Biomedizinische Forschung

Gentests statt Prothesen

d'Lëtzebuerger Land du 19.02.2009

Würde man dieser Tage ermitteln, wie bekannt draußen im Land das Vorhaben der Regierung ist, die heimische Wirtschaft in Richtung Umwelttechnologien zu diversifizieren, dann fiele das Resultat vermutlich beachtlich aus. Denn seitdem Anfang Januar der Regierungsrat dem Aktionsplan Umwelttechnologien grünes Licht gab, wird im Zwei-Wochen-Rhythmus etwas Neues dazu verlautbart. 

Dass Luxemburg auch ein Biotechnologie-Standort werden soll, dürfte weniger geläufig sein. Der im April 2007 vom Kabinett verabschiedete Ak­tionsplan Gesundheitstechnologien wurde nie veröffentlicht. Nachdem 14 Monate später mit einigem Pomp eine Forschungspartnerschaft mit drei US-amerikanischen Einrichtungen angekündigt wurde, kehrte wieder Ruhe ein, und das Wirtschaftsministerium teilt zum Thema nur etwas mit, wenn es danach gefragt wird.

Was nicht überrascht. Zum einen ist Biotechnologie als Hightech-Branche keine Antwort auf steigende Job-Angst von Industriearbeitern. Zum anderen geht es Luxemburg ein wenig wie Singapur. Die Regierung des südostasiatischen Stadtstaats meinte um die Jahrtausendwende, dass dessen Volkswirtschaft zu stark von Chemie- und Elektronikindustrie abhänge. Ohne dass es eine Tradition in biomedizinischer Forschung gegeben hätte, aber mit einem Milliarden-Dollar-Aufwand an öffentlicher Förderung und flankiert durch eine der liberalsten Gesetzgebungen der Welt für den Umgang mit menschlichen Embryonen, arbeitet man dort seit 2001 am Aufbau von Biopolis, einem Stadtteil, der momentan über 200 Hektar umfasst, allen nur denkbaren Sparten der Bio-Forschung gewidmet ist und zu einem der führenden Biotechnologiestandorte Asiens gemacht werden soll.

Was Luxemburg vor hat, ist damit zwar weder vom Aufwand, noch von der forschungsethischen Dimension her zu vergleichen. Aber jung ist die biomedizinische Forschung hierzulande noch. Was man „Industrie“ nennen könnte, bezifferte im Jahr 2006 eine Studie des Centre de recherche public de la Santé auf 56 Betriebe, von denen die meisten Pharma-Vertretungen waren. Die bisher aus der Uni und den öffentlichen Forschungszentren hervorgegangenen Start-ups und Spin-offs kann man an einer Hand abzählen. Vor allem wegen des großen Aufwands an hochqualifiziertem Personal und Investitionen schreckte die Regierung noch im April 2007 in ihrem Aktionsplan vor der biomedizinisch orientierten, so genannten „roten Biotechnologie“ zurück, deren Möglichkeiten sie seit 2005 hatte untersuchen lassen. Stattdessen nannte sie das Vorhaben „Ge­sundheitstechnologien“ und schien sich auf das konzentrieren zu wollen, was schon 2002 der damaligen Regierung eine Studie empfahl: Nischensuche in „des domaines applicatifs proches de la médecine et constituant un lien entre la biotechnologie, les matériaux et le milieu hospitalier; par exemple, les implants et prothèses.“ 

Deshalb ist es ein Risiko, worauf die Regierung, die drei Centres de recherche public und die Universität sich einließen, als sie mit den Partnern aus Seattle und Phoenix im vergangenen Herbst die Verträge über die Forschungskooperationen unterzeichneten, in die der Luxemburger Staat in fünf Jahren 140 Millionen Euro investieren wird, und von der man erwartet, dass sie zum Entstehen einer Biotech-Industrie führt: Die Nische heißt Diagnoseverfahren für die so genannte personalisierte Medizin, die zugeschnitten sein soll auf die Gen- und Proteinprofile eines Patienten. Und die Namen der US-amerikanischen Partner, darunter ein Nobelpreisträger, sind so klangvoll, dass der Pharmakologieprofessor Eric Tschirhart, Vizerektor an der Uni Luxemburg und verantwortlich für deren Mitarbeit in dem Vorhaben, gegenüber dem Land meint: „Wenn eine Initiative mit Leuten von dieser Statur schief geht, dann können wir die Biotechnologie in Luxemburg für die nächsten 30 Jahre vergessen.“

