Kroatien in der EU

Dabei sein ist alles

d'Lëtzebuerger Land vom 28.06.2013

Sechzig Prozent. So deutlich fiel im vergangenen Jahr das Abstimmungsergebnis beim EU-Referendum für den Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union aus. Sechzig Prozent. Eine deutliche Mehrheit. Doch schaut man auf die Beteiligung am Referendum, bekommt das Ergebnis einen Schönheitskratzer. Nicht einmal die Hälfte der wahlberechtigten Kroaten gaben ihre Stimme ab. Warum auch? Gegner des EU-Beitritts hatten keine Argumente, die das Draußenbleiben rechtfertigten. Befürworter brauchten keine Gründe. Bei der Europäischen Union gilt beinahe das olympische Motto: „Dabei sein ist alles!“ Oder: Man kann nicht nicht mitmachen. So tritt Kroatien am 1. Juli als 28. Mitgliedsland in die Europäische Union ein. Dann will sich die Union eine Pause gönnen, bevor sie über weitere Aufnahmen nachdenkt.

Europa kommt. Einfach so. Das wenig emotionale Verhalten der Kroaten bezeichnet der Balkan-Korrespondent Norbert Mappes-Niediek auch als Vormauer-Syndrom. Demnach sind die eigenen Landsleute „die besseren Europäer im Vergleich zu den wert- und machtvergessenen Genossen drinnen, innerhalb der Mauern Europas, die es sich gut gehen lassen, denen alles Europa selbstverständlich und deshalb auch nicht schützenswert ist“. Die wahren Europäer – und dazu zählen sich die Kroaten ohne Wenn und Aber – habe ein widriges Schicksal vor den Mauern Europas angesiedelt und zurückgelassen. Ein Syndrom, das in den Gesellschaften Südosteuropas sehr verbreitet ist und seine Wurzeln in der Geschichte und dem Selbstverständnis der Region hat. Diese Historie baut darauf auf, dass der Balkan lange Zeit das Bollwerk Europas gegen türkische, arabische und osmanische Einfälle war. Nun erwartet man ein Return on Investment für diesen historischen Blutzoll.

Die wirtschaftlichen Erwartungen an den EU-Beitritt sind eher gering. Die Mitgliedschaft wird zunächst Nachteile bringen, denn mit dem Beitritt erlischt Kroatiens Zugehörigkeit zur mitteleuropäischen Freihandelszone. Ihr gehören – außer Slowenien – alle jugoslawischen Nachfolgestaaten sowie Moldawien an. Dadurch wird der Export zunächst zurückgehen – etwa bei landwirtschaftlichen Produkten. Deren wichtigsten Absatzmärkte waren bislang Bosnien-Herzegowina und Serbien. Dort werden sich ab dem 1. Juli kroatische Produkte deutlich verteuern. Der Absatzrückgang wird sich durch den Binnenhandel in der EU nur teilweise kompensieren lassen, da die kroatische Landwirtschaft hier in direktem Wettbewerb zu Spanien, Griechenland und Italien steht. Auch für Kroatiens Werftenindustrie gelten ab dem 1. Juli andere Regeln und andere Marktbedingungen. Versprechen für Wohlstand und Aufschwung klingen anders. Dabei braucht Kroatien ökonomische Perspektiven. Im fünften Jahr in Folge rutscht das Land immer tiefer in die Rezession. Die Auslandsverschuldung liegt bei über hundert Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Arbeitslosenquote beträgt 16 Prozent. Auch wenn sich kurzfristig daran nichts ändern wird, bleibt die EU langfristig der Schlüssel zu einer wirtschaftlichen Gesundung des Landes. Hoffnungsträger ist dabei vor allem der Tourismussektor. Küstenabschnitte wie die Côte d’Azur und Inseln wie Mallorca. Allein es fehlt an Investoren, die dieses Potenzial heben und entwickeln.

Für die Kroaten gibt es derzeit keine Alternative zur EU. Es ist eine Entscheidung über Zukunft und Lebensstile, eine Entscheidung zwischen dem fortschrittlichen, liberalen Europa auf der einen Seite und rückwärtsgewandten, panbalkanischen Kräften andererseits. Auch wenn die EU sich eine Besinnungspause verordnet und weitere Aufnahmen auf die lange Bank schiebt, werden vor allem die Kroaten darauf drängen, dass die Südosterweiterung der Union rasch weitergeht. Im Nachbarland Bosnien-Herzegowina stellen Kroaten und Serben zusammen fast die Hälfte der Bevölkerung. Ohne eine geordnete Koexistenz von Zagreb und Belgrad kann Sarajewo keinen Bestand haben. Für diese Koexistenz braucht es aber die Erweiterung der Europäischen Union. Nur sie kann einen Stabilitätsrahmen in der Region bilden, in dem später auch Kosovo sowie Albanien eingebunden werden können.

Von den post-jugoslawischen Staaten war bislang Slowenien der einzige Mitgliedsstaat der EU. Im Mai 2004 trat es der Union bei und führte drei Jahre später den Euro ein. Mit einem Gesamtschuldenstand von 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gilt Slowenien derzeit als nächster Anwärter des Euro-Rettungsfonds. Serbien ist seit dem EU-Gipfel vom März 2012 Beitrittskandidat. Verhandelt wird jedoch noch nicht. Bei Mazedonien scheiterten Aufnahmegespräche am Veto Griechenlands. Grund dafür ist der Namensstreit zwischen Athen und Skopje. Nach Auffassung der Griechen ist „Mazedonien“ ein griechischer Name, der von der ehemaligen jugoslawischen Republik nicht verwendet dürfe. Montenegro wird seit Ende 2010 als Beitrittskandidat geführt. Noch in diesem Jahr soll mit den Verhandlungen begonnen werden. Ein Beitritt vor 2020 ist jedoch unwahrscheinlich. Zwischen Bosnien-Herzegowina und der EU gibt es seit 2008 ein Assoziierungsabkommen, das von Brüssel aber bislang nicht ratifiziert wurde. Ein offizielles Beitrittsersuchen sollte 2011 gestellt werden, blieb aber bislang aus. Der Status von Kosovo ist noch umstritten. Griechenland, die Slowakei und Spanien haben das Land bislang nicht als souveränen Staat anerkannt.

Martin Theobald
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