Ein wahres Wunder

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d'Lëtzebuerger Land vom 18.05.2012

Heute loben wir ein wahres Wunder. In der Regel sind wir ja vorsichtig, um nicht zu sagen ausgesprochen skeptisch, wenn sich plötzlich alle Schleusen der Volksbegeisterung öffnen. Verkündet der Premier zum Beispiel mit Vorbedacht und Nachdruck „eine gute Nachricht für unser Land“, hören wir reflexartig die Übersetzung gleich mit: „Liebe Landsleute, ich muss euch leider etwas sehr Teures verklickern, eine Hiobsbotschaft für unser ohnehin fragiles Staatsbudget, einen unverhofften Sprengsatz in unserem schönen Austeritätsprogramm.“

Und wir fragen uns, bevor es überhaupt zu euphorischen Regungen kommen kann: Ja, was gibt es denn groß zu erzählen, wenn ein Mann und eine Frau beschließen, zu heiraten? Wo wäre da ein Grund zur vorauseilenden Glückseligkeit? Nichts ist banaler als die Ehe, und nichts ist vergänglicher. Betrachten wir die rasant ansteigende Zahl der Scheidungen und die Massenflucht ins Single-Dasein, müssen wir gar nachhaken: Ja, ist dieses Beziehungsmodell denn nicht längst im Kern gescheitert? Wäre es nicht an der Zeit, andere, weniger krisenanfällige Methoden des Zusammenlebens zu erproben?

Aber diesmal haben wir derart düstere Gedankenspiele gleich im Keim erstickt. Denn Herrn Junckers „gute Nachricht für unser Land“ ist tatsächlich ein Glücksbringer der allerobersten Kategorie. Nicht etwa, weil die beiden Heiratswilligen tief katholisch sind bis in die Fingerspitzen und Zehennägel. Wir geben zu: Sie passen wunderbar zum galoppierenden Missionierungsgehabe des neuen Erz[-]bischofs Sushimaki. Diese beiden Hochwohlgeborenen sind derart vorbildliche Katholiken, dass sie glatt als lebende Osterkerzen durchgehen könnten. Insofern sorgen sie schon mal für Kontinuität. Wir brauchen zuverlässige Barrieren gegen die moslemische Überfremdung. Nie wird hier ein Islambewunderer den Thron besteigen, soviel ist sicher.

Die „gute Nachricht“ liegt auf einem anderen Plan. Hier wird endlich eine Asylbewerberin mit Anstand und Würde behandelt. Sie wird nicht sogleich in eine Petinger Container-Bruchbude verfrachtet, man droht ihr nicht mit Ausgangssperren und Über[-]wachungsschikanen, ihre künftigen Kinder dürfen ganz selbstverständlich in luxemburgischen Klassensälen verkehren. Unsere Regierung hat demnach in der Asylrechtsfrage einen spektakulären Sinneswandel vollzogen. Schluss mit den herablassenden, bürokratisch betonierten Staatsallüren gegenüber Schutzsuchenden! Schluss mit der systematischen Abschiebung in menschenunwürdige Gettos! Bei strenger Auslegung ist das großherzogliche Palais zwar auch ein Getto, aber ein mit Gold gepflastertes. In diesem Kokon lässt sich leben; das tumbe Volk darf ruhig außen vor bleiben.

Überhaupt hat sich der Hof um die liebevolle Aufnahme und Betreuung von Asylbewerbern hoch verdient gemacht. Schon unser Großherzog schloss eine verfolgte, von Castros Schergen erbarmungslos gejagte Kubanerin so liebevoll in seine Arme, dass seither fast schon Palmen sprießen auf dem Boulevard Royal. Entschuldigung, das ist jetzt natürlich nur eine Metapher, wir möchten eigentlich sagen: Der Hof hat längst den Grundstein für eine demokratische Asylbewerberpolitik gelegt, er scheut sich nicht, einmal bis tief hinein in die Karibik nach geeigneten Kandidatinnen für einen lebenslangen Wellness-Aufenthalt im Palais zu suchen.

Die neueste staatlich geförderte Asylantin kommt zwar „nur“ aus Belgien, aber darüber sollten wir exotikverwöhnten Untertanen bitte nicht die Nase rümpfen. Nicht nur in Belgien, sondern überall in Europa sind die Adeligen eine diskriminierte Minderheit. Allenthalben schlägt ihnen Ablehnung entgegen, sie sind gezwungen, sich in sündhaft aufwändigen Adelshütten zu verstecken, ihre ganzen Ersparnisse müssen sie verpulvern, um sich selber vor dem Neid und dem Hass der armen Schlucker zu schützen. Überall wird diesen blaublütigen Märtyrern aufgelauert; wenn sie nicht höllisch aufpassen, werden sie im Handumdrehen des Landes verwiesen und müssen sich in der Fremde mit ihresgleichen zusammentun, um ihr einsames Schicksal notdürftig zu meistern.

Als wäre es nicht schon Strafe genug, in Adelskreisen zur Welt zu kommen, tragen die ohnehin Stigmatisierten oft auch noch Namen, die sie schnurstracks dem Volksspott ausliefern. Alix della Faille de Leverghem! Wer so heißt, der wird vom volkstümlichen Sprachempfinden quasi gesteinigt. Wir wagen es fast nicht, den Begriff „Faille“ zu übersetzen. Er bedeutet „cassure, défaut“, wie uns das Wörterbuch belehrt. Unmittelbar abgeleitet ist das ebenso belastende Wort „faillite“. Irgendwie beginnt es uns zu dämmern, in welchen Abgründen des persönlichen Elends die Adeligen vegetieren müssen. Dürfen wir nicht heilfroh sein, einfach und unverfänglich Jempi Schmit, Misch Wagner oder Flëpp Feiereisen zu heißen?

Wir sind auf dem guten Weg. Die Asylantenkrise ist vorbei. Das ist in der Tat eine wunderbare Nachricht. Allen künftigen Asylbewerbern empfehlen wir, nicht länger beim Immi[-]grationsministerium anzuklopfen. Sondern gleich am Schlosstor.

Guy Rewenig
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