Dass ganz schnell etwas schief gehen könnte, damit rechnet allerdings niemand. Und nachdem vor vier Monaten die letzten Vertragsdetails ausgehandelt wurden, nehmen die einzelnen Projekte konkretere Züge an. Ende April soll der Grundstein für das Domizil der IBBL gelegt werden, der Integrated BioBank of Luxembourg, die ein Konsortium aus den drei Centres de recherche public und der Universität gemeinsam mit dem Translational Genomics Research Institute Phoenix (TGen) aufbauen will. Weil es zunächst ein Containerbau sein wird, soll er schon im Juli fertig sein. Bis dahin soll auch der Name des IBBL-Direktors feststehen. Man sei „im Gespräch mit einer im Bereich Biobanken international renommierten Persönlichkeit“, sagt Jean-Claude Schmit, Generaldirektor des CRP-Santé und Vorsitzender der im September letzten Jahres gegründeten IBBL-Stiftung. 

Noch in diesem Jahr soll die Biobank, deren Einrichtung 60 bis 65 Millionen Euro kosten wird, die ersten Blut- und Gewebeproben sammeln. Dass das nicht funktionieren könnte, weil in Europa niemand die genaue Zahl aller Biobanken kennt, ein zum Teil heftiger Konkurrenzkampf herrscht und erst im letzten Jahr eine paneuropäische Biobanking and Biomolecular Resources Research Infrastructure gegründet wurde, glaubt Schmit nicht: „Wir sind schon Mitglied in diesem Verbund. Wir wollen ja kooperieren.“ Denn einerseits bekäme man allein aus Luxemburger Kliniken nie alle nötigen Proben für die anderen luxemburgisch-amerikanischen Forschungs­projekte zusammen. Andererseits solle die IBBL offen sein für alle Forscher – vorausgesetzt, ihr wissenschaftliches Projekt besitzt eine Qualität, die ein noch zu bildendes Comité d‘évalu­a­tion für ausreichend hält. Markenzeichen der Biobank sollen, sagt Schmit, „hohe ethische Standards“ und hypermoderne Analyseverfahren sein. Dafür steht TGen aus Phoenix. „Am Ende werden wir keine Proben rausgeben, sondern Informationen.“ Ein Konzept, das vornherein darauf anglegt ist, auch Betriebe anzuziehen, die die Biobank nutzen möchten. 

Einer ihrer ersten Kunden wird das Lungenkrebsprojekt des Partnership for Personalized Medicine in Phoenix von Medizin-Nobelpreisträger Leland Hartwell sein, dem sich das CRP-Santé anschließen wird. 15 Millionen Euro sind für das Projekt veranschlagt, das Biomarker entwickeln will. Sie sollen aus Veränderungen im Blutproteinaufkommen einerseits auf Lungenkrebs schließen lassen, andererseits darauf, welches Anti-Krebs-Medikament im konkreten Fall wirkungslos bliebe. Nach Möglichkeit soll die Früherkennung durch Proteinanalyse auch auf andere Krankheiten ausgedehnt werden. „Im Gespräch“, so Jean-Claude Schmit, „sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Darmkrebs, Diabetes – im Grunde alle Lifestyle-Erkrankungen.“ 

Das Forschungsvorhaben zwischen der Universität Luxemburg und dem Institute for Systems Biology (ISB) in Seattle ist das wissenschaftlich gewichtigste. Was das Lungenkrebs-Projekt von CRP-Santé und PPM für einzelne Erkrankungen hervorbringen will, wollen Uni und ISB auf den ganzen menschlichen Körper ausdehnen. Aus Seattle stammt die Methode, aus dem „Protein-Fingerabdruck“ eines Tropfens Blut auf den Zustand von bis zu 50 Organen im Körper zu schließen. Eric Tschirhart betont, die Methode stehe in den USA kurz vor ihrer endgültigen Validierung in klinischen Tests. Gemeinsam wolle man sie weiterentwickeln. 

