Gender-Debatte

Der Aufschrei zu #MeToo

d'Lëtzebuerger Land vom 03.11.2017

Als Mann kann man in dieser Debatte nur verlieren. Eigentlich. Uneigentlich ist da noch Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der nationalkonservativen AfD im Bundestag. Sie hält die in den vergangenen Wochen unter dem Hashtag „MeToo“ geführte Diskussion um männliche Gewalt, männlichen Machtmissbrauch sowie Ungleichbehandlung und Belästigung von Frauen für nachrangig: „Ich glaube“, sagte die rechtsradikale Politikerin in einem Interview mit der Bild am Sonntag, „dass dieses Land wichtigere Probleme hat als irgendwelche an den Haaren herbeigezogenen minoren Sexismus-Debatten.“

#MeToo. Ich auch. Es geht dabei um Filmproduzenten Harvey Weinstein, der über Jahrzehnte hinweg Frauen missbraucht haben soll, aber auch um Filmschauspieler Kevin Spacey, der einen Kollegen betatschte, um den deutschen Fernsehkoch Horst Lichter, der es besonders charmant findet, Frauen in seinen diversen Fernsehsendungen als „Liebelein“ zu begrüßen. Es geht aber auch um den evangelischen Bischof Hans-Joachim Kiderlen. Er hatte die SPD-Politikerin Sawsan Chebli auf einer internationalen Konferenz zunächst nicht als Staatssekretärin erkannt und sich dann mit den Worten gerechtfertigt: „Ich habe keine so junge Frau erwartet. Und dann sind Sie auch noch so schön.“ Er folgte damit dem Erziehungs- und Guten-Ton-Diktums, der Knigge-Vorgabe und den Etiketten des Komplimentemachens in Form einer dümmlich unbeholfenen Alt-Herren-Wortwahl, aber auch des gönnerhaften Herabwürdigens. Statt den Mann direkt anzusprechen, machte Chebli den Vorfall später auf ihrer offiziellen Facebook-Seite unter der Überschrift „Unter Schock – Sexismus“ öffentlich. Darf man als Mann nun fragen, warum Sawsan Chebli so lange brauchte, bis ihr Schock seine Worte fand? Warum hatte sie nicht den Mut und das Selbstbewusstsein, Kiderlen direkt auf sein Fehlverhalten hinzuweisen. Damit hätte sie eher eine Verhaltensänderung beim Kirchenvertreter bewirkt, denn nach geraumer Zeit in der Empörungswelle eines Hashtags.

Das Feuilleton, Kommentarspalten, Diskussionen unter Freundinnen und Freunden empören sich darüber. Über Chebli. Über Weinstein. Doch wie lange wird dieses Mal die Empörung anhalten? Bis die nächste sprichwörtliche Sau durchs Dorf getrieben wird? Bis es einen neuen Aufreger gibt? Vor geraumer Zeit war es der deutsche Politiker Rainer Brüderle, der sich in Altherren-Manier über das Dekolleté einer Journalistin äußerte. Es gab einen Hashtag, es gab eine Kampagne, es gab einen Aufschrei, doch geändert hat sich seitdem nichts. Die Gender-Debatte wurde und wird empört reflexartig erweitert. Mansplaining, Manspreading, Lookism. Es scheint analog zu der Diskussion um Lesben und Schwule zu verlaufen, die heute queer sein möchte und nicht nur für die Rechte von Homosexuellen kämpfen, sondern für die LGBTQ*- oder LGBTQIA-Menschen einstehen. Was im Berliner Bezirk Schöneberg zum Toiletten-Streit führte, während die eine Fraktion unbedingt eine dritte Kabine einrichten wollte, damit auch Menschen austreten können, die sich ihrer geschlechtlichen Orientierung nicht so sicher sind, möchten andere Fraktionen den Geschlechterzwang ganz und gar über Bord werfen und Unisex-Klos ausschildern.

Dabei muss sich unbedingt etwas ändern, denn jeder Missbrauch ist eine Straftat, ist Gewalt. Verabscheuenswürdig. Punkt. Aus. Und es geht hier nicht nur um den Machtmissbrauch, sondern auch um die Alltagsgewalt. Um die generelle Benachteiligung von Frauen. Und das ist keine „minore Sexismus-Debatte“, sondern ein gesellschaftlich notwendiger Diskurs. Um Macht. Zementierung von Macht. Missbrauch von Macht. Auch um körperliche Gewalt. Um Vergewaltigung. Und auch hier lässt sich wieder eine Analogie zum queeren Lebenswelt knüpfen: je mehr Recht Homosexuellen zugestanden werden, desto stärker ist die Gegenbewegung in Teilen der Gesellschaft, in denjenigen Lebenswirklichkeiten, in denen etwa das Wort „schwul“ als Schimpfwort gilt und in dieser Konnotation salonfähig ist. Die Gewalt gegen Schwule und Lesben nimmt zu. Genau hier müsste die #MeToo-Kampagne ansetzen, um Veränderungen zu bewirken, um der Benachteiligung von Frauen im Alltag, um männlicher Gewalt entgegenzutreten. Doch es bleibt zu befürchten, dass die #MeToo-Empörung das gleiche Schicksal der #Occupy-Empörung ereilen wird. Wenn die Empörung keine Stories, keine Bilder, keine Schicksale liefert, wird sie abflauen und der nächsten Empörung Platz machen. Dann wäre es an der Zeit eine Bestandsaufnahme zu machen, was sich geändert hat. In den Filmstudios von Hollywood wie auf dem Schulhof in Hesperange. Bildlich gesprochen.

Nebenbemerkung: Der Beitrag von Berlinale-Chef Dieter Kosslicks zu #MeToo war, dass er Weinstein bereits vor Jahren von den Berliner Filmfestspielen ausgeladen habe, seine Filme dennoch weiter zeigte. Bischof Kiderlen hat sich inzwischen für seine „unpassende Ansprache und Begrüßung“ entschuldigt und diese bedauert. Politkerin Weidel will ihre Partei für Wählerinnen attraktiver machen. Nur 18 Prozent der AfD-Wähler seien Frauen. „Das ist viel zu wenig“, sagt Weidel. Im Bundestag ist die AfD mit zehn Frauen vertreten und 82 Männern.

Martin Theobald
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