Schons, Guy: Feuertanz und Firlefanz

Mehr als "Feuertanz und Firlefanz"

d'Lëtzebuerger Land vom 23.12.2004

Wer als Schüler im Geschichtsunterricht einigermaßen aufgepasst hat, dem dürften sich die "Großereignisse" im Europa des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit eingeprägt haben, zum Beispiel die Kreuzzüge, die Minnekunst, Inquisition, Bauernaufstände, Konzile, Reformation und Gegenreformation, Dreißigjähriger Krieg, Pest, Schlachten um Länder und Throne. In seiner Darstellung der "Luxemburger Fest- und Alltagskultur im Mittelalter und früher Neuzeit" verfolgt Guy Schons aufklärerisch eine andere historiografiische Konzeption: Vor der Hintergrundfolie der angedeuteten berühmten Abläufe, die hinreichend abgehandelt wurden, erhellt er sozusagen die kulturelle Infrastruktur der Dörfer, Kleinstädte, Landstriche, Regionen, der Stadt Luxemburg und ihres Umfeldes. Den damaligen Besitz- und Machtverhältnissen entsprechend, schließt er darüberhinaus Gebiete von Eifel, Mosel, Saar, Lothringen und Belgien mit ein. Der Autor wuchtet mit einer solchen Betrachtung "von unten" ein letztlich unerschöpfliches Projekt. Gelingen konnte es nur durch langjähriges Suchen und Auswerten von Handschriften und Druckwerken, nach Recherchen in einheimischen und ausländischen Archiven und Bibliotheken. Erfreulicherweise, weil für das Werk äußerst wertsteigernd, konzentriert sich der Verfasser nicht engstirnig auf die "pure" Kultur, sondern stellt seine Analyse immer in den Zusammenhang von Politik, Wirtschaft und Sozialstrukturen. Dass die Lektüre so ungemein spannend und wissenserweiternd verläuft, erreicht Schons auch durch nahezu 600 Anmerkungen, Quellen-Zitate und eine vortreffliche Bebilderung. Schon wer sich  zum Einstieg nur in diese Gemälde, Grafiken, Karten, faksimilierte Buchkunstseiten vertieft, erhält einen Einblick in die sechs Kapitel des Werkes, die in Anbetracht ihres überbordenden Materials nur grob lückenhaft zu skizzieren sind. Das erste Kapitel widmet sich dem "Klerus und Adel", behandelt unter anderem die "freien Künste", ein ätzender Dorn in den Augen der Kirchenfürsten, die sie bekämpfen. Musiker  und Tänze gelten als Dämonenwerk, Spielleute wurden als Diener des Teufels gebrandmarkt, ehe sie im 12. Jahrhundert als Minnesänger hof- und gesellschaftsfähig wurden. Ein Leitthema ist das Zölibat, häufig Anlass zu volkstümlichen Spottliedern, entstanden aus der Abwertung der Frau als verführerische Teufelin. Der zunehmende Einfluss der französischen Hofkultur begünstigte das Entstehen mannigfacher Spiele und Tänze, etwa bei Turnieren. Es folgt die Beschreibung der Lebens- und "Freizeit"-Verhältnisse von "Bauern und Herren", im Wesentlichen geprägt von Leibeigenschaft und Frondienst. Es überrascht vor diesem Hintergrund, dass den "Unfreien" etwa im 13. Jahrhundert 36 Feiertage zugestanden wurden. Dies begünstigte ihr Ausleben heidnischer Tanz- und Gesangsbräuche. Die Echternacher Springprozession hat beispielsweise dort ihren Ursprung. Der Klerus bekämpfte die musikalischen Ausdrucksformen des Volkes, das orgiastisch zu feiern verstand, eher magischen Naturkräften und Heilkräutern als kirchlichem Segen vertraute. Die extreme Form dieser Abwehr stellten die Hexenverfolgungen dar mit ihren alle Vorstellungskraft übersteigenden Torturen. Jahreszeitlich gebundene Feste wie der Erntedank begleiteten volkstümliche Weisen und Tänze. Nie aber kann von einer ländlichen Idylle die Rede sein; dafür war die Ausbeutung durch die weltliche und kirchliche Obrigkeit zu unerbittlich. Protestlieder entstanden während der Lothringer Bauernaufstände 1525, die auf Saar und Mosel übergriffen. Das erstarkte Bürgertum erlaubte eine gewisse "Narrenfreiheit" bei Fastnachtsumzügen mit Tanz und Musik, bei denen die Zünfte eine gestalterische Führungsrolle übernahmen. Mit seiner Verdammung des Mummenschanzes zog der Klerus den Volksspott auf sich. Auch bei Vieh- und Krammärkten sowie Schützenfesten gab es ein kulturell-musikalisches Beiprogramm. Freudenhäuser und Badestuben, offiziell ins Gemeindeleben integriert und ständeübergreifend frequentiert, boten Lautenspielern Auftritte. Die besoldeten "Luxemburger Stadtmusikanten" begleiteten Umzüge. Der heutzutage hoch gelobte Cusanus diffamierte Spielleute als Hexer, Tänze als Prozession zur Hölle. Auch die folgenden Kapitel "Loskauf, Erbschaftsfolge und Familienrat", "Von der Geburt bis zum Traualtar" und "Ehe und Familienleben, Alter und Tod" veranschaulichen mit Akribie und profunden Erläuterungen den sozialen und kulturellen Mikrokosmos der jeweiligen Epoche. Und immer gibt es kuriose und befremdliche Details: Jüdinnen durften keine Ammen sein, das Tauffest feierten nur die Frauen, oft bis zum Besäufnis, in Arlon gab es einen regelrechten Liebesmarkt, Spinnstuben galten als Lasterhöhlen, Sterbeglocken läuteten am längsten für Männer, die luxemburgische Sprache kennt über 30 Ausdrücke für "Betrunkensein", aber nur wenige für Liebe (z.B. "Ech hunn déch gär") - eine Folge jahrhundertelanger sexueller Unterdrückung. Den Abschluss bildet eine umfangreiche Liedsammlung; sie zeugt von der unbezwingbaren schöpferischen Kraft des Volkes.

Guy Schons: Feuertanz und Firlefanz - Luxemburger Fest- und Alltagskultur in Mittelalter und früher Neuzeit; erschienen unter der Schirmherrschafz des Institut grand-ducal, section des arts et lettres; Luxemburg 2004, 380 S., 49 Euro.

Fritz Werf
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