Kulturwandel: Zur Absicherung hoher Besucherzahlen wollen Freibadbetreiber zunehmend mehr bieten als nur Schwimmen

Zwischen Wellness und Nostalgie

d'Lëtzebuerger Land du 25.07.2002

Ein Julimontagabend um halb sieben in Beaufort. Die beiden vielleicht Zehnjährigen haben es gut und eine halbe Stunde vor Schließzeit und bei nicht gerade Hitzewetter das ganze Freibad für sich. Tauchen durch das aufgewühlte Wasser, das die „Bodenblubber“ vom Grund her nach oben sprudeln, wo es zu einem Wellen- und-Blasen-Chaos mit zwei Metern Durchmesser ausläuft; lassen sich beregnen von dem Wasserfall, der von dem im Becken stehenden einen Meter hohen „Wasserpilz“ herabrinnt; lassen sich in dem „Strömungskanal“, in dem das Wasser künstlich mit einem Sog versehen wird, durchs Bassin ziehen.

Mitte der 90-er war die Anlage renoviert worden. Bekam ein neues Schwimmer- und ein neues Kinderbecken und neben einer neuen Rutschbahn Spaßapparate wie „Bodenblubber & Co“, auf die schon draußen vor dem Eingang hingewiesen wird. Ohne diese Extras, meint John Stirn, der Chef des Bades, hätte man sicher nicht so viele Gäste. Schwimmen allein, das würden heute immer weniger Leute wollen.

Weil „familienfreundlich“, nennt das Office national du tourisme (ONT) derartige Erlebnis-Konzepte „auch Erfolg versprechend“, und es lobt in seinem Kompendium des Luxemburger Tourismus 2001: „La piscine de Beaufort avec son nouvel équipement remporte le plus grand succès.“ Allein zwischen den Jahren 2000 und 2001 stieg die Benutzung um über 50 Prozent.

Landesweit kommen zurzeit immer mehr Freibäder in die Jahre, und es wird zunehmend renoviert. Vor allem in touristisch geprägten Regionen wird die Ausstattung der Bäder zur Marketingfrage. Wie in Beaufort, ist auch im nahe gelegenen Larochette das Bad an einen Campingplatz angeschlossen. Auch hier soll demnächst die Sanierung beginnen, und da die Camperzahl vor allem in der Region Müllerthal rückläufig ist und laut ONT mit minus 16 Prozent in den letzten fünf Jahren so stark einbrach wie nirgendwo sonst im Land, erhält die Verfügbarkeit von Bademöglichkeiten geradezu strategische Wichtigkeit.

Was auch damit zu tun haben dürfte, dass in der nahe gelegenen unteren Sauer das Baden seit 1989 verboten ist. Noch immer schleppt die stark verschmutzte Alzette Wasser in Richtung Sauer, das trotz Klärung einen Restverschmutzungsgrad von „mittel“ bis „stark“ hat. Am Sauerufer bei Diekirch rammten erst vor einer Woche déi Gréng öffentlichkeitswirksam Verbotsschilder in die Erde und kritisierten das neuerdings für Wasserwirtschaft zuständige Innenministerium, dessen Kläranlagen-Ausbauprogramm „viel rascher“ voran gehen müsse. Und noch immer ließen Campingplatzbesitzer in der Region ihre Gäste aus Furcht vor deren Ausbleiben im Unklaren über die schlechte Wasserqualität des Flusses. Weshalb auch in der Burgenstadt Vianden seit Jahren kontinuierlich an dem 30 Jahre alten Freibad weitergebaut wird: Nach und nach erhielt es 50-Meter-Rutsche, Wasserfall, Bodenblubber. Im Viandener Rathaus wird erfreut festgestellt, dass es an den Wochenenden auch Publikum aus der Hauptstadt und sogar aus dem Süden ins Freibad der Burgenstadt ziehe.

