1814)
1972 Joseph Hess: A Possen, Bechkleinmacher
1973 Robert Stümper: Frantz Seimetz, ein Künstlerleben
1974 Pierre Hauffels: Der Feuersalamander von Frantz Seimetz im Spiegel seiner Heimatstadt Grevenmacher
1974 Michel Raus: Nico Klopp. Das Licht der Schatten. Biographischer Versuch
1976 Alphonse Krier: Sonn a Frascht, Gedichter vun der Musel
1977 Madelaine Frieden Kinnen, Gaston Mannes: Jean-Pierre Beckius
1979 Ger Maas, Martin Gerges: Carnet mosellan
1982 Norbert Thill, Michel Schmitt: Traube und Rebe in der religiösen Kunst Luxemburgs
1982 Jos. Sünnen, der Moselmaler aus Bech-Kleinmacher
1985 Jacques Mersch: La colonne d'Igel, das Denkmal von Igel
1985 Jean-Paul N. Hoffmann: Standardsprache und Dialekt in der saarländisch-lothringisch-luxemburgischen Dreiländerecke
1987 Joseph Leydenbach: Ernest Wurth
1987 Pol Tousch, Baba Tissen: Dem Foni Tissen seng Welt
1988 Jos Schumacher: Chronik der Gemeinde Wellenstein. Der Hof und die Meierei Remich. Bd. 1
1989 Jos Schumacher: Chronik der Gemeinde Wellenstein. Der Hof und die Meierei Remich. Bd. 2
1989 Memorial 1989
1991 Mars Klein: Heimat im Gepäck
1994 Carlo Schmitz, Michel Raus: Commedia dell'arte
1996 Dessine-moi un Euro
1997 Hubert Wurth
1997 Domaine thermal: Mondorf, son passé, son présent, son avenir
1998 Michel Raus : Een Plaimchen aus maim Diwi