Sommer!

Die große Zeit

d'Lëtzebuerger Land vom 25.07.2014

Gut, dass du da bist, Sommer. Endlich, wurde auch Zeit. Schwitzen, sitzen, ins Nichts schauen, auch wenn es nur ein Parkplatz ist, mit ein paar Mülltonnen und rachitischen Bäumen. Oder eine Kaffeeterrasse am Stadtrand, in der ein paar ältere Herren ihr Bierglas fixieren, ab und zu ein Hund furzt, und Autos vorbei rauschen. Immer wieder, immer noch, es gibt noch Leben auf dem Planeten, bring mir noch eine.

Alle sind weg. Die Ärzte, die Freunde, die Nachbarn. Die Fernsehmoderatoren. Jedenfalls die, die jede Woche zu Besuch kamen, verlässlich. Tschüss, haben sie gesagt, wir sehen uns im September wieder. Anrufbeantworter antworten, sie sagen alle dasselbe, wir brauchen gar nicht mehr anzurufen. Die Reisen sind auch weg, sie sind ausgebucht, sie wurden rechtzeitig ausgesucht von Menschen, die an alles denken. Alle sind weg geflogen und weg gezogen. Sie liegen an diesem oder jenem Meer herum oder laufen durch eine Stadt, die vermutlich sehenswert ist, in der sie lauter Leute wie sie selber sehen. Es gibt aber auch so viel zu sehen! Manchmal würden sie wohl am liebsten nieder sinken und abwinken: Ich werde jetzt einfach hier versteinern. Das Denkmal der unbekannten Touristin, die schöne, gipserne Kacke der Tauben wird ihm die Ehre erweisen, und Liebespaare mit Rucksäcken werden in seinem Schatten lagern.

Dabei ist ja alles so einfach. Wir müssen nirgendwohin. Wir müssen nicht fliegen oder kreuzfahren oder uns auf einen Berg karren lassen, von dem wir hinunter schauen. Wir müssen uns nicht gegen siebzehn Krankheiten impfen lassen und Versicherungen abschließen, die den Fall des Ablebens schon vorhersieht, so vorausschauend sind die. Wir müssen uns nicht entscheiden zwischen all diesen Hotels mit Sternen und Schwimmbädern, die alle immer gleich ausschauen, an Meeren, die auch gleich ausschauen.

Wir können einfach sitzen oder liegen bleiben. Unter einem Birnbaum, z.B.. An einem Fluss, an einem See, wir haben ja einen, oder zwei. In einem Schwimmbad, ein Eis schlecken, den schönen, jungen, starken Menschen zuschauen, den Kindern, die uns ein bisschen anspritzen. Oder gehen, einfach so, vor uns hin. Bis zu einem großen Humpen, z.B., der einen empfängt, mit Fritten, am Horizont. Es gibt einen Haufen Zeit, und Platz, für alle, sogar Parkplatz. Der Wind fährt dem Gras durchs Haar, es ist kein besonderes Gras, hinter oder vor dem Haus, in einer Wiese, in der eine Kuh muht, und noch eine. Es ist kein Steppengras, und der Himmel über dem Gras und der Kuh ist kein afrikanischer, auch kein australischer, er ist ein Himmel von hier, er hängt ein bisschen tief und manchmal tropft es aus ihm. Es gibt etwas, das man Bücher nannte, man kann es in die Tasche stecken und hinein schauen, wenn einen die Wolken, die einsilbigen Kühe und die Blumen in bescheidenen Trachten doch ein bisschen unterfordern. An einer Bushaltestelle z.B.

Wir können uns auch vor die Glotze hängen oder kleben. Tour de Trance ist immer gut, oder Shopping-TV. Ansonsten ist es nicht schön, Leichenteile fallen vom Himmel, sie stinken zum Himmel, wo geht es raus hier.

Früher war es natürlich viel besser. Es gab noch eine echte Saure-Gurken-Zeit. Es war nichts los, und wenn doch, merkte es keiner. Es gab keine Kriege, jedenfalls nicht im Fernsehen, nur kurz in den Nachrichten, und nicht mal in Farbe. Es gab nur ein paar Sender, und wenn die Moderatoren sich von ihren Patienten verabschiedeten, konnten die sich nicht mit auf dahergelaufenen Sendern aufgegabelten Konkurrenten trösten. Sie mussten nicht Al-Islam schauen oder Jerusalem TV, dann wieder schnell zu CNN oder den Russen, wo alle um Leichenteile streiten. Es waren auch nicht ständig melancholische, skandinavische Kommissare unterwegs, es hielt einem nicht auf allen Sendern, die es praktischerweise nicht gab, jemand die Pistole an die Schläfe. Früher, damals, in der guten alten Zeit, fuhr man höchstens noch ein bisschen Traumschiff, oder ließ sich in die Schwarzwaldklinik einliefern.

Die Zeit steht still. Die Zeit tropft. Der Schweiß tropft. Du schaust einer Ameise zu, die an deinem großen Zeh hochkrabbelt. Herr, der Sommer, er ist groß...

Michèle Thoma
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