François Bausch erfindet die Landesplanung von unten wieder neu. Denn die Gefahr besteht, dass er andernfalls nicht viel mehr erreicht seine CSV-Vorgänger. Außerdem beginnt der Wahlkampf

Last Exit: Policy Labs

Autos und Bus in der Hauptstadt
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 27.10.2017

Sollte Innenminister Dan Kersch (LSAP) den neuen Flächennutzungsplan von Luxemburg-Stadt ablehnen? Die Frage trifft Landesplanungsminister François Bausch (Grüne) sichtlich unerwartet. Er lacht kurz, schaut dann zur Seite und sagt nur: „Dazu mache ich keinen Kommentar.“

Doch wie die Dinge liegen, kann er nicht zufrieden sein mit dem neuen PAG der Hauptstadt. Dem Plan zufolge könnte die Zahl der Arbeitsplätze in der Stadt bis zum Jahr 2030 auf 230 000 zunehmen, von ungefähr 180 000 heute. Bausch hält schon das für „ungesund“ und sagt: „Bitte keinen neuen Arbeitsplätze in Luxemburg-Stadt!“ Ein bisschen erstaunlich ist das schon, wo die Stater Grünen, die Koalitionspartner auf Abruf der Lydie-Polfer-DP, mehr als ein Jahr lang erzählt haben, „unsere Stadt wird schöner werden“, Arbeitsplatzwachstum hin oder her. Der Landesplanungsminister dagegen sieht durch „das Wachstum“ die „Lebensqualität“ im ganzen Land in Gefahr. „Wir können so nicht weitermachen. Wir müssen das Wachstum, wie wir es die letzten 25 Jahre hatten, in Frage stellen. Wir müssen handeln, sofort!“ So geschehen am Dienstagmorgen auf einer Pressekonferenz zur Landesplanung. Man hätte meinen können, François Bausch sei wieder in der Opposition.

Denn es ist nur ein knappes Jahr her, dass er auf einer großen Konferenz mit dem Titel „Wéi e qualitative Wuesstum fir eist Land?“ in einem Hörsaal der Uni in Belval seinem Publikum doziert hatte, werde die knappe Landesfläche intelligent gemanagt, sei Wachstum kein Problem. François Bausch war es auch gewesen, der immer wieder den Vergleich mit dem Saarland zog, dass so groß ist wie Luxemburg, aber doppelt so voll, „ohne dass es dort drunter und drüber geht“. In einem Gespräch mit dem Land hatte er vor zweieinhalb Jahren Wachstumsbedenken, die Grünen-Wähler womöglich hegen könnten, mit dem Hinweis abgetan: „Wenn man darauf antwortet, dass dann das Rentenniveau gesenkt werden müsste, sehen die Leute das Problem anders“ (d’Land, 27.02.2015).

Dass er das heute offenbar selber anders sieht, dürfte zwei Gründe haben. Zum einen die Wahlen nächstes Jahr. Nach den Zugewinnen der CSV beim kommunalen Urnengang vom 8. Oktober zeigen sich in der Regierungskoalition die ersten Absetzbewegungen. Die Suche danach, was man am besten repräsentieren sollte, hat begonnen. Die LSAP besinnt sich auf ihren sozialen Politikfundus, der Arbeitsminister präsentiert stolz den verlängerten Pappecongé, der Sozialminister verbesserte Leistungen der Krankenkasse. Für die DP flicht der Finanzminister in seine Budgetsried Nachrichten von kleinen Geschenken ein, die sich ebenfalls sozial verstehen lassen, aber mit besonderem Bezug auf junge Leistungswillige. Déi Gréng wiederum erinnern sich, dass Wachstumskritik eigentlich ihr Kerngeschäft ist. Sie der CSV zu überlassen, wäre töricht.

Der zweite Grund für die Wandlung des Landesplanungsministers vom Wachstumsmanager zum Wachstumskritiker ist ein pragmatischerer: Im Prinzip gibt es Raumplanung hierzulande schon seit mehr als vier Jahrzehnten. 1974 erging das erste Landesplanungsgesetz und das erste landesplanerische Leitprogramm (Programme directeur de l’aménagement du territoire) wurde geschrieben. Doch bis heute funktioniert die Raumplanung nicht und es ist ungewiss, ob sie je funktionieren wird.