Ein zweites Projekt von ISB und Uni zielt auf verbesserte Gentests ab; sowohl zur Diagnose von Erkrankun­gen als auch zur Vorhersage möglicher Beschwerden. Mindestens hun­dert vollständige Genomsequenzierungen, von denen eine einzige heute noch an die 50 000 Dollar kostet, will man vornehmen, ihre Interpretierbarkeit verbessern, die Tests dadurch billiger und breiter zugänglich machen. Die Ergebnisse der beiden Projekte sollen kombiniert werden und zu völlig neuen Einsichten in die menschliche Biologie führen – eine interdisziplinäre „Systembiologie“, wie sie die Uni Luxemburg selber seit Herbst letzten Jahres in einem Masterstudiengang lehrt. Eric Tschirhart schätzt jedoch, „dass wir in den fünf Jahren unserer Zusammenarbeit mit dem ISB einen Wissensschub erhalten werden, für den 25 Jahre vergehen würden, wenn wir uns ihn selbst erarbeiten müssten.“ Das hat allerdings auch seinen Preis: Von den insgesamt 60 bis 65 Millionen Euro, die für die beiden Vorhaben von Uni und ISB eingeplant sind, ist rund die Hälfte für den Wissenstransfer veranschlagt. In Esch-Belval soll kurzfristig ein Zentrum für Systembiologie entstehen. Dreieinhalb Jahre nach Projektbeginn soll es „auf Augenhöhe“ mit dem in Seattle sein. Seinen Wissenschaftlerkern werden jene 12 Forschungsstudenten ausmachen, die die Uni ab morgen per Ausschreibung sucht und zunächst zur Ausbildung ans ISB schicken wird. 

Und die Risiken bei all dem? – Wahrscheinlich sind sie in erster Linie wissenschaftlicher Natur, falls entscheidende Hypothesen sich nicht bestätigten. Die Analyse des Proteoms zum Beispiel, der Gesamtheit aller in einer Zelle oder einem Lebewesen vorhandenen Proteine, kam nach der Analyse des Genoms auf, gilt aber als noch komplexer. 

Man habe dem vorgebaut, sagt Eric Tschirhart: „Alle 12 bis 18 Monate werden wir nach einem definierten Schema überprüfen, wo wir stehen.“ Man hantiere schließlich mit Steuergeldern. Abgemacht sei, dass man bei Schwierigkeiten gemeinsam nach Auswegen sucht. „Wir hören nicht einfach auf.“ Für den Erfolgsfall dagegen gebe es bereits jetzt konkrete Vorstellungen über Betriebsgründungen aus den beiden Forschungsprojekten heraus. Es würden amerikanisch-luxemburgische Firmen wer­den, eventuelle Patentrechte will man redlich miteinander teilen, und die ersten Businesspläne sind schon geschrieben.

Dass möglichst viel aus der Zusammenarbeit mit den Instituten in Phoe­nix und Seattle wird, hofft man auch im Wirtschaftsministerium. Ne­ben Verhandlungen mit der SNCI, der Spuerkeess und BIP Investment Partners über die Auflage eines Biotech-Risikokapitalfonds, führe man derzeit Gespräche mit drei US-Firmen, die sich vielleicht in Luxemburg niederlassen könnten, sagt Patrizia Luchetta, die für den Bereich zuständige Beamtin. Ergeben habe sich das letzten Herbst, als der Board of Economic Delevelopment in New York für Luxemburgs Biotech-Ambitionen warb. Schon die bloßen Kontakte aber wären kaum zu Stande gekommen, hätte man nicht auf die Vorhaben mit TGen, PPM und ISB verweisen können.

Peter Feist
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