Porträt

„Ich liebe es, Geschichten zu erzählen“

d'Lëtzebuerger Land vom 21.08.2015

Eine Weltkarte über dem zerwühlten Bett, ein leer geräumter Schreibtisch, ein Regal voller Videos, die meisten Hollywoodfilme wie American Beauty von Sam Mendes oder Inception von Christopher Nolan. So sieht das Zimmer von Lukas Grevis in Esch aus. „Die Filme habe ich geschenkt bekommen“, betont der Sohn des Luxemburger Grundschullehrers und Autors Michel Grevis und der deutschen Pädagogin Carmen Schürnbrand. Zu seinen Vorbildern zählt der 16-Jährige Terrence Malick oder Jean-Luc Godard. „An Malick gefällt mir die Bildersprache“, sagt der Junge mit der wilden Lockenmähne ernst.

Große Vorbilder für einen Jugendlichen. Aber warum sich nicht hohe Ziele stecken? Sein Weg als Regisseur und Drehbuchautor ist erst kurz, aber bemerkenswert: Sein Debüt drehte der Waldorfschüler für ein einjähriges Schulprojekt. „Das war eine Animation und die Handlung recht simpel“, sagt Grevis. Auf seiner Webseite www.reves-production.com fehlt sie.

Zum Film kam Grevis übers Schreiben: Als 15-Jähriger nahm er mit selbst erdachten Kurzgeschichten an einem Wettbewerb in der Großregion teil und gewann prompt den Preis als Nachwuchstalent. Vergangenes Jahr sammelte Grevis Erfahrungen als Lektor, als er der 96-Jährigen Finny Cazzaro dabei half, die Kriminalgeschichte Bonz ënnen, Bonz uewen zu schreiben. Das Medienecho war – für Luxemburger Verhältnisse – groß.

Lukas Grevis war lange Zeit kein Filmfreak, ins Kino ging er nur ab und zu. Mit dem Schulprojekt packte ihn das Fieber. „Ich liebe es, Geschichten zu erzählen. Und das geht über Film super“, findet Grevis. Wochenlang schaute er jeden Tag mindestens einen Film, studierte Kameraeinstellungen, notierte sich Tricks. Er verschlang Mainstream, Klassiker und Art-Filme: Welles, Godard, Fellini, Scorsese, Tarantino. Dort guckte er sich erste Techniken ab, Weitwinkel, Close up, Halbtotale und mehr. „Die Begriffe habe ich später gelernt“, erzählt Grevis freimütig. Sich die Welt in Filmszenen zu denken, macht er „aus dem Bauch“: Wenn er durch unbekannte Straßen gehe, überlege er sich oft, „wie ich etwas in Szene setzen könnte“, bekennt Grevis, beugt sich vor und formt die Hände so, als habe er ein Objektiv vor sich.

The Adventure of Mount Hope von 2014 ist sein erster richtiger Kurzfilm, den der Schüler für den Drei-Länder-Wettbewerb CréaJeune drehte – und ihn prompt gewann. Idee, Drehbuch, Regie und Produktion stammen von ihm. Der 25-minütige Film handelt von einem Mädchen, dessen Vater trinkt und das fortläuft, um ihren eigenen Weg zu finden. Grevis’ fast zwei Jahre jüngere Schwester Hannah spielt darin die Hauptrolle. Die Stimmung lebt von mystischen Bildern, untermalt von gefühlvoller Musik, ziemlich ruhig für einen Jungen seines Alters. Im Interview wirkt der Schüler nachdenklich, aber nicht humorlos.

Sich selbst beschreibt Grevis als arbeitsam, organisiert – und meinungsstark. „Nicht so schlimm wie Orson Welles“, scherzt er, aber am Set könne er mitunter ein „kleiner Diktator“ sein. Soeben hat er seinen zweiten Kurzfilm Song of the Shells fertig gedreht, dieses Mal mit Studio und professioneller Kameraausrüstung. „Es gibt eine Szene, da müssen die Schauspieler durch eiskaltes Wasser waten. Ich habe sie mehrmals wiederholen lassen. Manchmal muss man provozieren, wenn man bestimmte Emotionen will“, erzählt Grevis grinsend. Gut, dass bei dem 2 000-Euro-Film vor allem Schulfreunde mitmachen.

Der 15-minütige Film handelt von einem Geschwisterpaar auf der Flucht und beschreibt die Beziehung von Bruder und Schwester auf der Reise ins Ungewisse. „Es ist mein erster politischer Film. Ich wollte eine Geschichte erzählen, in der nicht alles schön ist“, sagt Grevis, der auch hier das Drehbuch selbst verfasst hat. Das Geld für die Filmausrüstung gibt der Service national de la jeunesse (SNJ), Grevis steht zudem im regen Austausch mit Filmemachern von Feierblumm Productions Asbl, einem vom staatlich geförderten Verein für junge Künstler aus dem audiovisuellen Bereich.

Während der Ferien absolvierte Grevis ein Schnupperpraktikum bei Paul Thiltges Distributions. Thiltges ist in der Szene ein Begriff: Seine Firma produziert internationale und nationale Filme, wie Le Club des chômeurs des Luxemburger Regisseurs Andy Bausch. „Nach der ersten Woche war ich geschockt über die viele Schreibtischarbeit“, blickt Grevis zurück. Inzwischen schätzt er den Blick hinter die Kulissen: „Einen Plot zu schreiben und einen Film zu drehen, ist das Eine. Aber man muss das Werk auch an die Leute bringen“, weiß Grevis jetzt. Für sein Praktikum musste er Untertitel schreiben, Texte übersetzen und auch Bilder und Hintergründe recherchieren.

Eine gute Vorbereitung für das Studium. Wohin es ihn genau verschlagen wird, weiß Grevis noch nicht. Aber die Richtung steht fest: irgendetwas mit Film. Erst gilt es jedoch, sich auf das Abitur zu konzentrieren. Obwohl seine Eltern – geschieden, beide teilen sich das Sorgerecht – ihn nach Kräften unterstützen und ihm viel Freiraum lassen, haben sie ihm geraten, im nächsten Jahr vielleicht nur ein Projekt zu machen. Die Fußballschuhe, einst wichtiger Ausgleich neben der Schule, hat Grevis für den Film an den Nagel gehängt. „Ich mag abends ins Bett zu gehen und das Gefühl zu haben, ich habe etwas fertiggestellt“, so Grevis über seinen Arbeitseifer, den er gerne im Form von To-Do-Listen festhält.

Vielleicht nicht die schlechteste Angewohnheit, wenn er eines Tages als Filmemacher sein Geld verdienen will. Seit zwei Jahren arbeiten er und ein Freund an einem Langfilm. Arbeitstitel: A Tale of Time. „Das Drehbuch gibt es schon“, sagt Grevis. Die Idee sei ihm in einer langweiligen Mathestunde gekommen. Dass er das nötige Geld dafür erst noch sammeln muss, schreckt ihn nicht: „Das wird schon, es muss eben Low-budget sein“, sagt er optimistisch. Zuzutrauen wäre es ihm.

Ines Kurschat
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