Zwar wurden schon in den Siebzigerjahren „Raumvisionen“ entwickelt. Konkreter wurde aber erst 30 Jahre später das zweite – heute noch immer gültige – Leitprogramm von 2003. Darin wird das Land in sechs „Planungsregionen“ eingeteilt. Durch eine „koordinierte Entwicklung“ dieser Regionen soll Wachstum sich zum einen in der Hauptstadt, zum anderen in zwei „Oberzentren“ (Esch/Alzette und die Nordstad) konzentrieren soll sowie drittens in 12 weiteren Centres de développement et d’attraction (CDA). Damit sind größere Städte wie Düdelingen und Differdingen gemeint, aber auch kleinere wie Echternach, Remich oder Wiltz. Umgesetzt werden sollte das, so stand es in dem 1999 unter LSAP-Minister Alex Bodry verabschiedeten Landesplanungsgesetz, einerseits durch eine staatliche Top-down-Planung in bestimmten Bereichen über Plans sectoriels, andererseits durch einen Bottom-up-Ansatz, in dem in allen sechs Regionen die Gemeinden „Planungssyndikate“ gebildet, ihre Entwicklung miteinander abgestimmt und mit Unterstützung des Landesplanungsministeriums Plans regionaux geschrieben hätten.

Das planerische Zweierlei hatte seinen Grund. Man war sich schon 1999 darüber im Klaren, dass der Staat, wenn er plant, damit nicht zu weit gehen kann, weil die Gemeinden laut Verfassung ebenfalls eine Planungshoheit besitzen. Und man wusste damals bereits, dass viele Flächen, die verplant werden könnten, sich in Privatbesitz befinden würden. In dem berühmt gewordenen IVL-Konzept von 2004 werden die Regionalpläne das „wichtigste Instrument“ genannt, weil es den hoheitlich planenden Staat und die hoheitlich planenden Gemeinden zusammengebracht hätte und über die Gemeindeebene auch die Bürger beteiligen sollte. Nicht nur als politische Subjekte, sondern nicht zuletzt als Grundstücksbesitzer. Obwohl das IVL, das rechtzeitig vor den Wahlen 2004 vorlag, der CSV und ihrem damaligen Landesplanungsminister Michel Wolter auch dazu dienen sollte, im Wahlkampf zu suggerieren, mit der CSV sei „de séchere Wee“ in den 700 000-Einwohnerstaat möglich, gelang es damit, zumindest der Ansatz eines Konsenses zu schaffen, dass dieses Miteinander möglich sei.

Deshalb ist es ganz bemerkenswert, dass François Bausch mit den am Dienstag angekündigten „re-
gionalen Labors“ wieder zurückwill zum Bottom-up. Nach dem Regierungswechsel 2004 war damit erst einmal Schluss. Michel Wolter, der IVL-Minister, war nicht wiedergewählt worden, sein Ressort übernahm der davon ziemlich überforderte Jean-Marie Halsdorf. Dessen neuer Chef-Landesplaner Romain Diederich fand, mit den vielen Gemeinden Regionalplanung von unten zu machen sei nahezu aussichtslos und viel zu aufwändig. CSV-intern war man dieser Haltung nicht abgeneigt und Michel Wolter versuchte als Fraktionschef und Schattenminister erst einmal eine Territorialreform durchzusetzen: Nach französischem Vorbild sollten kleine Gemeinden in Communautés de communes mit mindestens 3 000 Seelen und grössere in Communautés urbaines mit mindestens 10 000 Einwohnern zusammengefasst werden. Diese Communautés sollten regionale Établissements publics betreiben, die vor allem geplant hätten. Weil LSAP und DP diese Verbünde suspekt waren und sie fürchteten, die CSV plane damit weniger den Raum als den politischen Durchmarsch auf kommunaler Ebene, scheiterte die Territorialreform nach zweieinhalb Jahre langen Diskussionen grandios. Anschließend war die gesamte politische Klasse sich einig, so richtig planen könne nur der Staat. Und sei es mithilfe von Zwangsmitteln, wie etwa einer „Spekulationsbremse“, die auf zu verplanende Grundstücke gelegt worden wäre und deren Preis eingefroren hätte. Was daraus wurde, ließ sich 2014 beobachten, als die vier noch unter CSV-Regie ausgearbeiteten Plans sectoriels für Transportwege, Wohnraum, Gewerbegebiete und schützenswerte Landschaften von der neuen Regierung herausgebracht wurden und nach nur sechs Monaten wegen vieler verfassungsrechtlicher Bedenken wieder zurückgezogen werden mussten. Die Lehre lautete: Gegen die Gemeinden und gegen die Grundstücksbesitzer kann auch eine Regierung nicht alles durchdrücken. Innerhalb von nur ein paar Wochen hatte damals der Präsident des Grundstücksbesitzerverbands, Georges Krieger, von seiner Anwaltskanzlei ein Buch über „une planification inédite“ herausbringen lassen. Man kann es auch drei Jahre später ein Standardwerk zu der Frage nennen, wie juristisch und politisch schwierig Landesplanung ist.