Soll über die Renovierung von Freibädern entschieden werden, stellt sich den Gemeinden die Frage nach Aufwand und Nutzen und wird damit zur Frage politischer Prioritäten. „Ein Freibad ist immer defizitär“, sagt John Stirn aus Beaufort. „Wir übernehmen nur maximal 50 Prozent der Investitionssumme“, heißt es aus dem Tourismusministerium, „bei den Funktionskosten helfen wir nicht.“

Erleichtert im Norden – abseits des Einzugsgebiets von Stausee, Weiswampacher See und dem zum Baden freigegebenen Oberlauf der Sauer – die Sorge um den Fremdenverkehr die Entscheidung für den Erhalt eines Schwimmbads, besteht dieser Druck jedoch nur noch an der ebenfalls touristisch attraktiven Mosel. 50 000 Besucher jährlich zählte das ONT in den letzten Jahren an den Baggerweihern Remerschen, und in Remich liegt Bürgermeister Jeannot Belling der Erhalt des städtischen Freibads nicht nur deshalb am Herzen, weil er früher Leistungsschwimmer war: „Wir wollen la perle de la Moselle bleiben.“ Um so mehr, da laut ONT das Wachstum der Hotelübernachtungen an der Mosel zwischen 1997 und 2001 um 14,3 Prozent zunahm, gegenüber dem Landesdurchschnitt von plus 2,3 Prozent, und die der Campingübernachtungen überall sonst zurück-ging, während sie an der Mosel wuchs. Nur frühmorgens, sagt Bürgermeister Belling, würden die Remicher das Bad benutzen, danach nur noch Touristen oder Gäste aus der Hauptstadt. Und so lässt man sich ab der nächsten Saison den Umbau des Bades 1,9 Millionen Euro kosten, noch einmal soviel schießt der Staat zu. Auch in Remich wird das Konzept in Richtung „Erlebnisbad“ mit Extrageräten geändert.

Die im Zeitalter der Schwerindustrie gewachsenen Volksbäder finden sich nur noch im Minettegebiet mit den Freibädern in Oberkorn und Düdelingen. Hier sorgt bereits die große Bevölkerungsdichte für Nachfrage. Trotzdem eröffnete nach der Renovierung 1998 auch das Oberkorner Bad mit Spaß-Apparaten – wenn sie noch mehr Gäste bringen, warum nicht?–, und beim zurzeit während des Badebetriebs stattfindenden Ausbau des Düdelinger Bades wird ebenfalls auf sie zurückgegriffen. „Aber nur punktuell“, sagt Bürgermeister Mars di Bartolomeo, „bei uns sollen die Leute vor allem schwimmen.“

Der Trend geht dennoch in Richtung Nachfragestimulierung durch entsprechende Angebote, und was heute noch „Erlebnisbad“ heißt, erfährt morgen bereits seine Steigerung. Gleich mehrere Funktionen bei jedem Wetter kombinieren und auf Gäste aus der Region setzen will etwa die „Réidener Schwemm“, bzw. das gleichnamige Syndikat aus acht Kantonsgemeinden, das bis Ostern 2003 das Bad in Redingen – mit Ufo-Bauform wie das in Larochette und 25 Jahre lang vernachlässigt – zum Kostenpunkt von knapp sechs Millionen Euro von Grund auf umbauen lässt. Es soll schwarze Zahlen schreiben: als Schwimmhalle im Winter und als Indoor- und Outdoor-Erlebnisbad im Sommer. Mit Innen- und Außenbecken, mit Sauna, Solarium und Restaurants, mit Wasserspielen für Kinder und einem Riesen-Aquarium zum Fischebestaunen. Für die Absicherung des Schulsports hätte eine Schwimmhalle gereicht; das erweiterte Konzept zielt über den Kanton hinaus und ist durchaus ein Risikokalkül: Von 12 000 soll die Zahl der Nutzer auf wenigstens 50 000 steigen, hofft Syndikatspräsident Emile Calmes, man rechnet mit bis zu 40 000 Gästen aus dem belgischen Grenzland. Ein ähnlich angelegtes Bad in Prüm in der Eifel dient als Vorbild.

Könnte es nicht aber doch noch Konzepte jenseits von Erlebnisbecken oder kombinierten Bädern für jede Jahreszeit geben? – Ex-Leistungsschwimmer Belling hält das für möglich, wenn es sich „um einen äußerst attraktiven Standort“ handelt. Es könnte sein, dass der Staat eine Chance dafür verspielte, als er 1999 das Freibad in Mondorf, das an den Thermalkomplex angeschlossen ist und unmittelbar der Regierung unterstand, an die Gemeinde übergeben wollte. Die lehnte dankend ab, weil in das Bad jahrelang nichts investiert worden war. Und so steht eines der wohl schönsten Freibäder Luxemburgs heute leer, lassen Trauerweiden traurig ihr Blätterwerk über die große Liegewiese hängen, wachsen Sträucher allmählich am Aufgang zur Rutschbahn empor. Die Gemeinde Mondorf hat sich unterdessen für den Neubau eines Hallenbads entschieden.

