Europa nach den Wahlen in Frankreich und Griechenland

Abgewählt

d'Lëtzebuerger Land vom 11.05.2012

Auch Außenminister Jean Asselborn ereiferte sich am Mittwoch: So lange es in Griechenland keine funktionsfähige Regierung gibt, welche sich an die Regeln hält und das ihr überwiesene Geld ordentlich verwaltet, werde es keinen einzigen der 130 Milliarden Euro geben, die Griechenland geliehen werden sollen, um seine Schulden zurückzuzahlen. (Am Tag danach bewilligte der Stabilitätsfonds 4,2 Millionen Euro.) Ähnliche Drohungen äußerten seit den griechischen Parlamentswahlen am Sonntag die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, der deutsche Außenminister Guido Westerwelle und der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäubele.

Anders als die zahlreichen Kritiker des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy auch hierzulande meinen, fand die für die Europäische Union historische Wahl am Sonntag vielleicht gar nicht in Frankreich, sondern in Griechenland statt. Wobei das Ergebnis alles andere denn überraschend ist. Denn die griechischen Parlamentswahlen wurden erwartungsgemäß zu dem Ende vergangenen Jahres unter internationalem Druck abgesagten Referendum über die interne Abwertung. Eine Mehrheit der Wähler entschied sich für Parteien, welche die von der Europäischen Union und dem Internationalen Währungsfonds verlangten Austeritätsmaßnahmen und Strukturreformen ablehnten. Das Ergebnis wäre noch deutlicher, wenn das Mehrheitswahlrecht nicht die beiden größten Parteien und vor allem die Konservativen bevorteilen würde.

Der große Wahlsieger, Alexis Tsipras von der linken Syriza, brachte den Konflikt auf den Nenner, als er am Mittwoch mit dem Versuch scheiterte, eine Regierungskoalition zu bilden, welche die EU-Interventionen beenden sollte: „Unsere Vorschläge genießen breite Unterstützung in der Gesellschaft, aber nur schwache im Parlament.“

Die griechischen Wahlen vom Sonntag zeigen, wie schwer es ist, unter demokratischen Verhältnissen eine Weltwährung in einem vergleichsweise armen Land einzuführen. Die Schuldenkrise ist dabei, einen grundlegenden Widerspruch der europäischen Integration auf die Spitze zu treiben: zwischen einem Europa, das einen großen, trotz aller Produktivitätsunterschiede dem Freihandel überlassenen Markt darstellen soll, und einem Europa, das nach den Gräueln des Zweiten Weltkriegs demokratische und humanistische Ideale, von der Aufklärung bis zur katholischen Soziallehre, verwirklichen soll. Wie dieser Widerspruch auf Kosten der schwindenden Legitimation des europäischen Projekts gelöst werden soll, ist abzusehen: Schon heute gelten Technokraten zunehmend als die einsichtigeren Politiker, Referenden werden so oft wiederholt, bis das gewünschte Ergebnis herauskommt, und Demokratie wird als Populismus abgetan. 

Derzeit sind die Aussichten gering, dass sich weder sofort noch nach möglichen Neuwahlen eine nicht bloß numerische, sondern politisch stabile Regierungsmehrheit in Griechenland finden ließe, welche die mit den internationalen Darlehen verbundenen Auflagen erfüllen möchte. Was zur nicht mehr weiter zu vertuschenden Zahlungsunfähigkeit des Landes führen würde. Das kommt dem Wunsch einer wachsenden Zahl von Griechen nach, die einem Ende des Euro-Abenteuers mit Schrecken einem Schrecken ohne Ende vorziehen, und auch dem Wunsch jener in anderen EU-Staaten nach, die Griechenland zum Ausgang der Euro-Zone drängen. Doch über den politischen Schaden für die Europäische Union hinaus, wären die Auswirkungen auf die politischen und damit auch wirtschaftlichen Verhältnisse in anderen finanziell angeschlagenen Euro-Ländern und damit auf deren Gläubiger nicht abzuschätzen.

Romain Hilgert
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