Heute sind die vier Plans sectoriels überarbeitet und erneut veröffentlichungsreif. Vorher soll ein neues Landesplanungsgesetz verabschiedet werden, voraussichtlich noch vor Jahresende. Es soll das 2013 unter CSV-Minister Claude Wiseler entstandene Gesetz ändern, weil dieses 2014 keine verfassungskonforme Basis für die Plans sectoriels bot. Parallel dazu soll eine neue Strategie für das rasch wachsende Land her, das dann dritte landesplanerische Leitprogramm.

Um dieses drehen sich nun François Bauschs Bemühungen. Eigentlich ist es ja widersinnig, dass Plans sectoriels aufgestellt werden, während die Strategie dahinter nach wie vor die von 2003 ist. Dass sie parallel zu den sektoriellen Plänen neu geschrieben würde, begründeten Bausch und seine Beamten 2015 damit, dass die Zeit dränge. Damals glaubten sie noch, bis Ende 2015 könnten Plans sectoriels und Leitprogramm an die Öffentlichkeit. Am Dienstag enthüllte François Bausch, das neue Strategieprogramm könne erst die nächste Regierung fertigstellen.

Das liegt nicht nur daran, dass alles lange dauert. Über das Leitprogramm von 2003 wurde vier Jahre lang debattiert, nachdem 1999 der erste Entwurf vorlag. Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren die Rechtsprechung sich so entwickelt hat, dass es schwieriger geworden ist, Landesplanung im Allgemeininteresse gegen Besitzerinteressen in Stellung zu bringen, ohne dass ein Gericht das als verkappten Enteignungsversuch beurteilt. Weil ein Leitprogramm eine Strategie ist, kann es nicht juristisch verbindlich sein. Deshalb verlangte im August der Staatsrat in einem Gutachten zum neuen Landesplanungs-Gesetzentwurf, das Leitprogramm ausdrücklich nur zum „Orientierungsinstrument“ zu erklären. Alles andere wäre gegen die Gemeindeautonomie und den Schutz des Privateigentums. In seiner Not gab der parlamentarische Nachhaltigkeitsausschuss nach und stufte das Leitprogramm in dessen Bedeutung herab auf den Stand im Landesplanungsgesetz von 1999. Eine Handhabe gäbe das Leitprogramm dann nur noch dem Innenminister, falls der entscheidet, ein kommunaler Bebauungsplan laufe der Strategie fürs ganze Land und somit dem Allgemeininteresse zuwider.

Damit solche Konflikte möglichst nicht vor Gericht enden, wo ihr Ausgang unsicher ist, sollen ab Februar „regionale Labors“ mit viel Bürgerbeteiligung in vier Großräumen stattfinden: zum einen um die Hauptstadt (Agglolux), zweitens um Esch/Alzette (Agglosud), drittens um die Nordstad und viertens im Osten des Landes. Bis Juli sind 80 Sitzungen dieser Labors geplant, angeleitet durch ein zentrales „Policy Lab“, in dem das Landesplanungsministe-rium sich mit Experten umgibt. Im Januar sollen per Ausschreibung pro Region Bürger als „Botschafter“ für die Labors gesucht werden.

Natürlich kann die Übung, die dauern soll, bis der Wahlkampf beginnt, den für den Landesplanungsminister und seine Partei willlkommenen Nebeneffekt haben, sie von Wachstumskritikern wieder zu Wachstumsmanagern zu adeln und obendrein zu besonders bürgernahen. Die von François Bausch am Dienstag präsentierten Zahlen vom „ungesunden“ Wachstum, das in eine „Sackgasse“ führe, und das Eingeständnis, wer als Verkehrsteilnehmer das Gefühl habe, alles werde „immer schlimmer“, habe recht, waren schon die erste Sensibilisierung dafür. Neu sind die von ihm beschriebenen Tendenzen nicht. Schon 2008 hatte Jean-Marie Halsdorf ein „Update“ des IVL publiziert und geklagt, das Wachstum fände überall statt, aber in kaum einem jener „Zentren“, die wachsen sollen. Aber heute besteht, wie es aussieht, keine wirkliche Alternative zu dem Versuch der Konsenssuche über einen neuen landesplanerischen Ansatz. Dass er gut ausgeht, ist nicht gesagt. Heute weiß man nur, dass der gewisse Schwung, der nach dem IVL entstanden war, im Sande verlief. Lässt sich kein neuer Schwung aufbauen, wären die Grünen in der Landesplanung nicht erfolgreicher gewesen als die CSV. Schlimmstens hätte sich dann, wie Karl Marx einst schrieb, die Geschichte erst als Tragödie und dann als Farce ereignet.

Peter Feist
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