Pech für die Bewohner der Hauptstadt und des gesamten Zentrums, das freibadfreie Zone genannt werden kann; sieht man von dem 25-Meter-Becken auf dem Gelände des Parc Hotels in Dommeldingen ab. Hier war vor rund 50 Jahren ein Bad neben einem Campingplatz entstanden, wurde später dem neu gebauten Hotel angeschlossen. Seine Betreiber nennen die Auslastung „sehr gut“, aber nach Beginn der Schulferien frequentierten beinahe nur noch Touristen das Bad. Grund genug für die Gemeinde Luxemburg, ein Freibad-Problem auf ihrem Territorium nicht zu erkennen: „Das hat keine Priorität für uns“, sagt Bürgermeister Paul Helminger. Es gebe genügend Schwimmhallen. Wenngleich der Service des sports der Gemeinde feststellen muss, dass im Sommer allein die Schwimmhalle in Bonneweg noch zusätzliche Besucher aufnehmen könnte.

Womit man sich nur noch nostalgisch jenen Jahren nähern kann, als in der Hauptstadt noch das Schwimmbad an der Cloche d’Or bestand. Oder gar dem im Stadtgrund, in den 60-er Jahren des 19. Jahrhunderts am Alzetteufer von der preußischen Festungsgarnison gegründet und danach von der privaten Société de natation übernommen. „In der Schwemm kann sich die Ausgelassenheit besser auswirken als im Hallenschwimmbad, wo jeder Schrei sich am Gewölbe bricht und aus jedem ‘Zodi’ gleich ein polizeiwidriger Radau wird“, schrieb Batty Weber in seinem Abreißkalenderblatt vom 17. Juli 1915 über dieses Bad.
Vielleicht reist der „Stater“, der es sich leisten kann, ja in der Urlaubszeit zum Schreien an ausländische Strände, wo ihn kein Bekannter hört, empfängt das Dommeldinger Bassin deshalb in der Ferienzeit vor allem Touristen – die Migration der Badelustigen hat noch niemand untersucht.

Oder er begibt sich ins Wellness-Bad und lässt passiv Pflege über sich ergehen – in diesem Sinne könnten der Hauptstadt in den nächsten Jahren die Umlandgemeinden zu Hilfe kommen: Schon empfängt das Pidal-Syndikatshallenbad in Walferdingen mit Schwimmbassins und Sauna-Club hauptstädtiches Publikum; zusätzlich wollen Bartringen und Strassen ein interkommunales Wellness-Bad mit Schwimmanlagen, Sauna, „soins corporels“ und Restauration in einer der Industriezonen westlich der Hauptstadt einrichten; ein ähnliches Konzept verfolgen Leudelingen und Bettemburg gemeinsam.

Als Experimentierfeld für ein womöglich anderes Freibad bliebe dann allein Esch. Vielleicht. Hier erinnern viele sich noch gern an das ERA-Schwimmbad – die „piscine inofficielle“ in einem Kühlbecken der Arbed auf dem Terres rouges-Gelände. In den 20-er Jahren entstanden, bestand dieses Bad im Schatten der Hochöfen bis 1994. 1978 hatte sich die Arbed, die es bis dahin finanziert hatte, daraus zurückgezogen und es der Gemeinde überlassen. Die erhielt es gerade so aufrecht, aber ab Ende der 80-er Jahre gingen Briefe von französischen Gesundheitsbehörden ein: Das zwar auf Arbed-Gelände, aber auf französischem Territorium liegende Bad entspreche nicht den hygienischen und Sicherheitsbestimmungen. Mangels Geld gab die Gemeinde das Bad auf, der Staat lehnte finanziellen Beistand ab.

Heute denkt die Escher Gemeindeführung über eine eventuelle Neuauflage der ERA-Ära nach – im Rahmen eines interregionalen Erholungskonzepts mit Unterstützung der EU. Vorausgesetzt, man einigt sich mit der französischen Seite und die Arcelor gibt grünes Licht: Das frühere ERA-Becken befindet sich auf der Schlackenhalde Terres rouges, und über die Nutzung dieser Industriebrache ist noch nicht entschieden. Aber Schwimmen im früheren Industriegelände, naturschützerisch aufgewertet – das könnte womöglich ein Erlebnisversprechen sein, das Nostalgiker wie Naturfreunde anzieht. Und daneben ein Angebot wäre für jene, die sich einen Urlaub im Ausland nicht leisten können. Am Ende käme dort noch das „ganze Volk“ zusammen ...

Peter Feist
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